Christliche Bewegung

Zwischen Ekstase und Askese

Es war eine kleine Sensation: Im Jahr 2000 entdeckten Forscher in der heutigen Türkei die antike Stadt Pepouza, das verschollene Zentrum der einflussreichen christlichen Bewegung der Montanisten. Bis zu ihrem Untergang im 6. Jahrhundert war die prophetische Bewegung im gesamten Römischen Reich berühmt - und berüchtigt: Denn in der charismatischen Gemeinschaft waren Frauen und Männer gleichberechtigt.
Hochburg der Montanisten: Das Felsenkloster.

Jahrhunderte lang war Pepouza, die Hochburg der als Ketzer verfolgten christlichen Bewegung der Montanisten, nur aus antiken Schriftquellen bekannt. Doch mittlerweile konnten Forscher um Peter Lampe von der Universität Heidelberg sowie William Tabbernee vom Phillips Theological Seminary in Tulsa (USA) das Rätselraten um ihren Verbleib beenden: Die Archäologen entdeckten die antike Siedlung, wo die Nachfolger eines Propheten namens Montanus die Herabkunft des "himmlischen Jerusalem" erwarteten, in einem unzugänglichen Flusstal südlich von Usak in der heutigen Türkei.

Zentrum der Montanisten-Bewegung

Der Montanismus, so berichtet die aktuelle Ausgabe des Geschichtsmagazins epoc (April) entstand im 2. Jahrhundert in Phrygien in Kleinasien und geht auf ein prophetisch begabtes Gründertrio zurück: Montanus, Priscilla und Maximilla. Die Gemeinschaft unterschied sich von traditionellen christlichen Gemeinden durch rigorose Askese einerseits und ekstatische Elemente andererseits.

Besonderen Anstoss erregte sie durch die Gleichstellung von Mann und Frau. Sogar das Priesteramt stand beiden Geschlechtern offen. Die Bewegung erfreute sich grossen Zulaufs, weshalb sie sich rasch über das gesamte Römische Reich ausbreitet und auch in Rom, Gallien (Lyon) und Konstantinopel Fuss fasste.

Schriften verbrannt

Ihre Anhänger wurden jedoch bald von den Bischöfen der Amtskirche als Ketzer aus der Grosskirche ausgeschlossen und von den christlichen Kaisern ab dem 4. Jahrhundert zugunsten eines konservativeren Christentums verfolgt. Das heilige Zentrum Pepouza zog die Menschen jedoch weiterhin an, bis kaiserliche Soldaten 550 n. Chr. den dortigen Schrein mit den Gebeinen der ersten Propheten Montanus, Priscilla und Maximilla zerstörten, ihre Schriften verbrannten und die Montanisten-Kirchen konfiszierten.

Felsenkloster

Den entscheidenden Hinweis, dass es sich bei dem vergessenen Ort um das heilige Zentrum der Montanisten handeln musste, lieferte ein abseits des Flusstals in den Fels gehauenes Kloster. Seit über hundert Jahren versuchen Forscher, Pepouza zu identifizieren, berichtet Lampe, aber vergeblich. In der in Frage kommenden phrygischen Region entdeckten sie zwar zahlreiche antike Siedlungen, doch keiner dieser Orte wies den in den Schriftquellen genannten Klosterkomplex auf - mit Ausnahme des vergessenen Flusstals südlich von Usak.

Hochburg der Montanisten

Mehrere Oberflächenuntersuchungen mittels Georadar und Geomagnetik sowie verschiedene Grabungen brachten zahlreiche Indizien zutage, die nur den Schluss zulassen: Hier befand sich einst die Hochburg der Montanisten. Die Forscher fanden unter anderem einen Keramikstempel aus dem 5. oder 6. Jahrhundert mit dem die Montanisten Kreuze in den Teig von Broten für die Eucharistiefeier prägten. Geophysikalische Prospektionen offenbaren zahlreiche Gebäudestrukturen unter der Erde, darunter einige grosse öffentliche Bauten, auch eine Agora.

Mit freundlicher Genehmigung von „epoc", das Magazin für Geschichte, Archäologie und Kultur.

Datum: 04.06.2010

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