Heiliger Geist

Das Neue Testament spricht weniger (theoretisch) davon, was Heiliger Geist an sich ist, als (praktisch) darüber, was der Heilige Geist im Menschenleben wirkt.

Die hebräisch-aramäische Bezeichnung für Geist (rùach) hat ebenso wie die griechische (pneúma) die Grundbedeutung: Hauch (Odem), bedeutet aber auch Wind. Jesus haucht die Jünger an und sagt: »Nehmt hin den heiligen Geist« (Joh. 20,22), und im Nikodemusgespräch (Joh. 3,8) wendet er den aramäischen Ausdruck in seiner Doppelbedeutung an: Geist gleich Wind. »Der Wind weht, wo er will« bedeutet gleichzeitig: »Der Geist weht, wo er will.«

Schon das erste Blatt der Bibel spricht vom Wirken des Geistes. Während der Schöpfung schwebte er über dem Wasser (1. Mose 1,2). Alles, was lebt, verdankt sein Dasein dem Geist Gottes.

Heiliger Geist ist dem Menschen zustehende Lebensverbindung mit dem Schöpfer

In einzigartiger Weise ist der Geist aber wirksam bei der Erschaffung des Menschen. Gott hauchte dem Menschen seinen lebendigen Odem (Geist) ein (1. Mose 2,7). Hier ist die Mitteilung des Geistes eine tiefpersönliche Gabe, ein unmittelbares Sichgeben des Schöpfers an den Menschen.

Das Anhauchen der Jünger durch Jesus (Joh. 20,22) weist auf die bevorstehende Neuschöpfung hin, die durch das Kommen des Geistes an den Jüngern geschehen wird. Der Geist soll ihnen so unmittelbaren Anschluss an die obere Welt geben, dass sie Anteil haben an der Hoheit Gottes, die Sünden zu vergeben. Vollends spricht es Jesus in den Abschiedsreden deutlich aus, dass der Heilige Geist dem Menschen die direkte Berührung und Leitung von oben (das Leiten in alle Wahrheit: Joh. 16,13), ja die Gegenwart Gottes, das persönliche Einwohnen des Vaters und des Sohnes bringen wird (Joh. 14,23).

Heiliger Geist ist Verbindung zwischen Himmel und Erde, ist Kontakt zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer, ist Hereinragen der oberen Welt in die untere Welt. Heiliger Geist ist, wie schon die Schöpfungsgeschichte zeigt, für den Menschen nicht etwas Überschüssiges, über die Normen seines Wesens Hinausgehendes, sondern das von vornherein »Gegebene«; es ist, auf das anerschaffene Wesen des Menschen gesehen, das einzig Normale, dass er den Heiligen Geist hat.

Darum vergleicht Jesus die Bitte um den Heiligen Geist mit der Bitte ums Brot. Er lässt im Gleichnis den, der um den Geist bittet, es tun mit der stürmischen Dringlichkeit dessen, der das Allernotwendigste, überhaupt Unveräusserliche begehrt (Luk. 11,5-8).

Heiliger Geist ist souveräne Gabe

Der himmlische Vater verweigert keinem aufrichtig Verlangenden den Geist: Er kann es noch viel weniger als unsereiner seinem hungernden Kind das Brot vorenthalten kann; wer da sucht, der findet (Luk. 11,10.13).

Das sagt Jesus den Armen, den Hungernden, Dürstenden, den Leidtragenden zum Trost. Freilich bleibt es dabei, dass der Allmächtige seinen Geist gibt; es ist nicht so, dass man ihn sich selbst auf einem bestimmten vorauszuberechnenden Weg aneignen (selbst nehmen) kann. »Der Wind bläst, wo er will« (Joh. 3,8).

Es bleibt das unantastbare Hoheitsrecht des Vaters, Menschen in seine Nähe zu ziehen. Das sagt Jesus mit gewaltigem Nachdruck einem Mann, der infolge seiner Bildung und kirchlichen Stellung, infolge der grossen Traditionen, deren Träger er war, seine Lage ganz falsch einschätzte.

Der Heilige Geist kommt als Heilsgabe auf Grund des vollbrachten Erlösungswerkes Christi

Jesus sendet ihn, wenn er hingegangen ist zum Vater. Ohne seinen Hingang käme der Geist nicht. Der Heilige Geist ist das Abschiedsgeschenk Jesu an seine Jünger (Joh. 16,7). Das Wirken des Geistes ist streng auf Jesus bezogen. Er überführt von der Sünde, dass sie nicht glauben an Jesus (Joh. 16,9). Er verklärt Jesus und nimmt, was er gibt, von ihm (Joh. 16,14).

Ob der Heilige Geist da ist oder nicht, kann man deutlich merken

»Du hörst sein Sausen wohl, aber du weisst nicht, woher er kommt und wohin er fährt« (Joh. 3,8). Man kann den Wind spüren, wenn er da ist; man kann ebenso das Fehlen des Windes (die Windstille) deutlich merken, wenn die Segel schlaff sind und das Fahrzeug nicht vom Fleck kommt. »So ist es mit jedem aus dem Geist Geborenen.«

Der Heilige Geist ist in dem Sinne nichts Mysteriöses, dass es gar nicht festzustellen wäre, ob er da ist oder nicht. Über sein Vorhandensein oder Fehlen ist nicht zu disputieren: das eine wie das andere spürt man. Man kann es deutlich merken, ob es in einem Menschenleben (oder im kirchlichen Leben) göttlich vorwärts geht oder ob trotz allen Eiferns und Hastens Stillstand herrscht. Man müsste taub und fühllos sein, wenn man das nicht merkte.

Das Wirken des Heiligen Geistes ist nicht zu berechnen; man kann darüber auch nicht verfügen

Aber so deutlich man das Wirken des Geistes spüren kann, wenn es da ist, so wenig kann ein Mensch über dieses Wirken verfügen oder berechnen, woher es komme oder wodurch es zu erlangen wäre. »Du weisst nicht, woher er kommt.«

Das heisst in bezug auf Nikodemus: Du berühmter Theologe und kirchlicher Würdenträger weisst Bescheid in allen theologischen und kirchlichen Fragen. Du beherrschst alle zeitgenössischen Methoden der Forschung, du bist ihnen vielleicht vorausgeeilt. Du kennst alle Zweige der kirchlichen, missionarischen, diakonischen Arbeit und stehst überall an führender Stelle. Aber meinst du, es stände fest, dass von alledem Heiliger Geist ausgeht? Meinst du, es liesse sich organisieren oder ausklügeln, wie man ihn erlangt?

Wissenschaftliche Methoden, Fachzeitschriften, Bibliotheken, Spezialbildung, Schulungswochen, meisterhaft organisierte Konferenzen mit höchstbetitelten Leitern, Gemeinschaftsverbände und Gemeindepflege, weihevolle Gottesdienste mit tiefgründigen Predigten und wundervoller Liturgie, hervorragend geleitete Anstalten, Evangelisationen samt allen Zweigen der Inneren Mission - meinst du, es wäre im voraus zu berechnen, dass von dem allen göttliche Wirkungen ausgehen? Denkst du, man könne den lebendigen Gott in solche Unternehmungen einfangen? Kannst du wissen, ob du vor der Überraschung gesichert bist, dass Gottes Winde, wenn sie einmal wehen, ganz woanders herkommen? Ob nicht vielleicht der Geist Gottes an ihnen vorübergehen wird?

Es ist nie vorher abzusehen, wohin das Wirken des Heiligen Geistes führt

»Du weisst nicht, woher er kommt und wohin er fährt.« So ist es mit jedem aus dem Geist Geborenen. Es ist nie vorauszuberechnen, wohin es führt und wieweit die Wirkung reicht, wenn ein Mensch unter der Leitung des göttlichen Geistes etwas tut.

Dass ein schlichter, gänzlich unbekannter Mann im Gehorsam gegen die Weisung von oben etwas tut, kann grössere Wirkungen haben als glänzende Kirchenversammlungen. Die Reformkonzilien mit ihrem ganzen Aufwand an Menschen, politischen Machtmitteln, Gelehrsamkeit und anderem bringen die Kirche doch um keinen Schritt vorwärts. Zur Reformation kommt es dadurch, dass einer gehorsam ist.

Ein Mensch, der vom Geist geführt wird, fragt auch nicht und berechnet nicht, wohin sein Tun führt - er muss jetzt tun, was er tut, und überlässt alles übrige dem, der ihm dieses Tun zumutet. Alles Vorausberechnen, alle weitausschauenden Pläne, alles Wissen, wohin es führt, ist nicht aus dem Geist Gottes.

Der Heilige Geist ist den Zeugen Jesu für ihren Verkündigungsdienst verheissen (Apg. 1,8; 5,32). Die Gemeinde Jesu ist der Tempel Gottes, denn der Heilige Geist wohnt in ihr (1. Kor. 3,16). Der Geistbesitz ist notwendig für die Gemeinde Jesu, denn wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein (Röm. 8,9).

Die Einmütigkeit der Gemeinde ist Folge des Geistesempfangs (Apg. 1,14 und 2,46). Das einmütige Gemeindegebet wird dadurch erhört, dass sie alle voll des Heiligen Geistes werden (Apg. 4,31).

Es wird im Neuen Testament deutlich unterschieden zwischen den Einzelwirkungen des Heiligen Geistes und seiner den Menschen umschaffenden Generalwirkung

Das Neue Testament zeigt uns zweierlei Wirken des Heiligen Geistes: einmal Einzelwirkungen. Der Geist gibt Menschen einzelne besondere Gaben oder Erleuchtungen für bestimmte Aufgaben: so den Propheten im Alten Testament und Johannes dem Täufer; Petrus wird vor dem Tod Jesu die Erkenntnis gegeben, dass sein Meister der Christus Gottes ist. Simeon erhält die Gewissheit, dass er den Messias sehen wird. Sogar der Hohepriester Kaiphas hat in einem Augenblick eine Eingebung des Heiligen Geistes (Joh. 11,51).

Von diesen Einzelwirkungen zu unterscheiden ist die Generalwirkung des Geistes, die in der Neugeburt der Person, in einem Umgestalten des Menschen besteht (Joh. 3,3.5). Der Mensch erhält im Kern seines Wesens einen mächtigen Zustrom göttlichen Lebens, und von da aus gestaltet sich seine Art ganz ursprünglich und zwanglos göttlich.

Das ist nicht so zu verstehen, als ob einmal der neue Mensch geschaffen würde und nun fertig wäre; der Zustrom von oben ist ein fortwährender; das Wirken der schöpferischen Kräfte des Geistes dauert an. Daher auch die Mahnung an die vom Geist Erfassten, sie sollen im Geist wandeln (Gal. 5,16); dasselbe meint Jesus, wenn er sagt, die den Anschluss an ihn haben, sollen an ihm bleiben.

»Auch für Paulus ist das grundlegende Werk des Heiligen Geistes dies, dass er uns die Augen und Herzen öffnet für Jesus« (Eduard Schweizer).

Der Heilige Geist bringt nicht den Rausch mystischer Vereinigung. Er zeigt dem Menschen seine unüberschreitbare Grenze, er macht ihn verantwortlich vor Gott

Über die göttliche Fülle, die der Geist mitteilt, kann der Mensch aber nicht eigenmächtig verfügen. Der Geist bewirkt es, dass Gott im Menschen wohnt, aber er macht es auch, dass der Mensch vor Gott steht.

Der Geist stellt den Christen vor Christus, den souveränen Herrn (1. Kor. 12,3). Dadurch ist der eigenmächtige Gebrauch der verliehenen neuen Lebenskräfte ausgeschlossen. Dadurch kommt über den Christen immer aufs neue der Schauer der Ehrfurcht und der Ernst des Gehorsams.

Der Heilige Geist bringt dem Menschen die nächste Nähe Gottes, aber er macht zugleich den Abstand riesengross; er wirkt Seligkeit, aber auch Furcht und Zittern; er macht die Gottheit ganz immanent, aber auch ganz transzendent.

Der Heilige Geist macht nicht unverantwortlich, nicht passiv, sondern aktiv; er schaltet die menschliche Person nicht aus, sondern stellt sie in den Dienst. Weil durch ihn Gott im Menschen schafft, gibt der Mensch sein Bestes her (Phil. 2,13). Der Geist ertötet nicht die menschliche Eigenart. Diese Wirkung hat zu allen Zeiten die gesetzliche, gottferne Frömmigkeit gehabt (Buddhismus, jesuitische Exerzitien, religiöse Mystik).

Der Heilige Geist befreit die ursprünglichen Kräfte im Menschen, das göttliche Original in ihm. Wo Heiliger Geist ist, da ist Gemeinde

Der Geist entfesselt die ursprünglichen Kräfte im Menschen und holt das Original aus ihm hervor; er bringt nicht Neuschöpfung im allgemeinen: er stellt jedesmal diesen Menschen in seiner gottgewollten Art wieder her.

Damit hängt es auch zusammen, dass der Geist den verschiedenen Gliedern der Gemeinde ganz verschiedene Gaben gibt (1. Kor. 12). Aber eben diese Wiederherstellung des durch Adams Fall verlorenen Ebenbildes Gottes zu gleicher Gestalt mit dem Ebenbild des lieben Sohnes (Röm. 8,29) ist die Neuschöpfung (2. Kor. 5,17). Ist jemand durch den Heiligen Geist mit Christus verbunden, so ist er eine neue Schöpfung.

Und zuletzt: Der Geist, wenn er als die umschaffende Schöpfermacht kommt, schafft nicht einzelne Gottesmenschen, sondern eine Gemeinde. Wenn der Geist kam, ist die Gemeinde da und braucht nicht erst organisiert zu werden (Apg. 2).

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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