Fest der Liebe?

Sehnsüchte unter dem Weihnachtsbaum

Weihnachten – Fest des Friedens oder Konfliktherd? Die Zeitung «Viertelstunde für den Glauben» hat zwei Coaches befragt, warum Weihnachten Sehnsüchte nach heiler Welt hervorruft, die oft nicht erfüllt werden.
Deprimierter Mann vor Weihnachtsbaum
Georges Morand
Marcel Hager

«An Weihnachten wünscht man sich oft gerade das, was nicht ist, was man aber gerne hätte», meint Georges Morand, der sich auf die Beratung von Männern in der Lebensmitte spezialisiert hat. Weihnachten wecke einerseits die Sehnsucht nach Frieden, gleichzeitig würden auch die Brüche und Spannungen im eigenen Leben während der Festtage besonders spürbar: «Ich habe selber eine Scheidungsfamilie und meine Kinder feiern an zwei Orten Weihnachten.»

Friede, Freude, Eierkuchen?

«Weihnachten ist Sinnbild für intakte Beziehungen», vermutet Marcel Hager, der eine Generation jünger ist als Morand und Outdoorcoaching mit Bike- und Kanutouren anbietet. Weihnachten wecke die Sehnsucht nach Orten, wo «wir uns zuhause fühlen, wo wir so angenommen werden, wie wir sind». In der Weihnachtszeit werde man besonders stark mit der eigenen Zufriedenheit, beziehungsweise Unzufriedenheit, konfrontiert. Sie sei ein Auslöser, der einen stärker wahrnehmen lasse, «wie es mir wirklich geht».

Keine falsche Harmonie

In den Beratungen bei Morand wird Weihnachten vor allem im Zusammenhang mit Trennungs- oder Scheidungssituationen zum Thema. «Ich rate davon ab, heile Familie zu spielen», sagt der erfahrene Coach. Falsche Harmonie sei «destruktiv». In seiner eigenen Scheidungssituation habe er deshalb auf Klarheit geachtet und sei dazu gestanden, dass es wehtue, wenn man nicht mehr zusammen sei. Für ihn sei es besser, «klar getrennte Feste» zu feiern, als gemeinsam einen Abend lang so zu tun als ob.

In spannungsgeladenen Situationen kann es eine Hilfe sein, eine Alternative zum trauten Familienkreis im Wohnzimmer zu planen. «Warum nicht mal einen Weihnachtsbaum im Freien schmücken und am Feuer heissen Tee servieren?», fragt Morand.

Weihnachten als Lernfeld

Hager stellt fest, dass unterschiedliche Erwartungen am Weihnachtsfest Konflikte hervorrufen können. «Die Frau möchte beispielsweise ein aufwändiges Fest mit ihren Verwandten oder Freunden feiern. Der Mann hingegen wünscht sich Ruhe und Zeit zum Herunterfahren.» Es gehe deshalb darum, Weihnachten nicht einfach auf sich zukommen zu lassen, sondern sich im Vorfeld bewusst Gedanken über die eigenen Erwartungen zu machen und diese mit der Familie zu besprechen. So wisse man, was auf einen zukommt, und könne nach einem gemeinsamen Nenner suchen. Statt ein teures Geschenk zu kaufen, gehe es darum, sich auf das Gegenüber einzulassen und seine Andersartigkeit zu respektieren. «Das ist im Grunde genommen das schönste Geschenk, das wir machen können», meint Hager, selber verheiratet und Vater von drei Kindern. «Weihnachten ist die beste Zeit, dies zu lernen.»

Leere Zeiten als Chance

Nach dem Rummel der Vorweihnachtszeit folgt oft die Leere und Langeweile an den Festtagen selber. Beide Coaches sehen darin eine Möglichkeit zur Reflexion. Morand geniesst diese Zeit bewusst: «Ich setze mich mit meinem Tagebuch hin und lasse das Jahr Revue passieren.» Oder er unternimmt eine Wanderung ins «Hinwiler Ried» in der Nähe seines Wohnorts. Für ihn seien diese Tage «eine Einladung zur Entlastung und Entrümpelung um Neuem Platz zu ermöglichen».

Hager findet es schade, dass die Weihnachtszeit oft «oberflächlich abgehandelt» werde. Er versteht sie als Chance, um Gefühle und Wahrnehmungen hervorzuholen, die «normalerweise schön verborgen sind». Enttäuschungen und Schmerz, die an die Oberfläche kommen, könnten heilsame Veränderungen auslösen. Die Weihnachtstage böten Zeit, um sich mit einem Freund oder der Partnerin an einen Tisch zu setzen, um über das «Innenleben» auszutauschen und dadurch auch besser zu verstehen, «was in einem selber abgeht».

Georges Morand arbeitet als Coach und Redner. Er ist Autor des Buches «Mach Dünger aus deinem Mist» und sieht es als sein Privileg, Menschen zu unterstützen, herauszufordern und zu inspirieren (morandcoaching.ch). Georges Morand ist Vater von vier erwachsenen Kindern.

Marcel Hager bietet als Inhaber von FROM SURVIVE TO LIFE (survive2life.ch) Outdoorcoaching an. Was ihn dabei antreibt, ist Menschen herauszufordern, zu fördern und ihr Potential wecken zu können. Der Vater von drei Kindern ist zudem Autor des Buches «Mann unrasiert».

Dieser Text stammt aus der Verteilzeitung «Viertelstunde für den Glauben». Die ganze Zeitung können Sie hier lesen oder bestellen.

Zum Thema:
Die Wahrheit hinter Kitsch und Krippe: Familienstreit an Heiligabend
Durchhalten statt verzweifeln: Familienstreit unterm Weihnachtsbaum
Scheidungskinder: Getrennte Weihnachten

Datum: 17.12.2016
Autor: Barbara Streit-Stettler
Quelle: SEA / Viertelstunde für den Glauben

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