Christen in der Politik

Für die Freiheit politisieren

Freiheit ist ein beliebtes politisches Schlagwort – sowohl bei linken wie auch rechten Politikern. Freiheit ist aber auch ein Schlüsselwort des Reiches Gottes. Zwei christlich motivierte Politiker, Werner Messmer (alt-Nationalrat FdP) und Philipp Hadorn (Nationalrat SP), erklären, was sie unter Freiheit verstehen und wie sie die biblischen Perspektiven der Freiheit in ihr politisches Wirken einfliessen lassen.
Bundeshaus
Philipp Hadorn (Nationalrat SP)
Werner Messmer (alt-Nationalrat FdP)

Magazin INSIST: Biblisch ist es klar – Gott hat den Menschen mit einem freien Willen geschaffen. Er kann sich damit für oder gegen Gott entscheiden. Kann er sich auch für oder gegen die Politik entscheiden?
Werner Messmer: In einer freien Gesellschaft ist es jedem überlassen, wie er mit der Politik umgehen will. Allerdings kann sich niemand der Politik entziehen. Für Christen würde ich es aber ein wenig anders sagen. In der Bibel heisst es, dass wir die Obrigkeit anerkennen und für sie beten sollen. Die Israeliten wurden aufgefordert, sich für die Stadt, in die sie entführt worden waren, einzusetzen und dafür zu sorgen, dass es ihr gut geht. Von daher würde ich für Christen sagen: Nichts tun gilt nicht. Sie sollen sich für die Gesellschaft, in der sie leben, einsetzen. Wie dieser Einsatz aussieht, muss jeder für sich selber spüren.

Philipp Hadorn: Das kann ich weitgehend unterstützen. Wir haben einen freien Willen und können uns deshalb entscheiden, was wir tun wollen. Wer sich aber nicht für politische Themen einsetzt, vertritt damit auch eine politische Haltung. Er unterstützt nämlich die bestehenden Mehrheiten. Das ist den meisten gar nicht bewusst.

Jesus hat gesagt: «Wenn euch der Sohn frei macht, seid ihr wirklich frei.» Er hat damit sicher vorerst die Freiheit von der Sünde gemeint, die er durch seinen Tod am Kreuz und die Auferstehung grundsätzlich möglich gemacht hat. Hat diese Freiheit auch eine politische Bedeutung?
Philipp Hadorn: Diese Freiheit durch Christus gibt mir eine grosse Unabhängigkeit. Ich muss mich bei den Menschen nicht beliebt machen. Ich muss nicht ständig darum kämpfen, dass ich angenommen werde, weil ich weiss, dass Gott mich angenommen hat. Das gibt mir auch eine Freiheit gegenüber allen, die auf mich politisch Einfluss nehmen wollen. In dieser Unabhängigkeit kann ich mir überlegen, was aus meiner Sicht richtig ist. Das Geerdet-Sein auf dem Fundament von Christus gibt mir eine gewisse Narrenfreiheit. Und diese Freiheit schätze ich.

Werner Messmer: So wie Philipp Hadorn die Freiheit versteht, habe ich keine Probleme. Aber beim zitierten Vers von Jesus sehe ich absolut keine Verbindung zur Politik. Hier geht es um die Welt des Glaubens. Hier geht es um meine Freiheit von der Schuld. Jesus hat mich befreit, damit ich wirklich frei bin. Und das hat mit Politik und der Welt nichts zu tun.

Für den Reformator Martin Luther war klar, dass man die Bibel nicht 1:1 in die Politik übersetzen kann. Er unterschied zwischen zwei Reichen: dem Reich von Gott, in dem die biblischen Prinzipien gelten und dem Reich des Staates, in dem staatliche Regeln gelten. Trotzdem wurde auch er politisch tätig. Er stellte sich etwa im Kampf gegen die aufmüpfischen Bauern, die im Zuge der Reformation neu ihre Freiheiten entdeckten, auf die Seite des Staates und befürwortete die Kriege gegen die Bauern. Offensichtlich wollte er nicht, dass die Sache aus dem Ruder läuft. Ist Luther hier seiner Zwei-Reiche-Theologie nicht untreu geworden?
Philipp Hadorn: Ich habe mal gelesen, die Zwei-Reiche-Lehre sei später in das Wirken von Luther hineininterpretiert worden. Die Haltung von Luther im Bauernkrieg ist für mich enttäuschend. Er hat versucht zu zeigen, was Gnade aus der Sicht Gottes bedeutet. Wenn wir dann die Spielregeln der damaligen Gesellschaft anschauen, muss man sagen: Luther hat sich dem Fürsten angepasst, der ihn ernährt hat. Heute muss man sagen, dass wir immer ein Teil unserer Gesellschaft sind. Wir sollten diesen Teil nicht vom Glauben abtrennen sondern versuchen, Spielregeln zu schaffen, die wir auch vor Gott verantworten können.

Werner Messmer, Sie würden Luther mit seiner Trennung Recht geben. Wie schätzen Sie dann die Bauernkriege ein?
Werner Messmer: Um das beurteilen zu können, hätte ich dabei sein müssen. Ich akzeptiere aber seine Trennung zwischen Glaube und Staat. Der Staat hat absolut eine andere Aufgabe als das, was Christen und die Kirche zu tun haben. Der Staat sorgt für Recht und Ordnung, und dies nicht nach biblischen Grundsätzen. Die Welt wird von der Welt geführt und regiert. Viele Menschen haben ein Problem damit, das zu akzeptieren. Christen können durch ihren Glauben und ihre Gebete in der Gesellschaft und Politik einiges erreichen, das stimmt. Wir werden aber das Reich Gottes nie auf diese Erde bringen können oder miterleben, dass unsere Staaten biblisch geführt werden. In der Drogenpolitik hatte ich zum Beispiel Probleme mit meiner Partei. Als Christ wünsche ich mir eine drogenfreie Gesellschaft. Das ist nicht möglich. Der Staat aber ist verpflichtet, Lösungen zu suchen, um dieses Problem anzugehen.

Wenn wir Glaube und Politik nicht trennen, führt das dann nicht letztlich zu einem Gottesstaat?
Philipp Hadorn: Faktisch bin ich sehr nahe bei der Haltung, wie sie Werner Messmer vertritt. Ich bin juristisch ausgebildet und liebe gute Spielregeln. Der Staat muss gute Regeln machen. Als Christ beschäftige ich mich aus christlicher Sicht mit diesen Spielregeln. Es ist ein christliches Prinzip, Gleich- und Andersdenkenden einen Rahmen zu setzen, in dem sie sich entfalten können. Das ist nichts Unchristliches. Dabei muss ich auch Dinge ermöglichen – etwa beim Drogenkonsum – mit denen ich persönlich nicht immer voll übereinstimme. Wir brauchen nicht einen Gottesstaat. Den werden wir einmal in der Ewigkeit erleben.

Zwei engagierte christliche Politiker

Werner Messmer ist Inhaber einer Baufirma in Sulgen TG. Er war von 1999 bis 2011 Nationalrat der Freisinnig-Demokratischen Partei, die sich heute zusätzlich «Die Liberalen» nennt. Von 2003 bis 2014 war er Präsident des Schweizerischen Baumeisterverbandes. Kirchlich engagiert er sich in der Freien Evangelischen Gemeinde (FEG) Sulgen. Zur FdP kam er durch das Vorbild seines Vaters.

Philipp Hadorn ist Zentralsekretär der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV). Er ist Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei. Kirchlich engagiert er sich in der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) Gerlafingen und gehört auch der reformierten Kirche an. Die SP setzt aus seiner Sicht das Evangelium am besten in die Politik um.

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Datum: 27.04.2016
Autor: Hanspeter Schmutz
Quelle: Magazin INSIST

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