Theologieprofessor Yong

«Karfreitag und Ostern geben uns Hoffnung in allen Nöten»

Welche Relevanz haben Karfreitag, Ostern und Pfingsten für uns? Wir fragten Amos Yong. Der Professor für Theologie und Mission am Fuller Seminary in Pasadena ist im Juni Gastreferent an den Studientagen in Fribourg.
Amos Yong

Amos Yong, wie erklären Sie einem Menschen, der nichts mit Glaube und Kirche am Hut hat, die Bedeutung von Karfreitag und Ostern?
Es fällt manchmal schwer, die Bedeutung von Ereignissen zu erkennen, die vor 2000 Jahren stattfanden und zudem mit religiösen Traditionen verbunden sind, die als Mythen abgetan werden. Die Skepsis ist nachvollziehbar. Doch ich bin überzeugt, dass die Berichte von Karfreitag und Ostern ihre Kraft bewahrt haben. Sie befähigen uns, das Leben mitten in all seinen Tragödien und Schmerzen fortzuführen. Der Tod verschont keinen. Durch Karfreitag wissen wir: Wir sind im Tal der Todesschatten nicht allein. Gott ist bei uns in und durch Jesus – ja, Jesus selbst erfuhr unsere Einsamkeit am Kreuz. Und Ostern sagt uns, dass auf die Dunkelheit und den Schmerz unserer «Freitage» die Leichtigkeit und das Licht der «Sonntage» folgen! Karfreitag und Ostern geben uns Hoffnung mitten in allen Nöten. Auch wenn wir es schwierig finden sollten, im 21. Jahrhundert an Gott zu glauben – ohne Hoffnung gehen wir verloren. Der christliche Glaube lädt uns ein, auf eine Person zu hoffen – durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Ostern geht der Himmelfahrt und Pfingsten voraus. In welchem Sinn legt die Auferweckung von Jesus durch den Geist Gottes den Boden für das Leben der Kirche und ihren Dienst in der Welt?
Der Apostel Paulus bringt es auf den Punkt: «Wenn der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt» (Römerbrief, Kapitel 8, Vers 11). Das heisst: Durch den Glauben haben wir teil am göttlichen Leben. Es ist im, durch und aus dem göttlichen Hauch, dem Geist. Die Kirche ist der Leib Christi und beseelt als Gemeinschaft des Geistes. Es ist diese Ausgiessung des Geistes «auf alles Fleisch» an Pfingsten (Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 17), welche die Menschen als das Volk Gottes belebt – von Jerusalem durch Judäa und Samaria bis zu den Enden der Erde (Kapitel 1, Vers 8).

Wir feiern Ostern und sieben Wochen später Pfingsten. Wie hilft uns Pfingsten, vertiefter zu erfassen, was mit Jesus in der Auferstehung geschah?
Der Pfingstbericht zeigt: Jesus fuhr nicht einfach in den Himmel auf, sondern, wie es Petrus ausführte: «Er ist nun zur Rechten Gottes erhöht und hat vom Vater die verheissene Gabe, den heiligen Geist, empfangen, den er jetzt ausgegossen hat, wie ihr seht und hört» (Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 33, Zürcher Übersetzung). Das bedeutet, dass der auferstandene Christus für uns aktiv ist – auch jetzt. Dass er unser Leben überfluten will mit dem göttlichen Atem, dass er uns befähigen will, von ihm Zeugnis abzulegen und seine Botschaft von der anbrechenden Herrschaft Gottes (Kapitel 1, Vers 6) weiterzutragen.

Der Geist ist am Pfingsttag auf die Jünger von Jesus gekommen und hat sie erfüllt. Welche Aspekte dieses Kommens sollten wir mehr bewegen und stärker gewichten?
Zweierlei. Zum einen legt Pfingsten nahe, dass der transzendente, überweltliche Gott auch in der Welt ist, über unseren Köpfen, aber auch in unseren Herzen (Römer 5,5). Diese Wahrheit von Pfingsten lässt denken, dass der Dualismus zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht absolut ist – auch wenn Schöpfer und Geschöpf getrennt bleiben. Zum anderen erkennen wir an Pfingsten, dass die Gabe des Geistes nicht nur gratis ist, sondern auch gleicherweise gewährt wird: für Männer und Frauen, Junge und Alte, Sklaven und Freie. Niemand ist ausgeschlossen von der Gabe, in der Gott sich selbst durch seinen Geist schenkt.

Wie beschreiben Sie das Verhältnis zwischen dem irdischen Wirken von Jesus und dem Wirken des Heiligen Geistes?
Lukas hat sowohl ein Evangelium wie die Apostelgeschichte verfasst. Er stellt uns Jesus als den Gesalbten, den Messias vor. Das ist er durch den Geist Gottes (Lukasevangelium, Kapitel 4, Verse 17-19). Mit anderen Worten: Die Jünger, die ermächtigt werden, von den wunderbaren Taten Gottes Zeugnis abzulegen, tun dies, wie es Jesus getan hat. Paulus sagt in Cäsarea: «Ihr kennt Jesus von Nazareth und wisst, wie Gott ihn mit heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat; er zog umher und tat Gutes und heilte alle, die vom Teufel unterdrückt wurden, weil Gott mit ihm war» (Apostelgeschichte, Kapitel 10, Vers 38). Das Lukas-Evangelium stellt uns das Paradigma und den Archetypus des vom Geist erfüllten Lebens in Jesus dar – das Modell, welches seine Nachfolger nachahmen, und dies nicht aus eigener Kraft, sondern durch denselben Geist, den er empfangen und dann auf sie ausgegossen hat.

Was lernen Sie aus den Evangelien und der Apostelgeschichte für heutige ökumenische Bemühungen, gerade im Jahr des Reformationsjubiläums?
Mit seinem befreienden Wirken setzt der Heilige Geist fort, was Jesus tat. Jesus war gesalbt, «Gefangenen Freiheit und Blinden das Augenlicht zu verkündigen, Geknechtete in die Freiheit zu entlassen» (Lukasevangelium, Kapitel 4,Ves 18). Das ist die Sendung der Kirche in die Welt, und dies nicht auf der Basis ihrer denominellen Institutionen. Von der geistbegabten Kirche sagt Paulus: «Denn durch einen Geist wurden wir ja alle in einen Leib hineingetauft, ob Juden oder Griechen, ob Sklaven oder Freie; und alle wurden wir getränkt mit einem Geist» (1. Korintherbrief, Kapitel 12, Vers 13). Das lässt keinen Raum für Parteigeist und Querelen. Es gibt nur den einen weltumspannenden – in diesem Sinne katholischen – Leib, durch den lebendigen Geist Gottes.

Wie kann das Miteinander der Kirchen vorankommen und die Gemeinschaft, die koinonia, tiefer werden?
Ich glaube, dass Pfingstler beigetragen haben zu dem, was man zunehmend als post-denominelle Welt wahrnimmt. Es entstehen Netzwerke und Bündnisse von Kirchen, die nicht durch Lehre, sondern durch Sendung verbunden sind: Eine Sendung, die nach meinem Dafürhalten initiiert und getragen wird durch die Erfahrung des Heiligen Geistes, um der Welt Zeugnis zu geben. Neue Formen ökumenischer Beziehungen wachsen organisch. Das gemeinsame Werk des Geistes in unseren Herzen und Kirchen macht fähig, uns mit anderen zusammenzuschliessen um der Sendung des Evangeliums willen.

In der Schweiz sind vor 500 Jahren reformierte Kirchen entstanden. Welche Möglichkeiten und Wege sehen Sie für den Dialog zwischen pfingstlichen und reformierten Theologen?
Der Verfasser einer Doktorarbeit, die eben an einer Universität in Neuseeland eingereicht wurde, bezieht Calvin und pfingstliche Theologie aufeinander. Nach seiner Meinung kann Calvins Auffassung der Einheit im und durch den Heiligen Geist fruchtbar erweitert werden im Dialog mit dem pfingstlichen Verständnis der Taufe im und vom Heiligen Geist. Es gibt noch reformierte Kirchen, die, wenn nicht durch Lehrsätze, so doch in ihrer Praxis vorgeben, der Heilige Geist sei seit der Abfassung des Neuen Testaments nicht mehr mit den Gaben der neutestamentlichen Zeit aktiv. An dieser Front können Pfingstler ihre reformierten Kollegen herausfordern, die Bibel und das, was Gott in der weltweiten Kirche heute tut, neu zu betrachten.

Wie kann ich das Wirken des Geistes in Traditionen erkennen, die mir nicht vertraut sind? Wie unterscheide ich?
Eine wichtige Frage. Unterscheiden können wir nur auf der Basis dessen, was wir wissen. Und eben das Wissen fehlt uns bei anderen Traditionen. Ein Weg in diesem Dilemma ist es, die grundlegenden biblischen Berichte neu zu betrachten und zu erkennen, wie Gott seine Menschen – wenn sie auf Fremde trafen – immer und immer wieder überraschte. Wie wurde Israel durch seine Wanderungen geformt? Wie wurde die Weisheit anderer Kulturen aufgenommenund angeeignet in den eigenen Heiligen Schriften? Wie fanden die aus der Heimat deportierten Judäer Gott in der Fremde? Und: Die ersten Christen migrierten übers Mittelmeer. Wie brachte der Heilige Geist Gottes Wahrheit ans Licht, wenn sie Fremden begegneten? Wenn ich beim Bibellesen auf diesen Aspekt achte, beginne ich zu sehen, wie der Geist in und durch andere wirkte, um diejenigen zu verwandeln, die Gott suchten und ihm dienen wollten. Und das weckt meinen Glauben, dass dies auch im heutigen Pluralismus geschehen kann.

Wie sehen Sie Gott und seinen Geist heute am Werk in den Kulturen und Religionen der Welt?
Der Heilige Geist ist auch der Schöpfer-Geist, der menschlichen Geschöpfen den Atem des Lebens gibt. Insofern können wir sagen, dass der Geist in Menschen Kreativität freisetzt. Wir sehen das etwa in Bezalel und Oholiab (2. Mose, Kapitel 31, Verse 3-5; Kapitel 35, Verse 30-33). Kulturelle Errungenschaften können als vom göttlichen Atem gehaucht wahrgenommen werden. Wenn wir einräumen, dass alles Wahre, Gute und Schöne seine Quelle letztlich im dreieinigen Gott hat,können wir im selben Sinn anerkennen, dass Wahrheit,  Güte und Schönheit in kulturellen, geschichtlichen und auch religiösen Traditionen vom Göttlichen herrührt, durch den Schöpfer-Geist. Das gibt uns einen Boden dafür,dass wir in den Dialog eintreten und kritisch unterscheiden können. Und das ist möglicherweise auch die Ebene für das Ringen um Gerechtigkeit in einer gefallenen Welt.

Wenn Sie Kalifornien mit Europa vergleichen – was sticht ins Auge?
Die Globalisierung, dass unsere Welten nicht so verschieden sind, wie wir meinen. Die Migration schafft hier wie dort Räume und Zeiten des Austauschs von Kulturen und Völkern und des Aufeinandertreffens verschiedenerGlaubensformen. Wenn Kalifornien demokratisch undnicht republikanisch wählt, gleicht es Europa. Populisten gibt es auch bei uns – und abseits der Zentren, fern der Küsten mit vielen Migranten, leben Konservative. Daher haben wir wohl mehr gemeinsam und mehr voneinander zu lernen, als wir denken.

Sie kommen nach Fribourg zu den Studientagen mit dem Thema «Komm, Heiliger Geist». Wonach sehnen Sie sich – im Horizont unserer Kirchenlandschaft, wenn Sie beten: «Komm, Heiliger Geist»?
Ich sehne mich danach, die Verwandlung unserer sündigen Gewohnheiten zu erleben und dass unsere selbstbezogenen Wünsche neu ausgerichtet werden. Und dass ich in dieser Welt die Realität der verheissenen und anbrechenden Herrschaft Gottes über die Schöpfung bereits schmecken kann.

Dieses Interview ist aus dem Wochenmagazin ideaSpektrum. Hier können Sie es abonnieren.

Zum Thema:
Dossier Ostern

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Datum: 16.04.2017
Autor: Peter Schmid
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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