Problemzonen


Anthropomorphismen

Manchmal werden Gott Wesenszüge von Menschen oder anderen Geschöpfen zugeschrieben. "Die Augen des HERRN (sind gerichtet) auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien" (Ps. 34,16). "Mit seinen Schwingen deckt er dich, und du findest Zuflucht unter seinen Flügeln" (Ps. 91,4). Gott ist Geist und hat weder Augen noch Ohren, und ganz sicher weder Schwingen noch Flügel! Hier kommt uns unsere poetische Ader zur Hilfe, wenn wir solche Abschnitte lesen. Man spricht dann von Anthropomorphismus (nach Menschenart gestaltet) oder von Zoomorphismus (nach Tierart gestaltet).

Manchmal redet die Bibel aus menschlicher Sicht. Wenn dort z. B. zu lesen ist, Gott lasse sich etwas gereuen, so meint das nicht, er habe einen Fehler gemacht, der Ihm nun leid täte. Seine "Reue" bedeutet: Wenn sich z. B. ein Mensch vom Gehorsam zum Ungehorsam hinwendet, erfordert das Wesen Gottes, dass Er ihn nun nicht mehr segnen, sondern richten wird. Mit anderen Worten: Gott reagiert auf die veränderte Haltung eines Menschen gemäss Seines eigenen heiligen Wesens. Uns aber kommt das wie ein Sinneswandel vor.

Eine Theophanie bedeutet, Gott lässt sich von menschlichen Augen sehen, obwohl Er doch Seinem Wesen nach für Sterbliche unsichtbar ist. Eine Christophanie ist eine Erscheinung Christi vor Seinem Kommen auf die Erde. Wenn im Alten Testament von dem Engel des HERRN die Rede ist, so ist damit der Herr Jesus gemeint (siehe 1. Mo. 16,11-13; 31,11.13; 2. Mo. 3,2.11; Ri. 6,21-22; 13,18.22; Hos. 12,4-5; siehe auch 1. Mo. 32,30).

Göttliche Zulassung

Ein weiterer hilfreicher Ansatz! Oft wird von Gott gesagt, Er tue etwas, was Er in Wirklichkeit nur zulässt. Dies hilft uns, so schwierige Verse wie 1. Samuel 16,14 zu verstehen: "… ein böser Geist vom HERRN ängstigte ihn." Von dem HERRN kann nichts Böses kommen, doch kann Er es zulassen. Satan raubte dem Hiob alles, was er hatte, doch dieser sagte: "Der Herr hat genommen" (1,21b). Jesaja zitiert den Herrn: "Der ich … den Frieden mache und das Unglück schaffe" (45,7b). Weil Er das Unglück zulässt, heisst es, Er habe es gewirkt.

Auftragsdeligierung

Von Personen wird gesagt, was tatsächlich aber andere ausführten. Wir lesen, Josua habe dem Volk Israel die Flüche und den Segen verkündigt (Jos. 8,35); doch aus dem 5. Buch Mose erfahren wir, dass es die Leviten waren - allerdings in seinem Auftrag (5. Mo. 27,14).

Göttlich-menschliche Wirksamkeit

Wenn man die Bibel untersucht, wird man feststellen, dass es oft zu einer eigenartigen Verquickung des Göttlichen und des Menschlichen kommt. Gott erledigt Seinen Teil; aber der Mensch muss den seinigen tun. Achte darauf, beide Seiten dieser Arbeitsteilung im Blick zu behalten!

Du findest so etwas bei der Erwählung (Eph. 1,4-5) und bei der menschlichen Verantwortlichkeit (Joh. 3,16). Gott erwählt; aber auch wir haben unsere Wahl zu treffen.

Das gilt auch für die Errettung. Es ist der Herr, der rettet (Eph. 2,8-9), doch lehren uns die Schrift und unsere eigene Erfahrung, dass es einmal in unserem Leben eine Zeit gegeben hat, in der wir Christus durch einen definitiven Glaubensakt annehmen mussten.

So ist es auch bei unserer Sicherheit. Wir werden durch die "Kraft Gottes" bewahrt (1. Petr. 1,5); das ist Gottes Seite. Aber "durch Glauben", das ist die Seite des Menschen.

Nur Gott allein kann uns heiligen (1. Thes. 5,23); und doch ist uns befohlen, heilig zu sein (1. Petr. 1,15-16).

Wir sehen das auch im Bezug auf den Dienst. "Wenn der HERR das Haus nicht baut, vergeblich arbeiten daran die Bauleute" (Ps. 127,1). Hier ist es sehr deutlich, dass sowohl Gott als auch die Bauleute daran teilhaben. Aus all dem lernen wir: Versuche nicht, die Spannung durch Harmonisierungsversuche wegzubekommen! Nimm beide Seiten dieses Paradoxons an!

Allgemeine Wahrheiten

Manchmal kann ein Vers eine allgemeine Wahrheit verkündigen, von der aber Ausnahmen möglich sind. Nicht alle Kinder, die ihren Eltern gehorsam sind, erreichen ein hohes Lebensalter (Eph. 6,13), doch ist dieser Zusammenhang durchweg wahr.

Der Auslegungs-/Anwendungsschlüssel

Bedenke, dass eine Stelle nur eine Auslegung hat, aber vielleicht die eine oder andere Anwendung zulässt. Nimm zum Beispiel Hiob 23,10b: "Prüfte er mich, wie Gold ginge ich hervor." Hiob sagt damit, dass, wenn Gott ihn vor Gericht zöge, ihm ein Freispruch sicher wäre. Er ist unschuldig in Bezug auf die Anklagen seiner Freunde. Das ist die Auslegung. Aber der Vers kann auch auf den Segen angewendet werden, den ein Gläubiger durch die Trübsale seines Lebens empfängt. Sie reinigen den Charakter und entfernen die Schlacken, bis sich das Angesicht des Schmelzers in dem reinen Gold widerspiegelt.

Der geographische Faktor

Die Bibel ist grösstenteils aus der geographischen Perspektive des Landes Israel geschrieben worden. Der Norden meint den Norden Israels. Die Wetterverhältnisse entsprechen den dort vorherrschenden. Mit der Welt ist oft der Mittelmeerraum gemeint, zu dem die Länder der Bibel gehören. Wenn Paulus sagt, das Evangelium sei in seinen Tagen bis ans Ende der Erde gelangt (Kol. 1,6), müssen wir nicht meinen, es sei damals schon zu den Azteken und Inkas vorgedrungen.

In allen Schriften finden wir Christus

Wir sollten in allen Bibelteilen nach Christus Ausschau halten. Er selbst sagte den Juden, die Schriften würden von Ihm zeugen (Joh. 5,39). Als Er mit den zwei Jüngern nach Emmaus ging, heisst es: "Und von Mose und allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in allen Schriften das, was ihn betraf" (Lk. 24,27).

Weitere Überlegungen

Bischof Middleton hat gesagt, dass, wenn der bestimmte Artikel bei dem Namen des Heiligen Geistes steht, es sich ausnahmslos um dessen Person handelt, während es sich bei fehlendem Artikel um Seine Gaben und Einflüsse handelt. Wenn Jesus also in Johannes 20,22 sagt: "Empfangt Heiligen Geist!", also ohne Artikel, dann redet Er von einem Vorgeschmack oder von dem Wirken des Heiligen Geistes, nicht von Seiner Person. Den Heiligen Geist empfingen sie erst zu Pfingsten.

Bedenke, dass in der Bibel zwar alles wahrheitsgemäss berichtet wird, nicht aber alles Berichtete wahr ist. Inspiration garantiert nicht die Richtigkeit der Aussagen des Teufels (1. Mo. 3,15) oder dessen, was Menschen aus eigener Klugheit von sich geben (Hi. 42,7). Die Bibel sagt: "Es ist kein Gott!" Doch zitiert sie damit nur die Aussage eines Toren.

Die Worte der Bibel sind flexibel genug, Dinge zu benennen, die es zur Zeit des Schreibens noch gar nicht gab. Hesekiel spricht von einem Krieg mit Pfeilen und Bogen, doch können die hebräischen Wörter genauso gut ballistische Raketen meinen. Pierson sagt dazu, dass "eine elastische Poesie und dunkle, vieldeutige Wörter sich für eine spätere Anpassung an neu entdeckte Fakten bestens eignen".

Das Gesetz der Vorhererwähnung bedeutet, dass Personen und Dinge erwähnt werden können, bevor sie tatsächlich bestehen. David erwähnt in Psalm 5,7 den Tempel, dessen Errichtung er selbst gar nicht erleben sollte.

Wir sollten der Versuchung widerstehen, das Alte Testament mit den Augen von Christen zu sehen; denn wir werden dort vieles finden, was unterhalb christlicher Massstäbe liegt, z. B. die völlige Ausrottung der Kanaaniter.

Auch sollten wir bedenken, dass die Heiligen des Alten Testaments die Bibel, wie wir sie haben, nicht kannten. Ebenso wenig wohnte der Heilige Geist beständig in ihnen. So sollten wir über manches eigenartige, wenn auch nicht gerade sündige Verhalten hinwegsehen.

Auch sollten wir uns bewusst sein, dass Gott uns einen historischen Bericht über viele Dinge gibt, die Er nicht gutheisst. Viele der Patriarchen waren Polygamisten. Das wird zwar ehrlich berichtet, Gott hat aber niemals die Vielweiberei gewollt. Er schuf für Adam eine Frau, Eva. So wird noch eine Reihe krasserer Sünden erwähnt; aber nicht, um unsere Leidenschaften anzustacheln, sondern immer in einer Weise, die unsere Abscheu erregt.

Ein letzter Punkt! Gehorsam ist das Organ geistlicher Erkenntnis. Je mehr wir dem Wort Gottes gehorchen, umso mehr Schätze wird es vor uns entfalten.

Fortsetzung: Hilfen

Datum: 19.10.2006
Autor: William Mac Donald
Quelle: Effektives Bibelstudium

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