Bibelstudium: Römer 9,14-29

Bibelstudium

Kein Anspruch auf Gottes Barmherzigkeit

14 Bedeutet das etwa, dass Gott ungerecht ist? Auf keinen Fall! 15 Denn Gott hat einmal zu Mose gesagt: «Ich erweise meine Güte, wem ich will. Und über wen ich mich erbarmen will, über den werde ich mich erbarmen.»6 16 Entscheidend ist also nicht, wie sehr sich jemand anstrengt und müht, sondern dass Gott sich über ihn erbarmt. 17 Wie erging es dem Pharao, dem König Ägyptens, der sich gegen Gottes Befehle auflehnte? Zu ihm sagte Gott: «Ich habe dich als König über Ägypten eingesetzt, damit an deinem Ungehorsam meine Macht allen sichtbar und dadurch der ganzen Welt mein Name bekannt wird.»7 18 Gott schenkt also seine Barmherzigkeit, wem er will, aber er macht Menschen auch hart und gleichgültig, wenn er es will. 19 Sicher werdet ihr mich jetzt fragen: «Wie kann Gott dann noch von unserer Schuld sprechen? Wer kann denn etwas gegen Gottes Willen unternehmen?» 20 Darauf kann ich nur antworten: Wer seid ihr denn eigentlich, ihr Menschen, dass ihr meint, Gott zur Rechenschaft ziehen zu können? Glaubt ihr wirklich, dass sich der Schöpfer vor seinen Geschöpfen verantworten muss? 21 Schliesslich kann auch ein Töpfer aus einem Klumpen Lehm ein wertvolles oder ein gewöhnliches Gefäss formen. 22 Genauso wollte Gott an den Ägyptern8 seinen Zorn und seine Macht sichtbar werden lassen. Und obwohl sie ihrem Untergang nicht entgehen konnten, hat er grosse Geduld mit ihnen9 gehabt. 23 An den Israeliten,10 die an seiner Herrlichkeit teilhaben sollen, wollte er dagegen seine Barmherzigkeit besonders beweisen. 24 Zu ihnen gehören auch wir. Und er hat uns nicht nur aus dem jüdischen Volk, sondern aus allen Völkern berufen. 25 Erinnert euch nur einmal an die Worte des Propheten Hosea! Dort sagt Gott: «Einmal werde ich die mein Volk nennen, die bisher nicht dazugehörten; und ich werde die auserwählen, die bisher nicht meine Auserwählten waren. 26 Und wo ihnen gesagt wurde: 'Ihr seid nicht mein Volk', da werden sie 'Kinder des lebendigen Gottes' genannt.»11 27 Aber seinem Volk Israel liess Gott durch den Propheten Jesaja sagen: «Selbst wenn es so viele Israeliten wie Sand am Meer gibt, werden doch nur wenige von ihnen gerettet. 28 Denn der Herr wird sein Urteil auf der Erde bald vollstrecken.»12 29 So hat es Jesaja schon vorher gesagt: «Hätte der Herr der himmlischen Heere13 nicht einen kleinen Teil des jüdischen Volkes bewahrt, dann wären wir alle umgekommen wie die Leute von Sodom und Gomorra.»

Übersetzung: Hoffnung für Alle

Kommentar

9,14 Der Apostel sah richtig voraus, dass seine Lehre von der souveränen Erwählung die verschiedensten Einwände hervorrufen musste. Die Menschen würden Gott noch immer anklagen, ungerecht zu sein. Sie sagen, dass Gott, wenn er einige erwählt, damit notwendigerweise die anderen verurteilt. Sie argumentieren, dass man, wenn Gott alles schon im voraus bestimmt hat, nichts mehr dafür könne, und Gott ungerecht ist, wenn er die Menschen dafür verurteilt.

Paulus bestreitet jedoch energisch jede Möglichkeit, dass "bei Gott . . . Ungerechtigkeit" herrschen könne. Doch statt Gottes Unabhängigkeit zu verwässern, um sie seinen Gegnern schmackhafter zu machen, wird er im Folgenden diese Tatsache noch einmal ohne weitere Begründung bekräftigen.

9,15 Zuerst zitiert er Gottes Wort an Mose: "Ich werde begnadigen, wen ich begnadige, und werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme" (s. 2. Mose 33,19). Wer kann behaupten, dass der Allerhöchste, der Herr des Himmels und der Erde, nicht das Recht habe, zu "begnadigen" und sich zu "erbarmen"?

Alle Menschen werden durch ihre eigene Sünde und ihren Unglauben verurteilt. Wenn sie sich selbst überlassen wären, würden alle verloren gehen. Neben der echten Einladung des Evangeliums an alle Menschen erwählt Gott einige dieser verurteilten Menschen, um seine Gnade über sie auszuschütten. Doch das bedeutet nicht, dass er einfach willkürlich einige auswählt und andere verurteilt. Sie sind schon verurteilt, weil sie ihr Leben lang gesündigt und das Evangelium abgelehnt haben. Diejenigen, die erwählt sind, können Gott für seine Gnade danken. Diejenigen, die verloren gehen, haben niemanden zu tadeln als sich selbst.

9,16 Die Schlussfolgerung lautet also, dass das endgültige Schicksal von Menschen oder Nationen nicht der Kraft ihres Willens oder der Macht ihrer Anstrengungen unterstellt ist, sondern der Gnade Gottes.

Wenn Paulus sagt, dass es "nicht an dem Wollenden" liegt, dann meint er damit nicht, dass der Wille eines Menschen nicht an seiner Erlösung beteiligt wird. Die Einladung ist ein deutlicher Appell an den Willen eines Menschen, wie sich in Offenbarung 22,17 zeigt: "Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst." Jesus entlarvte die ungläubigen Juden, dass sie nicht gewillt waren, zu ihm zu kommen (Joh 5,40). Wenn Paulus sagt, "noch an dem Laufenden", dann will er damit nicht leugnen, dass wir uns bemühen müssen, durch die enge Pforte einzugehen (Lk 13,24). Ein gewisses Mass an geistlicher Ernsthaftigkeit und Bereitschaft sind notwendig. Doch der Wille und das Laufen des Menschen sind nicht die bestimmenden Faktoren: Die Erlösung kommt vom Herrn. Morgan sagt:

Keine Bereitschaft unsererseits, auch kein eigenes Laufen, kann für uns die Erlösung bewirken, die wir brauchen, oder uns in die Lage versetzen, in die Segnungen einzutreten, die sie für uns bereit hält. .. . Von uns selbst aus haben wir nicht den Willen, erlöst zu werden und bemühen uns auch nicht darum. Jede menschliche Erlösung beginnt bei Gott.36)

9,17 Gottes Unumschränktheit zeigt sich nicht nur daran, dass er den einen Gnade erweist, sondern auch daran, dass er andere verhärtet. Der "Pharao" wird hier als Beispiel dafür genannt.

Es wird hier nirgends angedeutet, dass der ägyptische Monarch schon von seiner Geburt an zu seinem Schicksal bestimmt war. Folgendes passierte: Als Erwachsener erwies er sich als böse, grausam und besonders störrisch. Statt den dringenden Warnungen Gottes zu gehorchen, verhärtete er sein Herz. Gott hätte ihn sofort vernichten können, doch das tat er nicht. Statt dessen erhielt Gott ihn am Leben, damit er an ihm seine "Macht" zeigen konnte, und dass durch ihn der Name des Herrn weltweit bekannt würde.

9,18 Der Pharao verhärtete wiederholt sein Herz und danach verhärtete Gott jeweils als Gerichtshandeln zusätzlich das Herz des Pharao. Dieselbe Sonne, die Eis zum Schmelzen bringt, härtet den Lehm. Dieselbe Sonne, die Wäsche bleicht, bräunt die Haut. Derselbe Gott, der denen, die ein zerbrochenes Herz haben, Gnade erweist, verhärtet die Unverschämten.

Gott hat das Recht, zu "begnadigen" wen er will, und zu "verhärten", wen er will. Doch weil er Gott ist, handelt er niemals ungerecht.

9,19 Wenn Paulus auf Gottes Recht besteht, zu tun, was ihm gefällt, so ruft das den Einwand hervor, dass Gott, wenn dem so ist, niemanden "tadeln" sollte, weil keiner bisher erfolgreich "seinem Willen widerstanden" hat. Für den Diskussionsgegner ist der Mensch eine hilflose Figur auf Gottes Schachbrett. Nichts, was er sagen oder tun kann, wird sein Schicksal ändern.

9,20 Zunächst tadelt der Apostel die Unverschämtheit der Geschöpfe, die es wagen, ihren Schöpfer so anzugreifen. Dem begrenzten Menschen, der voller Sünden, Unwissenheit und Schwachheit ist, steht es keinesfalls zu, Gott oder die Weisheit und Gerechtigkeit seines Handelns zu hinterfragen.

9,21 Dann verwendet Paulus das Bild vom "Töpfer" und vom "Ton", um die Souveränität Gottes zu verteidigen. "Der Töpfer" geht eines Tages in seine Werkstatt und sieht auf dem Boden einen Haufen formlosen Ton. Er hebt eine Handvoll davon auf, legt ihn auf die Töpferscheibe und formt ein wunderschönes "Gefäss". Hat er das Recht dazu?

"Der Töpfer" ist natürlich Gott. Der "Ton" ist die sündige, verlorene Menschheit. Wenn "der Töpfer" die Menschen sich selbst überliesse, dann würden sie alle in die Hölle kommen. Es wäre absolut gerecht und fair, wenn Gott sie sich selbst überliesse. Doch statt dessen erwählt er sich in seiner Souveränität eine Handvoll Sünder, errettet sie durch seine Gnade und verwandelt sie in das Bild seines Sohnes. Hat er etwa kein Recht dazu? Bedenken Sie, dass er die anderen nicht willkürlich zur Hölle verurteilt. Sie sind dazu schon durch ihren Eigenwillen und Unglauben verurteilt.

Gott hat die absolute "Macht" und Autorität, ein "Gefäss zur Ehre" aus dem einen Teil des Tones zu formen "und das andere zur Unehre" aus einem anderen Teil. In einer Situation, in der jeder unwürdig ist, kann er seinen Segen über denjenigen ausschütten, den er erwählt, und den Segen vorenthalten, wem immer er will. "Wo niemand einen Verdienst hat," schreibt Barnes, "ist das Höchste, was man verlangen kann, dass er niemanden ungerecht behandelt".

9,22 Paulus zeigt nun "Gott", den grossen Töpfer, wie er scheinbar unter einem Interessenkonflikt leidet. Einerseits will er "seinen Zorn erweisen" und "seine Macht" zeigen, indem er die Sünde bestraft. Doch andererseits wünscht er sich, "die Gefässe des Zorns, . . . die zum Verderben zubereitet sind", geduldig zu behandeln. Das ist der Kontrast zwischen der gerechten Härte Gottes einerseits und seiner barmherzigen "Langmut" andererseits. Die Argumentation läuft folgendermassen: "Wenn es absolut gerechtfertigt wäre, wenn Gott die Sünder sofort bestrafen würde, jedoch statt dessen grosse Geduld mit ihnen hat, wer kann ihn dann noch anklagen?"

Man beachte sorgfältig die Formulierung: "Gefässe des Zorns, . . . zum Verderben zubereitet." "Gefässe des Zorns" sind diejenigen, deren Sünden sie dem "Zorn" Gottes unterwerfen. Sie werden durch ihre eigene Sünde, ihren Ungehorsam und ihre Auflehnung "zum Verderben zubereitet", und nicht durch irgendeine willkürliche Bestimmung Gottes.

9,23 Wer kann sich beklagen, wenn es Gott gefällt, "den Reichtum seiner Herrlichkeit an den" Menschen kundzutun, denen er "Begnadigung" schenkt - die Menschen, die er "zur" ewigen "Herrlichkeit vorher" auserwählt hat? Hier erscheint uns der Kommentar von C. R. Erdman besonders hilfreich:

Gottes Souveränität zeigt sich nie darin, Menschen zu verurteilen, die erlöst werden sollten, sondern resultiert immer in der Erlösung von Menschen, die eigentlich hätten verloren gehen sollen.38)

Gott bereitet also keine Gefässe des Zorns zum Verderben zu, sondern "Gefässe der Begnadigung . . . zur Herrlichkeit".

9,24 Paulus zeigt uns nun, dass die Gefässe der Begnadigung die Christen sind, die Gott sowohl aus der jüdischen wie auch aus der heidnischen Welt "berufen hat". Das legt die Grundlage für vieles, das nun folgen soll - die Beiseitesetzung Israels bis auf einen Überrest und die Berufung der "Nationen" in eine Vorrechtsstellung.

9,25 Der Apostel zitiert zwei Verse aus Hosea, um zu zeigen, dass die Berufung der Heiden für die Juden keine Überraschung darstellen sollte. Der erste Vers ist Hosea 2,25: "Ich werde Nicht-mein-Volk mein Volk nennen und die Nicht-Geliebte Geliebte." Nun bezieht aber Hosea diese Worte eigentlich auf Israel und nicht auf die Heiden. Diese Worte gelten einer Zeit, zu der Israel als Gottes Volk und seine Geliebte wieder eingesetzt wird. Doch wenn Paulus diesen Vers hier im Römerbrief zitiert, dann wendet er ihn auf die Berufung der Heiden an. Welches Recht hat Paulus, hier so radikale Veränderungen einzuführen? Die Antwort liegt darin, dass der Heilige Geist, der zunächst das Wort inspiriert hat, das Recht hat, es später neu zu interpretieren oder anzuwenden.

9,26 Der zweite Vers stammt aus Hosea 1,10: "Und es wird geschehen, an dem Ort, da zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk, dort werden sie Söhne des lebendigen Gottes genannt werden." Und wieder spricht der Vers im Zusammenhang des AT nicht von den Heiden, sondern beschreibt die zukünftige Wiederherstellung Israels. Doch Paulus wendet diesen Vers auf Gottes Annahme der Heiden als seine Söhne an. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Tatsache, dass der Heilige Geist Stellen, die er im Neuen Testament aus dem AT zitiert, anwenden kann, wie es ihm gefällt.

9,27 Die Ablehnung Israels ausser einem Überrest wird in 9,27-29 besprochen. "Jesaja" sagte voraus, dass nur ein kleiner Teil der Kinder Israels "errettet werden" würde, auch wenn das Volk selbst sehr gross werden würde (Jes 10,22).

9,28 Als der Herr sagte: "Denn indem er das Wort vollendet und abkürzt, wird der Herr es auf der Erde ausführen" (Jes 10,23), da bezog er sich auf die babylonische Eroberung Palästinas und Israels anschliessendes Exil. Das "Wort" war Gottes Gerichtshandeln. Wenn Paulus diese Worte zitiert, sagt er damit, dass das, was Israel in der Vergangenheit geschehen ist, zu seiner Zeit wieder geschehen könnte und würde.

9,29 "Wie Jesaja vorher gesagt hat" (in einem vorhergehenden Teil seiner Prophezeiung): "Wenn nicht der Herr" der Heerscharen des Himmels einige Überlebende "übriggelassen hätte, so" wäre Israel "wie Sodom" und "Gomorra" ausradiert worden (Jes 1,9).

Datum: 06.05.2007
Quelle: Kommentar zum Neuen Testament - William McDonald

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