Riehener Seminar

Gute Beziehungen verhindern Suizide

Viermal mehr Personen als im Strassenverkehr sterben in der Schweiz durch die eigene Hand. Am 22. Riehener Seminar der Klinik Sonnenhalde informierten sich 650 Personen über Prävention und Therapie von Lebensmüdigkeit.
Hinweise auf Gefährdung ernst nehmen: Der Winterthurer Psychiater Gregor Berger (rechts) und Samuel Pfeifer, Initiant der Riehener Seminare
Die Wut der Hinterbliebenen: Anne Christina Mess in Riehen.

«Wir wollen mehr Verständnis schaffen für die komplexen Faktoren, die zum Suizid führen.» So umschrieb Samuel Pfeifer das Ziel des 22. Riehener Seminars am 25. Oktober. «Jedes Jahr nehmen sich weltweit rund eine Million Menschen das Leben, zehn- bis zwanzigmal so viele scheitern beim Versuch», führte der Chefarzt der Riehener Klinik Sonnenhalde aus. «Um jeden dieser Menschen trauern im Durchschnitt mindestens sechs Angehörige.»

Auch gläubige Menschen seien betroffen. Die Bibel berichte auch über Suizide, aber sie werte diese in keinem Fall. Pfeifer wies auf einen Bibelvers hin: «Der Mensch sieht, was vor Augen ist, aber Gott schaut das Herz an.» (1. Samuel, Kapitel 16, Vers 7)

Recht auf Suizid

Über die ethischen und rechtlichen Aspekte der Beihilfe zur Selbsttötung referierte die Theologin und Mediziniethikerin Ruth Baumann-Hölzle in ihrem Workshop. «Juristisch wird niemand belangt, dessen Suizidversuch misslang», stellte sie klar. «Urteilsfähige Menschen haben das Recht, sich das Leben zu nehmen. Wir haben aber kein Recht auf Beihilfe dazu.» Der Staat sei verpflichtet, Leben zu erhalten und dürfe auch dann keine Hilfeleistung verweigern, wenn seine Bürger sich selber schädigten. Die Frage nach der Würde des Menschen sei zu diskutieren, eine einhellige Meinung existiere nicht.

«Cannabiskonsum kann Depression vertuschen»

Jeden dritten Tag begeht in der Schweiz ein Jugendlicher Suizid, 9‘000 versuchen es pro Jahr. «Bei 50 Prozent der vollendeten Selbsttötungen waren die Suizidenten depressiv und nach einem Versuch steigt das Risiko der Wiederholung aufs 50-Fache», erklärte Gregor Berger, Chefarzt der Adoleszentenpsychiatrie in Winterthur.

Es sei wichtig, versteckte Hinweise darauf zu erkennen und ernst zu nehmen. «Bei jungen Männern kann sich Suizidalität hinter Verhaltensmustern wie Verstimmung und Reizbarkeit, niedriger Impulskontrolle, geringer Stresstoleranz und hoher Risikobereitschaft verstecken. Sie denken: Ich bringe mich ja sowieso um, da kommts nicht darauf an.» Es lohne sich daher, gefährdete Jugendliche zu begleiten.

Berger warnte: «Cannabiskonsum kann eine Depression vertuschen.» Voraussetzung für eine erfolgversprechende Behandlung sei eine gute Beziehung zum Jugendlichen. «Wenn die Beziehung stimmt, kann man nach Suizidgedanken fragen und auch danach, wie konkret diese sind.»

Zehn Faktoren

Philipp Eich, der stellvertretende Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Liestal, zählte im Blick auf die Suizidalität zehn Faktoren auf. Es sind Alter und Geschlecht, Depression oder körperliche Krankheit, fehlender Lebenspartner und soziales Netz, Alkoholmissbrauch, Urteilsunfähigkeit, hoffnungslose Stimmung, Suizidversuch in der Vorgeschichte oder akute Suizidpläne. «Wenn sieben davon erfüllt sind, ist die betroffene Person stark gefährdet.»

Erhöhte Gefährdung bestehe auch, wenn der Patient Zugang zu Waffen habe. Eine absolute Verhütung von Suiziden gebe es nicht und auch der Patient trage eine Verantwortung: «Er muss sich mitteilen, seine Not offenlegen.»

Wut auf den Toten

Die Psychotherapeutin Anne Christina Mess wies darauf hin, dass Suizid auch Wut auslösen kann. Eine Frau habe an ihren verstorbenen Mann geschrieben: «Ich hätte dich umgebracht wegen all dem, was ich wegen deinem Suizid durchmachen musste!» Einen Brief zu schreiben, auch wenn man ihn nicht abschicken könne, helfe bei der Verarbeitung. Mess rief zur Vergebung auf: «Das heisst nicht, dass ich etwas gutheisse. Aber ich muss nicht mehr an den Schmerzen leiden, die der andere mir zugefügt hat. Es darf mir dennoch gut gehen.»

Zum Thema:
Materialien zum Riehener Seminar 2011

Datum: 03.11.2011
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: idea Schweiz

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