Bekannte Redewendung

Woher stammt «vom Scheitel bis zur Sohle»?

Malerisch wird die Schönheit von jemandem als Augenweide «vom Scheitel bis zur Sohle» beschrieben. Kreiert und in den weltweiten Wortschatz übergeben wurde diese Redewendung aber nicht durch die Modewelt, sondern durch ein Buch, das Generationen und Epochen geprägt hat.
Fabio Lanzoni

Es war nicht ein Hochglanzmagazin, das ein schmissiges Statement von einem Modeschöpfer oder einem Top-Model wiedergegeben hat. Und es war nicht ein Leinwandheld, der diese Worte mit stählernem Blick in die Kamera sagte, ehe er auf einem muskelbepackten Pferd oder einem schiffgleichen Cadillac in Richtung Sonnenuntergang ritt.

Die Worte stammen aus der Bibel, einem Buch, das die Zeitalter überstand und das heute noch Menschenleben verändert.

Frau in Trauerkleidern

Der Hintergrund des Sprichworts ist folgender: Eine Frau war in Trauerkleidern vor den König getreten. Der wollte wissen, was sie bedrückt. Ihre Antwort war herzzerreissend: «Ach, ich bin Witwe, mein Mann ist gestorben. Ich hatte zwei Söhne. Eines Tages stritten sie draussen auf dem Feld heftig miteinander. Leider war weit und breit kein Mensch, der hätte eingreifen können, und so schlug der eine den anderen tot. Seitdem, o König, ist die ganze Verwandtschaft meines Mannes hinter mir her. Sie verlangen, dass ich ihnen meinen Sohn ausliefere, weil er seinen Bruder umgebracht hat. Sie wollen ihn töten und so den Mord rächen. Ja, umbringen wollen sie ihn, damit er nicht das Erbe seines Vaters antreten kann! So rauben sie mir noch den letzten Funken Hoffnung.»

Doch sie war noch nicht fertig: «Wenn nämlich mein zweiter Sohn auch umkommt, dann gibt es im ganzen Land niemanden mehr, der den Namen meines Mannes weiterträgt; und so stirbt seine Familie aus.»

Der Wunsch

Der König wollte eingreifen und er ermutigte sie, beruhigt nach Hause zu gehen. Doch sie wandte ein: «Mein König, ich befürchte, dass die Verwandten meines verstorbenen Mannes mich trotzdem nicht in Ruhe lassen. Sie werden mich und meine Familie dafür verantwortlich machen, wenn der Tod meines Sohnes nicht gerächt wird. Dir werden sie es sicher nicht vorwerfen.» Doch der König zeigte sich stark: «Wer dir Schwierigkeiten macht, den zeige bei mir an! Ich werde dafür sorgen, dass er dich in Ruhe lässt.» Doch die Frau wollte ganz sicher sein: «Mein König, schwöre mir doch bei dem Herrn, deinem Gott, die Blutrache zu verhindern und nicht zuzulassen, dass man meinen Sohn umbringt. Das erste Verbrechen soll nicht ein schlimmeres nach sich ziehen.» Der König ging auf den Wunsch ein: «Ich schwöre dir, so wahr der Herr lebt: Deinem Sohn wird kein Haar gekrümmt werden.»

Nun hatte die Frau noch etwas auf dem Herzen: «Warum begehst du gegen jemanden aus dem Volk Gottes genau das Unrecht, das du eben verurteilt hast? Indem du dieses Urteil fällst, sprichst du dich selbst schuldig, denn du hast deinen Sohn verstossen und lässt ihn nicht wieder zurückkehren. Zwar müssen wir alle einmal sterben. Wir sind wie Wasser, das auf den Boden geschüttet wird: Es verrinnt und versickert unwiederbringlich. Aber Gott löscht das Leben nicht einfach so aus. Er will den Verbannten zurückholen, damit er nicht für immer von ihm verstossen bleibt. »

Von der Sohle bis zum Scheitel

Der König, es war kein geringerer als David aus der Bibel, hörte sie an – und fand heraus, dass dies nicht einzig der Wunsch seiner Frau war, sondern auch von Joab, dem Heerführer seiner Streitkräfte, der sich nicht getraut hatte, selbst das Thema vorzubringen. Und der gejagte Mann war Davids Sohn Absalom, der nach einer Fehde verbannt worden war.

David willigte ein; sein Sohn durfte zurückkehren. In der Bibel steht, dass es keinen Mann in der Nation gab, der so schön war wie er. Der Satz, der in die Weltliteratur einging, lautet so: «Von der Fusssohle bis zum Scheitel war nicht ein Fehl an ihm.» (2. Samuel, Kapitel 14, Vers 25)

Die ganze Geschichte lässt sich nachlesen in 2. Samuel, Kapitel 14, Verse 1-33.

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Datum: 20.08.2015
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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