Echte Reformation

Die Welt auf den Kopf stellen, Rettung ist zu wenig

Der Architekt und ehemalige Leiter des Hauses Tabea in Horgen, Urs Bangerter, hat sich im Jubiläumsjahr der Reformation Gedanken zum Zustand der Kirchen gemacht. Hier seine herausfordernde Analyse und sein Anstoss zu einer echten Reformation.
Kirche (Symbolbild)
Urs Bangerter

«Ohne Reform scheitert die Kirche wie der Kommunismus» – Diese Aussage machte Friedrich Schorlemmer in einem Gespräch mit Eugen Drewermann (Stern 14/94!). Ein böses Wort – aber es scheint mir seine Berechtigung zu haben. Unsere Kirchen versuchen sich immer wieder schrittweise in Reformen. Dabei werde ich allerdings den Verdacht nicht los: Wenn es einem kirchlichen Parlament gelingt, nach mühsamen Verhandlungen einen Schritt vorwärts zu tun, rutscht die Kirche bald wieder zwei Schritte zurück.

Kirche als Gemeinschaft und als Wagnis

Mir scheint, dass wir in dem System «Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück» von der Angst des Mitgliederverlustes gesteuert werden. Dabei blenden wir aus unserem Bewusstsein aus, dass der seit Jahrzehnten anhaltenden Mitgliederverlust trotz (oder eben wegen) dieser Angst nicht aufgehalten werden konnte. Dietrich Bonhoeffer schrieb in «Gemeinsames Leben»: «Erst die Gemeinschaft, die in grosse Enttäuschungen hereingerät, mit all ihren unerfreulichen und bösen Erscheinungen, fängt an zu sein, was sie vor Gott sein soll, fängt an, die ihr gegebene Verheissung im Glauben zu begreifen... Eine Gemeinschaft aber, die eine solche Enttäuschung nicht ertragen und nicht überleben würde, die also an dem Wunschbild festhält, wenn es ihr zerschlagen werden soll, verliert zur selben Stunde die Verheissung christlicher Gemeinschaft auf Bestand, sie muss früher oder später zerbrechen.»

Wir müssen einander etwas zumuten

Auf diesem Weg der Reformen und Veränderungen müssen wir lernen, einander gegenseitig einiges zuzumuten. Ein Zurück gibt es für uns nicht, nur ein Hindurch. Hindurch aber werden wir nur dringen, wenn wir wissen, wohin wir wollen (Martin Buber). Die Aussage des Kantons Zürich («Als privater Betrieb müssten wir den Bankrott anmelden») könnte wohl so ähnlich, im Blick auf die finanzielle Situation, auch für einige Kirchen gelten.

Es gibt keine Rettung – nur ein Hindurch!

Der Begriff Rettung suggeriert, es gäbe noch eine heile Welt, in die wir uns hinüberretten können. Rettung steht hier für Leben statt Untergehen. Damit ist dieser Begriff trügerisch, denn es kann keine Rettung ohne den Untergang des Alten geben – die Aussage von Buber zeigt das sehr deutlich.

Mir fehlt für unsere Kirchen ein Leitbild in unsere Zeit hinein. Mir fehlen klare Aussagen zu einer Gemeindetheologie und zu entsprechenden Strategien. Halten wir am historischen Wachstum der letzten Jahrhunderte fest oder wagen wir eine Reformation? Stellen wir unseren Mitgliedern zum Beispiel die Frage, ob sie die Bibel buchstäblich glauben oder ernst nehmen (Pinkus Lapide)? Wir haben den Klang der Worte von Billy Graham in den Ohren: «The Bible says...» (Die Bibel sagt...) – müssen uns aber wirklich die Frage gefallen lassen: ... – ja was denn? (Fritz Imhof im idea magazin 11/94).

Die Welt auf den Kopf stellen...

Ich bete mit Albert Outler: «Gott, gib uns eine Kirche, deren Mitglieder die Botschaft von Gottes heilender Liebe in Christus für leidende Männer und Frauen glauben und verstehen. Gib uns eine Kirche, die in Übereinstimmung mit ihrem Glauben spricht und handelt – nicht nur, um die Welt zu versöhnen, sondern um sie auf den Kopf zu stellen. Gib uns eine Kirche von geisterfüllten Menschen, in deren Gemeinschaft Leben zu Leben spricht, Liebe zu Liebe, und wo Glaube und Vertrauen auf Gottes Gnade antworten. Dann werden wir eine Kirche haben, deren Zeugnis in der Welt nicht versagt und deren Dienst die Welt verändern wird.»

Zur Person

Urs Bangerter, 74, lebt ihm aktiven Ruhestand. Der gelernte Architekt war Leiter der Jugendarbeit der Evangelisch-methodistischen Kirche in der Schweiz und in Frankreich. 1987 bis 1998 leitete er das Hotel Bethanien in Davos und anschliessend bis 2007 das Alters- und Pflegeheim Tabea in Horgen. In allen Funktionen fiel er durch zahlreiche Innovationen auf.

Zum Thema:
Dossier 500 Jahre Reformation
Change! – Thesen für die Kirche: Manuel Schmid: «Bescheidenheit braucht das Land»
Change! – Thesen für die Kirche: Debora Alder: «Wir brauchen Kirchen als Orte der Hoffnung!»
500 Jahre Trennung sind genug: Leiter-Brunch in Bern: «Reformation muss weitergehen!»

Datum: 12.01.2017
Autor: Fritz Imhof / Urs Bangerter
Quelle: Livenet

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