Viel mehr als ein Buch

Wenn wir von einer "Bibel" sprechen, dann setzen wir bereits voraus, dass es sich um etwas handelt, das Autorität hat. Die "Hamburger Morgenpost" etwa spricht von einer "Bibel der hohen Kochkunst" und meint den Autor Alain Ducasse. "Die Zeit" sprach von der "Bibel der Liberalen" und meinte damit Adam Smiths Volkswirtschaftslehre. "Bibel" hat also Autorität. Aber worin liegt die Autorität der Bibel begründet?

Die Erfahrung

Es gibt schlechte und gute Wege, um die Autorität der heiligen Schrift zu begründen: 1. Die christliche Erfahrung: Im Protestantismus - und zwar nicht nur im liberalen - ist man weithin geneigt, "sich nichts vorglauben zu lassen, sondern nur zu glauben, was man selbst persönlich im eigenen Inneren erlebt hat" (D. F. Strauss). Manche Charismatiker überlassen es der aktuellen Begegnung mit dem Wort, was für sie als Gottes Wort "heute" gelten soll und was nicht. Landesbischof Gerhard Maier schreibt: "In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass der Mensch zum Fundament der Schriftautorität werden muss. So wertvoll die Erfahrung aber als ein Zeugnis für die Schriftautorität bleibt, so wenig ist sie doch als deren Fundament geeignet."

Der Sachgehalt

2. Die zweite Möglichkeit, die Autorität der Bibel zu begründen, könnte man in ihrem Sachgehalt finden: Sie sagt uns Dinge, die offensichtlich für unser Leben und Sterben von grosser Bedeutung sind, und die wir uns nicht selber sagen können. Doch auch hier ist zu fragen, ob nicht letztlich der Mensch auswählt, was von Bedeutung sein darf und was nicht. Zwar kann man zu Recht darauf verweisen, dass die Bibel zum Glauben leitet, Heilsgewissheit schenkt, Gemeinde gründet. Ja, durch Erfahrungen wächst unser Vertrauen zur Schrift. Aber auch hier gilt: Alle Erfahrungen sind zweideutig. Andere mögen entgegengesetzte Erfahrungen machen; meine Erfahrungen können sie nicht überzeugen. Über die Berechtigung unseres Glaubens daran, dass die ganze Bibel das Wort Gottes ist, lässt sich aufgrund von Erfahrungen nicht entscheiden.

Das Selbstzeugnis

3. Im Gespräch unter Christen bringt uns erst die Herleitung der Autorität der Bibel durch ihr Selbstzeugnis entscheidend weiter: Gott hat geredet - und inspirierte Menschen haben es auftragsgemäss aufgeschrieben.
Aber kommen wir damit nicht in einen Zirkelschluss: "Die Bibel ist Gottes Wort, weil sie sagt, dass sie Gottes Wort ist"? In der Tat: Für den Aussenstehenden gibt es kein Argument, das ihn zwingend von der göttlichen Qualität der Bibel überzeugen könnte. Jesus selbst formuliert den Zirkel einmal so: "Wer aus Gott ist, der hört die Worte Gottes. Ihr hört darum nicht, weil ihr nicht von Gott seid" (Johannes 8,47; vergleiche 6,29). Unsere Erfahrungen und das Selbstzeugnis der Bibel vergewissern die Gläubigen: Sie ist Gottes Wort! Für Ungläubige sind diese Zeugnisse eine Ermutigung und Einladung - nicht mehr. Solange sich der "natürliche Mensch" (1. Korinther 2) sagt - wie der Philosoph Immanuel Kant -, im Falle eines Widerspruchs zwischen Schrift und Vernunft solle die Vernunft entscheiden, bleibt ihm die Schrift eine Ansammlung religiöser und moralischer Lehren, und zwar solche, die neben den Lehren anderer Religionen bestenfalls gleichrangig sind. Erst wenn der Heilige Geist einen Menschen erleuchtet, öffnet sich ihm die ganze Schrift des Alten und Neuen Testaments als Wort des Dreieinigen Gottes. "Öffne mir die Augen, dass ich sehe, die Wunder an deinem Gesetz" (Psalm 119,18; vergleiche Sprüche 9,10). Als Gläubige dürfen wir das wunderbare Wort Jeremias über Gottes Reden entdecken: "Dein Wort ward meine Speise, sooft ich's empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost; denn ich bin ja nach deinem Namen genannt, Herr, Gott Zebaoth" (Jeremia 15,16).

Der eigentliche Zweck

Wir haben dieses Wort lieb, denn es ist ganz durchläutert (Psalm 119,140). Wir dürfen uns darüber freuen wie einer, der grosse Beute macht (Vers 162). Es ist uns ein Licht auf unserem Weg (Vers 105). Nichts Lieberes soll uns sein, als den Herrn durch sein Wort in unser Herz zu laden, indem wir Tag und Nacht darüber sinnen (wörtlich "murmeln" in Psalm 1,2; 119,148; Josua 1,8). Die Schrift ist uns gegeben, dass wir selig werden durch den Glauben an Christus Jesus, wie Paulus in 2. Timotheus 3,15-17 dem Timotheus übermittelt. Diese Stelle ist, zusammen mit 2. Petrus 1,19-21, eine wesentliche Grundlage für unser Schriftverständnis. Sie zeigt uns den Zweck, wozu Gott seiner Gemeinde die Bibel gegeben hat: "Die Schrift kann dich unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus. Denn die ganze von Gott eingegebene Schrift ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt."

Die Wirkung

Das ist der Zweck, zu dem Gott den Menschen die Bibel gegeben hat!
Zu diesem Zweck also ist die Bibel:
- Klar: Aus der Schrift geht eindeutig hervor, wie Gott den Menschen sucht und findet.
- Genug: Andere Lehren hinzuzusetzen ist zum Heil nicht nötig. "Nicht über die Schrift hinaus, dass sich keiner über den anderen aufblase!" (1. Korinther 4,6)
- Wirksam: Wenn wir sie lesen oder verkündigt hören, wirkt dies Glaube und Gehorsam oder Unglaube und Verstockung. Die Schrift ist "Heilsmittel".
- Autoritativ: Sie ist Quelle und Massstab der Lehre und des Lebens der Kirche.

Die Blickrichtung

Man sollte aus der Schrift nicht nur die historischen Informationen über ein vergangenes Damals gewinnen. Wo sie diese gibt, da vertrauen wir ihr allerdings mehr als den Rekonstruktionen der Historiker, weil und sofern diese nicht mit dem Eingreifen Gottes in die Geschichte rechnen. Aber unser Anliegen ist, dass wir dem Fingerzeig der Bibel folgen, uns auf ihre Blickrichtung einlassen. "Wir sollen nicht auf die Zeugen blicken, sondern auf den Blick der Zeugen" (Johannes Rau). Wir blicken also, wenn wir die Schrift lesen, auf den, der sich uns durch sie zeigen will: auf Christus. Er ist die Mitte der beiden Testamente. Wie zwei Halbchöre weisen sie auf ihn. Das Alte Testament bezeugt ihn als den Kommenden, das Neue Testament als den Gekommenen.

Die Treue

Wir beten und lesen mit der Frage: Was gibt uns der Herr durch die Bibel zu glauben und zu leben? Nicht immer ergibt sich beim Lesen unmittelbar ein Tun. Wir sollten die zu enge Frage nach dem Tun beim Bibellesen öffnen dafür: Was gibt sie uns zu glauben? Die Bibel im Chrischona-Werk und in unserem persönlichen Leben: An unserer Treue zu ihr wird sich unsere Zukunft entscheiden.

Datum: 29.03.2002
Autor: Stefan Felber
Quelle: Chrischona Magazin

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