Warum musste Jesus Christus sterben?

Schaf

Beim Kreuz geht es um mehr als um ein belangloses Symbol. Das Kreuz ist das Wahrzeichen des schrecklichen Foltertodes, zu dem Jesus Christus verurteilt worden ist. Gleichzeitig ist es das christliche Siegeszeichen schlechthin. Schon der Apostel Paulus hat den Christen in Korinth geschrieben, dass die Botschaft vom gekreuzigten Jesus für Heiden und Griechen eine Torheit und für Juden ein Ärgernis sei (vgl. 1. Kor. 1,18.22-23). Wenn der allmächtige Gott sich in seinem Sohn bis zum Tode am Kreuz erniedrigt, widerspricht das allen geläufigen Vorstellungen von Macht und Herrlichkeit Gottes. Vollends abwegig aber scheint es zu werden, wenn man diesen Gang Gottes in die Tiefe des Leidens auch noch als "Heilsgeschehen" bezeichnet. Eine so widersinnige Botschaft war und ist nichts für Frauen und Männer, die gelernt haben, kritisch über Gott, die Welt und sich selbst nachzudenken. Das war schon in biblischen Zeiten so und ist bis heute so geblieben.

"Triftige Gründe" für Urteil gegen Jesus

Für Juden kam und kommt noch erschwerend hinzu, dass Jesus aus triftigen Gründen zum Tode am Kreuz verurteilt worden ist. Der Hohepriester und die jüdischen Oberen hatten die Überzeugung gewonnen, dass Jesus ein Verführer Israels und ein falscher messianischer Prophet sei. Darum haben sie ihn bei Pilatus angezeigt, und der römische Statthalter ist gegen den angeblichen Aufwiegler genauso vorgegangen, wie es die Römer damals mit allen anderen jüdischen Widerstandskämpfern gemacht haben, deren sie habhaft werden konnten. Juden und Römer haben Jesu Anspruch, der Sohn Gottes zu sein, für religiös und politisch unerträglich gehalten.

Als Jesus am Kreuz hing und nicht zum Erweis seiner göttlichen Vollmacht vom Martergalgen herabstieg, war das Urteil des Gesetzes unumstößlich: "Ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott" (5. Mose 21,23). Für fromme Juden stand und steht deshalb über dem Kreuz auf Golgatha nicht nur die römische Inschrift: "Der König der Juden" (vgl. Mark 15,26), sondern auch noch das Gottesurteil: Er ist verflucht! Wenn die Christen einen von Gott Verfluchten als Retter und Herrn verkündigen, ist dies bis heute für sie zutiefst anstößig. Völlige Verlassenheit

Das Neue Testament hat die Hinrichtung Jesu auf Golgatha als unumstößliche Tatsache vor Augen und verschweigt ihre bitteren Umstände nicht. Nach Markus 15,34 und Matthäus 27,46 ist Jesus in völliger Verlassenheit gestorben. Zum Schluss hat er nur noch gerufen: "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" Bei diesem letzten Ruf Jesu handelt es sich um den Eingangssatz von Psalm 22. Das ist wichtig. Psalm 22 gehört nämlich zur Gruppe der Dankpsalmen: Die erste Hälfte des Psalms (Verse 1-22) schildern die Not, die der Beter hat durchleiden müssen, die zweite Hälfte aber (Verse 23-32) dankt für die wunderbare Errettung, die er erfahren hat und nun mit der Gemeinde feiern will.

Die Evangelisten Markus und Matthäus berichten also, dass Jesus zwar in tiefer Verlassenheit, aber in der Gewissheit gestorben ist, von Gott aus seiner Todesnot errettet zu werden: Gott hat das Leidensgeschick Jesu wunderbar gewendet und durch den Opfergang seines Sohnes sein Reich aufgerichtet (Ps 22,29).

Das Siegeszeichen

Es gibt noch andere Kreuzigungsdarstellungen im Neuen Testament. Nach Johannes 19,25-30 haben zu Füßen des Kreuzes Jesu zwei Menschen ausgeharrt: die Mutter Jesu und der Jünger, den Jesus lieb hatte. Als Jesus fühlt, dass sein Ende nahe ist, vertraut er dem Jünger das Sorgerecht über seine Mutter an, lässt sich die Lippen mit Essigmost netzen und gibt sein Leben an Gott zurück mit dem Ruf: "Es ist vollbracht." Von Gottverlassenheit ist in diesem Bericht nichts spürbar. Vielmehr geht es um die Vollendung des Werkes, das Jesus auf Erden zu vollbringen hatte: Jesus hat der Welt offenbar gemacht, dass Gott die Liebe ist. Er hat das Leiden auf sich genommen, um dem Vater gehorsam zu sein und die Seinen bis zum Ende zu lieben. Nun ist das Ende gekommen, und es geschieht, was in Jesaja 55,11 von Jesus geschrieben steht: " … das Wort, das aus meinem Mund geht, … wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende."

Der Kreuzestod ist kein Scheitern!

"Es ist vollbracht" heißt also: Der göttliche Auftrag Jesu auf Erden ist zu dem von Gott gewollten Ziel gebracht. Am Kreuz ist Jesus nicht gescheitert. Vielmehr hat er seine Aufgabe auf Erden vollendet und kehrt nunmehr zu seinem himmlischen Vater zurück. Deshalb dürfen seine Jünger und Freunde angesichts des Kreuzes bekennen, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (vgl. Joh. 14,6).

Am Kreuz bekommen wir, wie Martin Luther gesagt hat, die erschreckende "Rückseite Gottes" zu sehen. Wenn wir sie mit Furcht und Zittern wahrgenommen haben, gibt sich Gott aber auch als der Gott zu erkennen, der uns durch den Kreuzestod Jesu gesegnet hat wie nie zuvor. Paulus schreibt, das Wort vom Kreuz sei zwar für Heiden ein Unsinn und für Juden ein Ärgernis, "uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft" (1. Kor. 1,18). Was meint er damit? Stellvertretendes Opfer

Der Apostel hat nicht bestritten, dass Jesus am Kreuz unter dem Fluch Gottes gestorben ist (vgl. Gal. 3,13). Aber er hat hinzugefügt, dass dieser Tod von Gott gewollt war. Jesus war vor Gott unschuldig, hat aber den Kreuzestod aus Liebe zu all denen auf sich genommen, die vor Gott schuldig sind. Nach Paulus ist er stellvertretend für uns zum Fluch geworden. Das Kreuz dokumentiert also, dass wir Sünder Gott das Opfer seines eigenen Sohnes wert waren.

Wie Jesus sein Leiden verstand Jesus hat sein Ende auf Golgatha kommen sehen. Er ist ihm nicht ausgewichen, sondern hat seine Jünger gelehrt, wie sie es begreifen sollen. Das zeigen seine Leidensweissagungen (Mark 8,31-33; 9,31-32; 10,32-34). In ihrem Hintergrund stehen Psalm 118,22 und zwei Stellen aus dem Jesajabuch. An sie hat sich Jesus gehalten. In Jesaja 43,3-4 ist die Rede davon, dass Gott selbst für das zutiefst verschuldete Gottesvolk Israel ein Lösegeld schaffen will, und in Jesaja 53,12 sagt derselbe Gott von dem stellvertretend für Israel (und die Heiden) leidenden Gottesknecht: "Deshalb gebe ich ihm die Ehre, die sonst nur mächtige Herrscher erhalten....So wird er belohnt, weil er den Tod auf sich nahm und zu den Verbrechern gezählt wurde.

Doch er hat viele von ihren Sünden erlöst, denn er liess sich für ihre Verbrechen bestrafen." Wenn man diese beiden Jesajaworte zusammennimmt, kann man erkennen, wie Jesus seinen Leidensweg verstanden hat: Er hat sich als den leidenden Gottesknecht verstanden und sein Leben als das von Gott zur Hingabe für Israel ausersehene Lösegeld angesehen. Der Ausspruch Jesu in Mark 10,45 bestätigt dies: "Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele."

Wer bezahlt das Lösegeld?

Die Notwendigkeit des Opfertodes Jesu wird einsichtig, wenn wir eingestehen, dass wir vor Gott ohne das Lösegeld, das er selbst war, verloren sind. In Psalm 49,8-9 heißt es: "Niemand kann sich selber erretten, niemand Gott ein Lösegeld zahlen. Allzu hoch wäre der Preis für sein Leben, keiner vermag ihn jemals zu zahlen, dass er immerdar lebe und nicht schaue die Grube." Auf seinem letzten Weg nach Jerusalem hat Jesus diese Aussage des Psalmisten noch einmal bekräftigt und gesagt: "Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?" (vgl. Mark 8,36-37). Rettung gibt es für einen um seiner Sünden willen im Endgericht angeklagten Menschen nur, wenn Gott selbst für ihn ein Lösegeld bereitstellt und wirksam macht.

Unsere Schuld zählt nicht mehr Weil er auf Golgatha tatsächlich zum Lösegeld geworden ist und Gott ihn am dritten Tag von den Toten auferweckt hat, kann Jesus seit dem Ostertag vor seinem himmlischen Vater für all die Menschen eintreten, die ihn als Herrn und Retter bekennen. Wenn sie vor dem Richterthron Gottes angeklagt werden, den Willen Gottes missachtet zu haben und deshalb unwürdig zu sein, in Gottes Reich eingehen zu dürfen, tritt Christus dafür ein, dass sein eigenes unschuldiges Todesleiden den Sündern zugute gerechnet wird: Weil er in Gottes Auftrag den Tod schon erlitten hat, soll uns Sündern dieses Vernichtungsgericht erspart bleiben, und weil wir ihm im Glauben zugehören und von seinem Geist durchdrungen sind, soll seine Gerechtigkeit statt unserer Schuld zählen (2.Kor 5,21). Paulus ist gewiss, dass diese Bitte Jesu bei Gott Gehör finden wird (Röm. 8,34).

Vom jüdischen Denken lernen Was wir geschrieben haben, erscheint heute vielen unverständlich. Aber dies ist kein hinreichender Grund, auf die biblischen Auskünfte zu verzichten. Im Gegenteil: Christen müssen sich heute mehr denn je der Aufgabe stellen, die jüdische Ausdrucks- und Denkweise, wie sie in der Bibel überliefert ist, zu respektieren und die Bedeutung des Kreuzes mit ihrer Hilfe in die moderne Zeit zu übersetzen. Wenn wir dies tun, können wir und unsere Zeitgenossen auch heute noch verstehen und bekennen, dass das Kreuz auf Golgatha das Wahrzeichen des schrecklichen Foltertodes Jesu und seines Sieges über Sünde und Tod ist.

Datum: 29.03.2002
Autor: Peter Stuhlmacher
Quelle: idea Deutschland

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service