Umstrittene Religionsfreiheit

Adliswil und St. Gallen geben zu Denken

Der Rausschmiss des Kindertreffs aus einer St. Galler Schule und das Verbot religiöser Symbole für Gemeindeangestellte in Adliswil haben nur vordergründig nichts miteinander zu tun.
Die Stiftskirche in St. Gallen

Nach dem Protest einer Mutter und einem kleinen Pressewirbel wurde in St. Gallen einem Kindertreff die weitere Benutzung eines Schulzimmers verboten, weil darin aus der Bibel vorgelesen und biblische Geschichten erzählt wurden. In Adliswil darf der Stadtrat neu seine städtischen Mitarbeiter darauf verpflichten, auf politische, religiöse oder weltanschauliche Aussagen und Symbole bei Einrichtungen und der Kleidung zu verzichten, nachdem die Stimmbevölkerung ihn dazu legitimiert hat.

Ein Rundumschlag

In Adliswil scheint das viel diskutierte Kopftuch Stein des Anstosses zu sein. Weil die Gemeinde aber nicht einseitig Musliminnen Verbote auferlegen will, richtet sich das Reglement jetzt generell gegen religiöse Symbole. Der demokratische Entscheid sei zu respektieren, sagt dazu Simon Spengler, Bereichsleiter Kommunikation und Kultur der katholischen Kirche im Kanton Zürich, gegenüber der Agentur kath.ch. «Es bleibt zu hoffen, dass das neue Statut wirklich mit Augenmass angewandt wird», fügt er hinzu.

Staatliche Neutralität oder Gleichgültigkeit?

Gleichzeitig warnt der Theologe und Journalist, dass die Verdrängung alles Religiösen in die Privatsphäre die Gefahr berge, «dass sich die postulierte staatliche Neutralität zur Gleichgültigkeit entwickelt». Und er weist darauf hin, dass bei einer strengen Auslegung des Statuts nicht nur muslimische Kopftücher verboten werden könnten, sondern auch die jüdische Kippa und das christliche Kreuz. Zur Religionsfreiheit gehöre aber das Recht, sich zu seinem Glauben zu bekennen – nicht nur im Privaten. Dieses Recht stehe allen zu: Christen, Juden und auch Muslimen oder Angehörigen anderer Religionen, betont Spengler. Fazit: Die Tendenz, sich gegen religiöse Symbole von Muslimen zu wehren und Volksmehrheiten für Verbote zu gewinnen, führt in der Konsequenz auch zum Verbot christlicher Symbole in der Öffentlichkeit. Adliswil ist ein Beleg dafür.

War der Rauswurf vermeidbar?

Etwas anders und doch ähnlich verhält es sich mit dem Schulzimmer-Verbot in St. Gallen. Auch dort würde man wohl nicht eine christliche Veranstaltung rauswerfen, wenn man nicht riskieren müsste, dass auch strenggläubige Muslime das Recht beanspruchen würden, in einem Schulraum Koranunterricht zu erteilen. Vielleicht hätte die Kinderarbeiterin den Rauswurf vermeiden können, wenn sie vorher mit dem Schulleiter gesprochen und eine Vereinbarung getroffen hätte, was in einem Schulraum noch drin liegt, ohne das geltende Reglement zu verletzen. Es wäre ein Hohn, wenn es in einem Land, das sich auch auf christliche Wurzeln beruft, nicht erlaubt sein sollte, in der Schule aus der Bibel zu zitieren. Steht die öffentliche Meinung wirklich hinter einem solchen Verbot?

Dringende Frage

Zum Fall Adliswil sagt Giuseppe Gracia, Medienbeauftragter des Bistums Chur, gegenüber kath.ch, bei diesem Entscheid gehe es «im Kern um eine potentielle Normenkollision zwischen dem staatlichen Neutralitätsgebot und der Religionsfreiheit». Es gehe um die Frage: Was ist im jeweiligen Fall höher zu gewichten, die Freiheit der Einzelnen oder das staatliche Gebot? «Diese Fragen werden in Zukunft dringlicher werden», findet Gracia. Man müsse darüber vermehrt öffentlich debattieren, um den Herausforderungen auf demokratischem Weg zu begegnen.

Was heisst hier Toleranz?

Hier sind zwei Lager in Sicht, die entweder die Religionsfreiheit und das Recht auf Kreuze, Kopftücher, Kirchtürme und Minarette beanspruchen oder aber ihren Kampf gegen jegliche religiöse Symbole in der Öffentlichkeit und in öffentlichen Räumen fortführen. Wer die Symbole einer andern Religion entfernen, aber die christlichen schützen möchte, wird je länger je mehr ein Verbündeter von Agnostikern, religiös Distanzierten oder bekennenden Atheisten sein. Wem Kreuze in Schulzimmern und auf Bergen wichtig sind, wird im Sinne einer echten Toleranz auch Kopftücher und andere muslimische Symbole ertragen müssen. Schon Jesus stiess zu seinen Lebzeiten auf der Erde ständig auf Symbole, die auf einen Kaiser hinwiesen, der sich zum Gott gemacht hatte. Doch das hinderte ihn nicht daran, den Sohn eines römischen Hauptmanns zu heilen.

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Datum: 08.06.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / kath.ch

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