Georgs Geschichte

Wenn die Psyche nicht stark genug ist...

Georg S. lebt seit acht Jahren im Loogarten. Er hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich: Gewalt in der Familie, Suizid des Vaters, Kinderheim, Einsamkeit, abgebrochene Ausbildung, Therapien in Kliniken... Ueli Lüthi, der Leiter des Christuszentrums, sagt heute im gemeinsamen Gespräch zu Georg: «Du bist ein wichtiges Rückgrat in der Gemeinschaft. Du bist integer und loyal. Du denkst nicht nur an dich. Du bist auch für die Mitbewohner da. Du kommst auch immer wieder ins Büro des Christuszentrums, um für die Betreuer und Bewohner unserer sozialtherapeutischen Arbeitsgemeinschaft zu beten. Das ist für uns sehr kostbar.»
Georg
Gespräch
vor Haus
Georg 2

Der christliche Glaube gibt Georg trotz seiner psychischen Begrenzung Halt. Er sagt: «Das Gebet ist mir besonders wichtig geworden. Es ist die Verbindung mit dem, der uns geschaffen hat -- mit Gott. Zu Gott, dem Vater, habe ich eine besonders starke Beziehung. Ich iebe auch die Texte des Alten Testamentes. Ich lese sie gerne im Wechsel mit den Evangelien und anderen Texten des Neuen Testamentes. Gottes Gnade und seine Liebe faszinieren mich. Gott stösst auch schwache Menschen nicht aus.»

Georg kennt Lebensabschnitte, in denen er kaum lebensfähig war. Zwangsvorstellungen und Depressionen brachten ihn aus dem Gleichgewicht. In einer schlimmen Phase war er schon nach zwei Minuten Arbeit so erschöpft, dass er lange ruhen musste. Er wagte sich kaum noch an etwas Neues heran. Er war gefangen wie in einem Käfig. Erst allmählich konnte Stabilität und Leistungsfähigkeit durch Arbeitstraining und Therapie wieder Schritt für Schritt gesteigert werden. Neben der psychischen Krankheit war Georg auch physisch stark eingeschränkt. Er litt an Arthrose und konnte sechs Jahre lang nur an Stöcken gehen. Erst künstliche Hüftgelenke brachten vor vier Jahren Besserung und ermöglichen ihm ein weitgehend normales Leben.

Heute wagt sich Georg wieder an neue Herausforderungen heran. Er besucht Menschen, die allein sind. Er schreibt Gedichte. Er fährt Fahrrad. Und er arbeitet in einem Büro. Dennoch, Georg ist auch heute noch eingeschränkt. Seine Psyche ist noch nicht gesund und stark genug für ein Leben ohne Betreuung. In der freien Marktwirtschaft wäre er überfordert. «Manchmal plagt mich die Frage schon, ob ich je fähig sein werde, ein Studium abzuschliessen und/oder einen Beruf in der freien Wirtschaft auszuüben. Ich weiss nicht, ob ich meine Träume, die ich habe, je ausüben kann. Vielleicht wird es einmal möglich, dass ich mein Jurastudium doch noch beenden kann. Ich könnte mir aber auch einen Beruf im Sozialbereich vorstellen. Doch da beschäftigt mich auch gleich wieder die Frage, ob ich mit all den Problemen der Menschen umgehen könnte. Schriftsteller würde mich auch reizen. Ich schreibe gerne. Ich habe mir ein Buch gekauft und angefangen Gedichte aufzuschreiben. Das war lange Zeit nicht möglich. Ich konnte meine Gedanken nicht in Worte fassen. Ich war blockiert. Aber ich weiss wirklich nicht, ob und wann ich die nötige Stabilität für ein normales Leben finde.»

Georg ist intelligent. Er hat das Gymnasium besucht und mit der neusprachlichen Matura abgeschlossen. Er wollte Lehrer werden. Nach einem längeren Praktikum in einem Kinderheim studierte Georg in Zürich am Seminar für pädagogische Grundausbildung und begann danach die Ausbildung zum Sekundarlehrer. Ich weiss nicht, ob ich meine Träume, die ich habe, je ausüben kann. Dann kam seine psychische Krise. Georg brach die Ausbildung ab. Als es ihm wieder besser ging, studierte er ein Jahr lang Germanistik, danach einige Semester Jura. Eine Depression lähmte ihn aber immer wieder. Er war mit dem Studium überfordert. Auch in der Wohngemeinschaft für Studenten fühlte sich Georg zunehmend unwohl. Er war in der Zwischenzeit 28 Jahre alt geworden, zu alt für eine Studenten-Wohngemeinschaft. Im März 1995 kam er dann -- dem Rat eines Freundes folgend -- in den Loogarten.

Der eigentliche Bruch in Georgs Lebenslinie war bereits im Herbst 1989 geschehen. Georg litt damals unter starken Zwangsgedanken. Innerhalb von zwei Monaten verschlimmerte sich sein Zustand stark. Zwanghafte Vorstellungen beherrschten sein Leben immer mehr. Er kämpfte dagegen, wollte seine Probleme selber überwinden. Ohne Erfolg. Oft hatten seine Gedanken religiösen Inhalt. Der Teufel spielte in seinen unkontrollierbaren Gedanken eine entscheidende Rolle. «Ich dachte z.B., ich hätte Gott so stark enttäuscht, dass es für mich nur noch eine Zukunft in der Hölle gäbe. Die Gedanken beherrschten mich immer wieder mit einem ähnlichen Inhalt. Nur der Ablauf der Gedanken wechselte.»

«Du brauchst Hilfe!» Ein Theologiestudent in Georgs Studenten-WG sagte ihm, er solle sich professionelle Hilfe holen. Georg suchte einen Seelsorger auf. Der sandte ihn zum Arzt. Georg musste für 10 Wochen in einer Klinik stationär behandelt werden. Medikamente verbesserten den Zustand. Doch erst nach 1 1/2 Jahren liessen die Zwangsgedanken entscheidend nach, dafür stellte sich eine Depression ein. Mehr als fünf Jahre lang litt Georg an dieser nur langsam abnehmenden Depression. Parallel dazu verschlimmerten sich auch seine Hüftprobleme. Er konnte jahrelang nur noch an Stöcken gehen. Sein Leben wurde auch physisch immer mehr eingeengt.

Nach einigen Monaten Aufenthalt im Loogarten verlor Georg seine Konzentrationsfähigkeit fast vollständig. Er konnte nicht mehr arbeiten. Er konnte nicht mehr Tagebuch schreiben. Er konnte nicht mehr in der Bibel lesen. Er war buchstäblich eingesperrt. Sport war wegen seiner Arthrose nicht möglich. Erst durch einen zweiten Aufenthalt in einer christlich geführten Klinik und eine daran anschliessende Arbeitstherapie im Christuszentrum verbesserte sich sein Zustand allmählich. «Wir versuchten durch schrittweises Ausweiten der Arbeitsphasen, das Verhältnis zwischen Arbeiten und Ruhen wieder zu verbessern.» So schildert Ueli Lüthi den damaligen Prozess.

Georg hat sich in letzter Zeit sehr entwickelt. Seit der Hüftoperation hat sich seine Mobilität enorm verbessert. Er fährt wieder Fahrrad. Er wagt wieder Schritte in die Zukunft. Er lernt heute auch mit Konflikten umzugehen und wagt vermehrt seine eigene Meinung zu formulieren. Nicht nur sein äusserer Bewegungsradius hat sich erweitert. Ueli Lüthi: «Du machst Fortschritte. Deine Grenzen sind weit geworden. Sie sind vielleicht noch nicht so weit wie du dir wünschtest. Aber verglichen mit dem Ausgangspunkt in deinem Leben, ist
enorm viel geschehen. Ich freue mich immer wieder, wenn ich dich sehe. Du versuchst nun auch beruflich deine Grenzen zu weiten, bist nicht einfach zufrieden mit dem, was wir hier anbieten. Du suchst neue Herausforderungen. Das ist sehr ermutigend.»

«Meine Heilung ist nicht abgeschlossen. Aber der Glaube gibt mir Rückhalt. Ich sehe in meinem Leben einen Sinn, auch wenn ich manchmal zweifle. Neben allem Schweren dieser Welt gibt es einen Gott, der gut ist. Die Fragen nach dem Woher und Wohin sind so irgendwie gelöst. Das Gebet und das Bibelstudium bedeuten mir sehr viel. Sie geben mir eine andere Haltung gegenüber meiner Situation, die immer noch nicht wirklich gut ist. Und ich sehe in meinem Leben auch gesunde Anteile. Das ermutigt mich. Zwanghafte Vorstellungen beherrschten Georgs Leben immer mehr. Dann frage ich mich: Sind meine Hoffnungen nur Illusion?
Wird das, was an mir noch krank ist, je gesund? Hoffnung gibt mir die biblische Aussage, dass Gott auch schwache Menschen braucht. Ich kann schon jetzt Menschen durch meine Gegenwart etwas schenken. Ich kann für sie beten. Ich glaube, dass ich eine positive Ausstrahlung habe. Im Umgang mit Menschen werden aber auch meine Grenzen sichtbar. Ich fühle mich schnell abgelehnt. Ich bin noch verletzlich.»

Die ersten Erfahrungen mit dem christlichen Glauben machte Georg nach dem Tod seines Vaters im Kinderheim «Paradiesli» in Mettmenstetten -- einem Haus der Heilsarmee. Dort besuchte er die Sonntagsschule und hörte biblische Geschichten. Als er achtjährig wieder zurück zu seiner Mutter kam, erlosch sein kindlicher Glaube wieder. Georg war elf Jahre alt, als er Anschluss in einer örtlichen CVJM-Gruppe fand. In der Jungschar des Christlichen Vereins Junger Menschen fühlte sich Georg angenommen. Er fand Freunde und Vorbilder. Eine persönliche Beziehung zu Gott entstand. Schon damals sah Georg eher das Schwere des Lebens. Er achtete mehr auf das, was Jesus über Gericht und Hölle sagte und erkannte ihn nicht als Retter und Freund.
«Ich denke, die Wurzeln meiner späteren Krankheit liegen in der Kindheit. Streit, Verlust des Vaters, kaum Geborgenheit, wenig Zuwendung... Auf diesem Nährboden entwickelte sich meine Krankheit, bis sie dann in der geschilderten Wucht ausbrach.» Doch nach und nach fasste Georg Vertrauen.

Die besinnlichen Gedanken in den Vorbereitungstreffen des CVJM zeigten ihm, wer Jesus ist. Er lernte Gott in seiner Grösse und Einzigartigkeit kennen. Als dann seine Krankheit ausbrach, geriet auch der Glaube in Schieflage. «Der Glaube half mir in der Anfangsphase meiner Krankheit wenig. Im Gegenteil: Ich zweifelte, glaubte, ein Mensch mit solchen negativen und finsteren Gedanken könne nicht Christ sein.» Heute fasziniert Georg vor allem die grosse Barmherzigkeit, die Jesus gegenüber den Menschen hat. «Mein Glaube ist nicht ohne Zweifel. Auch mein Selbstwert ist oft unstabil. Einmal weiss ich, dass ich wertvoll bin, dann zweifle ich wieder und fühle mich wertlos. Gebet und Bibellesen helfen mir, das Gleichgewicht wieder zu finden. Manchmal setze ich mich einfach hin und überlege, was an meinem Leben gut ist.»

Christuszentrum. Ueli Lüthi ist überzeugt: «Durch Christus kann ein Licht im Leben eines Menschen aufgehen. Wenn ein Mensch merkt: Christus liebt mich, so wie ich bin, und dadurch lernt, sich selbst anzunehmen, ist er einen entscheidenden Schritt vorwärts gekommen. Christus gibt uns Hoffnung. Deshalb gibt er Georg am Ende unseres gemeinsamen Gespräches die Worte «Häb Muet. Es chunt guet!» mit auf den Weg.

Betreutes Wohnen im ‘Loogarten’.

«Menschen, die aus sozialen und psychischen Gründen nicht allein leben können oder wollen, finden im Loogarten ein Zuhause im christlichen Rahmen.» So sagt es der Prospekt. Die Wohngruppe soll ein stabilisierendes Element im Leben der Bewohnerinnen und Bewohner sein.

Der Loogarten gehört zum Verein Christuszentrum, der auch therapeutische Wohngemeinschaft, stationäre Therapie und geschützte Werkstätten anbietet. Betreuung und Begleitung sind in den verschiedenen Wohnzentren unterschiedlich intensiv. Im Loogarten leben Menschen, die mehr punktuelle Betreuung am Abend und an den Wochenenden benötigen, sonst aber auswärts arbeiten.

Weitere Texte zum Thema:
www.depression.jesus.cn
www.erlebe.jesus.ch
www.lebenshilfe.jesus.ch

Datum: 09.12.2004
Autor: Hans Ueli Beereuter
Quelle: Bordzeitung - Texte zum Leben

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