Theologe Thorsten Dietz

Sünde – was Menschen heute von Gott trennt

«Das Wort Sünde funktioniert nicht mehr. Statt irgendetwas zu erklären, bedarf dieser Ausdruck selbst der ständigen Erläuterung. Er produziert nur noch Missverständnisse …» Mit dieser These beginnt der Theologe Thorsten Dietz (45) sein Buch «Sünde. Was Menschen heute von Gott trennt».
Thorsten Dietz (Bild: tabor.de)
Cover von Thorsten Dietz' Buch

Mit dem Thema Sünde zielt Dietz, der Professor für Systematische Theologie an der deutschen Evangelischen Hochschule Tabor ist, auf einen zentralen Begriff des christlichen Glaubens. Im Blick hat er dabei all diejenigen, die «mit dem Thema Sünde Schwierigkeiten haben». Und er schafft es, den sperrigen biblischen Begriff ins Heute zu holen, ohne ihn zu relativieren oder langweilig zu werden.

Man kann und soll über Sünde reden – nur anders

Während manche denken, dass man den Begriff Sünde einfach weglassen sollte, weil er nicht mehr zeitgemäss ist, betont Dietz: «Meiner Erfahrung nach wird weder zu viel oder zu wenig von Sünde geredet, sondern oft falsch.» Deutlich kritisiert er einen unreflektierten Gebrauch des Wortes: «Aus der Sicht einer modernen Kritik wurde der Gedanke der Sünde benutzt, Menschen insgesamt als Sünder zu brandmarken und sie dadurch abzuwerten und zu entehren, um sie durch solche Entwertung beherrschbar und fügsam zu machen.» Wie ist es möglich, alle Menschen, vom Schwerstverbrecher bis zum Menschenfreund gleichermassen als Sünder zu bezeichnen und abzuwerten – und parallel zu behaupten, wir wären alle geliebt?

Dietz beschreibt in seinem Buch die Erfahrung, dass Menschen heute nicht mehr auf der Suche nach einem gnädigen Gott sind. Sie wissen um ihre Fehler und ihre Schuld, aber als erlösungsbedürftig sehen sie sich deswegen nicht. Sein Ansatz ist es, diesen «toten Winkel» zu erhellen, einerseits durch die Bilder und Gleichnisse der Bibel, andererseits durch archetypische Geschichten und Gestalten, wie sie uns im heutigen Kino vorgestellt werden.

Sünde macht Gott gross

Im Einstieg beschreibt Thorsten Dietz verschiedene Aspekte von Sünde, wie sie in der Kirchengeschichte verstanden wurden. Von Schuld bis zur Zielverfehlung beleuchtet er klassische Verständnisse des theologischen Begriffs. Typisch für diesen Abschnitt wie für das ganze Buch ist es, dass der Autor fundiert auf Hintergründe und Denkgeschichte eingeht und gleichzeitig gut verständlich und interessant formuliert. Zu jeder Zeit bleibt «Sünde» so konkret, dass sie etwas mit mir als Leser zu tun hat. Doch Dietz zeigt, dass es um mehr geht als um moralische Bewertung unseres Lebens. Sünde, wie er sie vorstellt, macht nicht den Menschen klein, sondern Gott gross.

Sünde heute

Blind. Hart. Süchtig. Selbstlos. Reich. Sicher. Träge. Anhand dieser Schlüsselbegriffe beschreibt Thorsten Dietz im Hauptteil des Buchs Auswirkungen von Sünde, wie wir sie heute kennen, wahrnehmen und selbst erleben. Im Kapitel «Süchtig» greift er zum Beispiel auf Fussballgeschichte zurück, indem er über die Kokainsucht von Christoph Daum genauso berichtet wie über die krankhafte Zockerei von Uli Hoeneß, der bis zum Schluss behauptete: «Ich halte mich nicht für krank… zumindest heute nicht mehr» und diesem Statement die Wahrnehmung von Florian Hoeneß entgegenstellt: «Ich darf sagen, dass die Familie dies ein bisschen anders sieht».

Dietz ordnet Sucht als Ohnmacht, Kontrollverlust und Masslosigkeit in den biblischen Befund ein. Er stellt ihr die Aufforderung der Bibel entgegen: «Zur Freiheit hat uns Christus befreit …» (Galaterbrief, Kapitel 5, Vers 1). Und das Ganze untermalt er mit der weithin bekannten Geschichte des Rings aus Tolkiens «Herrn der Ringe». Er zeigt an den Trägern des Rings, wie dieser abhängig macht, Persönlichkeiten verändert, Vertrauensbeziehungen zerstört – so wie es in jeder Sucht geschieht. Dietz verurteilt Sucht nicht moralisch als selbstverschuldete Willensschwäche. Er deutet sie als Sünde. Und betont: «In den Suchterkrankungen unserer Zeit zeigt sich etwas, was uns alle betrifft, dem gegenüber sich niemand als unbetroffen, ungefährdet oder unverführbar verstehen sollte.» Die Perspektive, die er zeigt, ist Freiheit. Eine Freiheit, die dadurch entsteht, dass man wie bei den Anonymen Alkoholikern anerkennt: «Sag, dass du es nicht mehr im Griff hast – dann wird dein Leben offen für Erlösung.»

Und es geht doch …

Wer nach plakativen Kurzerklärungen dafür sucht, warum er selbst richtig steht und der jeweils andere nicht, der sollte dieses Buch lieber nicht lesen. Denn Dietz hält seinen Leserinnen und Lesern einen Spiegel vor. Er entlarvt uns als Sünder. Ohne uns dabei zu entwerten. Er zeigt Sünde als viel grösser und gegenwärtiger, als wir es oft wahrhaben wollen. Aber er bleibt nicht dabei stehen und zeigt Wege heraus aus einem Leben, das hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. So muss Theologie sein: verständlich und gleichzeitig tiefgründig. Mit Jesus im Mittelpunkt und dabei lebenspraktisch.

Zum Buch:
Thorsten Dietz: Sünde. Was Menschen heute von Gott trennt. SCM Brockhaus, 224 Seiten, gebunden, 16,95 € / 25,50 CHF
ISBN 978-3-417-26784-6 (Best.-Nr. 226.784)

Zum Thema:
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Datum: 29.09.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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