Erlebt

Mein Kampf mit der Magersucht

Ein Kampf zurück ins Leben.

Doris Brönnimann ist eine ganz normale zwanzigjährige Frau. Sie ist attraktiv und hat ein sympathisches Lachen. Aber da gibt es eine dunkle Seite in ihrem Leben: Die Magersucht hat die Klauen mit Erfolg nach ihr ausgestreckt. Der Kampf zurück ins Leben dauerte vier harte Jahre und ist noch nicht ausgestanden.

Wie alles begann? Irgendwie weiss ich das nicht mehr so genau. Durch mein Leben trug ich einen tiefen Schmerz mit vielen Ängsten mit mir herum, die mich vor allem in der Stille bedrohten. Plötzlich drehte sich mein Leben nur darum, abzunehmen. Es war ein Erfolgsgefühl, wenn die Waage weniger anzeigte: Von 55 kg auf 47 kg, das bedeutete «leicht Untergewicht». Alles in mir schrie: «Super, Doris, du bist gut!» Nach dem viermonatigen Aufenthalt in einer Klinik wurde mein Lehrvertrag als Praxisassistentin aufgelöst. Ich litt unter der Trennung meines Freundes Michael, der mir doch so viel bedeutete. Doch mein Leben drehte sich nur noch um die Anorexie (Magersucht).

Die innere Stimme

Auf einmal war ich nicht mehr alleine. Eine innere Stimme befahl mir, was ich zu tun und zu lassen hatte. Sie war streng: «Du bist es nicht wert, etwas Gutes zu essen.» Nicht einmal einen Apfel konnte ich in Ruhe zu mir nehmen. Manchmal musste ich nachts wieder aus dem Bett, um auf dem harten Boden Übungen zu machen. «Du darfst nicht ruhen, du fauler Sack. Reiss dich gefälligst zusammen!» Wenn das Hungern unerträglich wurde, durfte ich an einem Apfel knabbern oder Watte essen. Mein Körper schmerzte beim Sitzen, beim Liegen und beim Gehen. Ich hatte Muskelkrämpfe, Haarausfall, Osteoporose und dauernd fror es mich. Die Stimme befahl mir. «Was du isst, muss ungeniessbar sein! Was dir gut tut, ist verboten! Werde nicht schwach, du musst hart sein, perfekt sein, alles im Griff haben!» Oft sank meine Körpertemperatur auf 34°C. Ich wurde schwächer, konnte keinen Kontakt mit Freunden aufrechterhalten, auch nicht mit Michael.

Ein Schatten meiner selbst

Immer mehr verlor ich meine Person. Die Kleider hingen an mir wie an einer Schaufensterpuppe. Mein Blick wurde düster und matt, mein Gesicht war blass, eingefallen, dunkle Ringe bildeten sich um meine Augen. Das Leben wurde zu einer Qual. Im Januar 2005 schrieb ich: «Mein Leben ist mühsam, ich glaube gar nicht richtig zu leben. Ihr seid alle so weit weg von mir, mit der Zeit entferne ich mich auch von mir. Manchmal habe ich fast keine Kraft mehr, etwas zu tun... Aber ich gebe nicht auf, ich kämpfe weiter. Ich will leben, nicht gelebt werden!» Trotzdem habe ich mich aufgegeben, denn der Tod war mir näher als das Leben. Ich hasste mich für mein Versagen, mein Selbstwert war unter null. Alle Menschen, ich selbst und vor allem Jesus, mussten mich hassen.

Unter solchen selbstzerstörerischen Umständen durfte ich nicht geliebt werden. «Nein! das geht nicht! War ich noch nicht genug knochig?!» Nur auf die hässliche innere Stimme, die mich in den Tod drängen wollte, musste ich hören. Mit aller Kraft befahl mir der Feind, zu beweisen, dass ich nichts Gutes an mir habe. Ich musste mich verletzen, abtrainieren, hungern, weglaufen... Gott sei Dank, gaben mich meine Familie, mein Gesprächstherapeut, Meiers, meine Freundin, Michael und Jesus nie auf. Sogar von der Gemeinde wurde ich im Gebet getragen.

Du darfst nicht leben

Zweimal wurde ich ins Spital Münsingen auf den Notfall gebracht. Einmal war es, weil ich ca. 25 Tabletten geschluckt hatte. Die Schmerzen waren unerträglich... Mein Körper wurde immer schlapper... Am Monitor konnte ich sehen, wie mein Puls sank 60, 55, 50, 45, 40... Mir wurde schwindlig, das Gerät piepste, eine Schwester beugte sich über mich und es wurde schwarz. Ich sehnte mich nach einem Ende des Überlebenskampfes! War es jetzt so weit? Halblebendig lag ich jene Nacht im Spitalbett, als die Ärzte über mich austauschten: «Das Mädchen soll leben.» Dieser Satz berührte mich, aber ich durfte ihn nicht an mich heranlassen. «Nein, du darfst nicht leben!», hämmerte es. Vor Kälte und Schwäche war ich nicht mehr im Stande, mich nachts umzuziehen! Ich trug ununterbrochen 3 Strumpfhosen, 2 Jeans, 3 paar Pullis, 2 paar Socken, manchmal noch die Winterjacke drüber ... was nie fehlen durfte, war die Wärmeflasche. Trotzdem war die Körpertemperatur nie über 35,5° C.

Endlich, bald war es so weit und diese Qualen würden ein Ende nehmen. Ich schrieb mit schwacher, zittriger Hand einen Abschiedsbrief und wartete auf das Einschlafen ohne Aufwachen. Wieder begann sich mein Körper abzukühlen, damit er mehr Energie hatte, um den Herzrhythmus aufrechtzuerhalten. Vor Kälte konnte ich mich nicht mehr bewegen, nicht mehr sprechen, kaum mehr atmen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie furchtbar das ist. Diese Panik: «Sterbe ich jetzt? Ist das nur ein böser Traum? Was passiert mit mir? Herr, siehst du mich?» Ich hörte einen Pfleger kommen. Er war im Gang. Ich wollte ihn rufen, aber ich brachte keinen Laut von mir, konnte nur noch flüstern. Tränen liefen meine Wangen runter, der Atem wurde schwer, die Kälte unerträglich. Wie von Gott geführt, öffnete der Pfleger die Türe und trat in mein Zimmer. Er fand mich halb erfroren auf dem Fussboden.

Die Wende

Das war für meine Sucht der Wendepunkt. «Jesus, schenke mir deine Liebe, damit ich wieder leben kann. Durchfliesse meinen Körper mit deiner Wärme, damit ich mich wieder bewegen kann.» Ich liess mich, zwar oft unter Tränen und mit vielen inneren Kämpfen, aufpäppeln. 14 Kilogramm habe ich zugenommen.

Auf einmal konnte ich fühlen, wie sehr mich Jesus liebt. Wie sehr es ihn schmerzt, mich leiden zu sehen. Ich durfte erfahren, wie mein Schmerz von Jesus geheilt wurde, noch immer wird. Er hat mich von den massiven Zwängen befreit. Der Herr hat mir neue Lebensfreude geschenkt. Er hat für mich gesorgt, als ich mich aufgegeben hatte. Er war immer da, auch wenn ich ihn nicht fühlen konnte. Wenn Versuchungen kommen, esse ich zu Gottes Ehre. Ich durfte lernen, im Glauben zu vertrauen, Jesus näherzukommen, aber auch anderen Menschen gegenüber demütig zu werden.

Zu all dem Segen, den ich erfahren durfte, hat mir Jesus in dieser Zeit meinen Freund Michael neu geschenkt. Wir trennten uns am 5. Februar 2003 und fanden genau am 5. Februar 2005 wieder zusammen. Jesus steht im Mittelpunkt unserer Beziehung und leitet uns. Ich kann die unendlich grosse Liebe von Jesus zu uns, auch zu mir, fast nicht fassen. Unser Vater ist so barmherzig und vergibt uns unsere Schuld.

Mehr zum Thema: www.jesus.ch/magersucht

Autorin: Doris Brönnimann
Quelle: Magazin Lebensnah der Klinik SGM Langenthal/Livenet
Webseite: www.klinik-sgm.ch

Datum: 16.03.2006

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