Seelsorge im Tabubereich

Eine Christin unterwegs zu den Sexsalons

Sie warte nicht im Büro, sondern suche die Frauen auf, sagt Anne Burgmer rund 100 Tage nach dem Start der «Seelsorge im Tabubereich» in Basel, genannt SiTa. Die
Anstatt die Frauen in ihrem Büro zu empfangen geht Burgmer zu ihnen ins Rotlichtviertel.
Anne Burgmer

Stelleninhaberin zog am Montag, 11. April, eine erste Bilanz.

Überrascht habe sie bei ihrer Arbeit, dass viele Betreiber von Sexsalons ihrer Arbeit offen gegenüberstünden, sagt Prostituierten-Seelsorgerin Anne Burgmer auf eine Frage von kath.ch. Ansonsten war das meiste so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Die katholische Theologin und Journalistin hatte sich soweit möglich ins Thema Prostitution eingearbeitet und bereits zu Studienzeiten in Bonn Erfahrung mit randständigen Menschen gesammelt. Seit dem 4. Januar hat Burgmer die Missio, die offizielle Beauftragung des Basler Bischofs Felix Gmür, die SiTa in Basel zu leiten.

Etwas anpassen an die Gegebenheiten musste sie sich dennoch.  Die Frauen seien entweder am Arbeiten oder am Ausruhen. Für einen Besuch bei ihr bleibe ihnen da kaum Zeit. Deshalb macht sich Burgmer an gewissen Nachmittagen jeweils auf, um die Frauen an ihren Arbeitsorten zu besuchen, sei dies in den einschlägigen Gassen entlang dem Rhein – quasi vor der Tür ihres Büros an der Webergasse 15 – oder in den verschiedenen Salons der Stadt. Mit dabei ist Katharina Baumberger, ihre Kollegin von der Heilsarmee, welche die Rahab, die Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution in Basel, leitet.

Zwei Christinnen mit ähnlicher Aufgabe

«Wir sind beide als Christinnen unterwegs und haben eine ähnliche Aufgabe», erklärt Burgmer das Zusammengehen. Sie ist froh um das Erfahrungswissen der Kollegin. Zudem sei ein gemeinsames Auftreten oder eine Absprache unter den Nonprofit-Organisationen von Vorteil. Zu häufige Besuche könnten den Salonbetreibern leicht zu viel werden, so Burgmer. Blockten diese aber ab, sei niemandem gedient. Das beste Zeitfenster für die aufsuchende Seelsorge muss erst gefunden werden, wie Burgmer zugibt. Dies sollte irgendwo zwischen den Ruhezeiten der Prostituierten und den Besuchszeiten der Freier liegen. Um die fünf bis fünfzehn Gespräche kommen so laut Burgmer an einem Nachmittag zustande.

Die Reaktionen auf die beiden Frauen sind unterschiedlich. Beim einen Salon seien sie abgewimmelt worden mit der Begründung, die Frauen wollten sie nicht sprechen. Beim anderen kam es zu einem langen Gespräch mit dem Betreiber, der den Seelsorgerinnen gleich klar machte: Kommt ein Freier, müssen sie in ein Zimmer verschwinden. Was dann tatsächlich geschah.

Ob Gott glücklich ist über ihren Weg?

Und auch das eigentliche Ziel der SiTa wird erreicht. Es komme zu Gesprächen mit den Frauen. Vor zwei Wochen habe ihnen eine Brasilianerin gut eine Stunde lang aus ihrem Leben erzählt und sie mit Cappuccino und Keksen bewirtet. Dabei habe die Brasilianerin gesagt, sie frage sich, ob Gott glücklich sei über ihren Weg. Und irgendwann hätten sie zu dritt gebetet. Oft sind die Begegnungen kürzer, manchmal nur unter der Tür, wie Burgmer ausführt. Bei den Gesprächen geht es um die engere und weitere Familie der Frauen, um Gesundheitsfragen oder manchmal auch um scheinbare Kleinigkeiten wie die dominante Farbe rot im Rotlichtmilieu, die eine dort arbeitende Thailänderin stört.

«Ich helfe, indem ich da bin und ohne Vorurteile zuhöre», ist Burgmer überzeugt. Oft höre sie nach einem fünfminütigen Gespräch bereits, es sei schön, dass sie dagewesen seien. Manchmal werde sie aber auch umgehend abgewimmelt, teilweise, weil die Kirche nicht erwünscht sei. Deshalb stellt sich Burgmer nun immer erst als «christliche Seelsorgerin» vor. Dasein für Menschen, die dies brauchen, sei ihre Glaubensüberzeugung, so die Theologin. Sie lebe nach der Aufforderung Jesu: «Kümmert euch um jene, um die sich niemand kümmert.»

Empfang im String

Erwartungsfrei die Sache anzugehen, ist für Burgmer trotz aller Offenheit eine Herausforderung. Gehe sie in einem Salon von Tür zu Tür, müsse sie auf alles gefasst sein: Die eine Frau öffne in banküblicher Business-Kleidung, die andere im blossen String. Das Geschäft will die Seelsorgerin mit ihrem Engagement aber nicht stören. Unlängst hat sie festgestellt, wie rasch das passieren kann. Während ihrer Rauchpause stand sie vor ihrem Büro mitten im Rotlichtmilieu und schaute hinüber zu einem Mann, offenbar einem Freier, der umgehend verschwand.

Ebenfalls herausfordernd ist für Burgmer die Kommunikation mit den fremdsprachigen Frauen, die kaum Deutsch sprechen. Ihre Spanisch-, Portugiesisch- oder Ungarischkenntnisse seien beschränkt, so Burgmer, sie müsse sich ab und zu mit Wörterbüchern und Händen und Füssen verständigen.

Die SiTa konnte sich im Büro von Aliena einmieten. Aliena ist eine politisch und religiös unabhängige Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe und wird durch den Verein Compagna, ehemals «Freundinnen junger Mädchen» getragen. Eine Win-Win-Situation, sagte Sarah Biotti, die Vorgesetzte Burgmers und Verantwortliche für Diakonie bei der Fachstelle katholisch bl.bs in Basel, bereits bei der Vorstellung der Stelleninhaberin im vergangenen November.

Geteilte Erfahrung

Im Moment profitiert die neue SiTa-Stelle von der fünfzehnjährigen Erfahrung der Aliena im Sexgewerbe. Deren Leiterin, Viky Eberhard, berichtet denn auch an der Medienveranstaltung über die Entwicklung im Milieu. Vor fünfzehn Jahren hätten die Frauen, die mehrheitlich aus der Region stammten, meist gut verdient, erklärt Eberhard. Und die Szene sei klar organisiert und in Strassenabschnitte aufgeteilt gewesen. Die Wirtschaftskrise in einigen europäischen Ländern brachte Frauen aus Spanien, Portugal und Ungarn nach Basel, die in den Herkunftsländern bereits als Migrantinnen gelebt und ihre Arbeit verloren hatten. Durch den Zustrom sanken die Preise im Sexgewerbe stark. Heute gebe es teilweise Armut und Obdachlosigkeit, aber auch weiterhin gut Verdienende, so Eberhard.

Demnächst darf sich Burgmer am Mittagstisch beteiligen, den die Aliena jeweils mittwochs anbietet. Gegen 40 Frauen aus dem Milieu besuchen dieses Angebot jeweils. Das mag ihr einen neuen Zugang zu den betreffenden Frauen ermöglichen.

Offene Fragen

Andere Fragen sind noch offen, etwa: Wie wäre eine langfristige Begleitung möglich, wenn Frauen nach wenigen Wochen verschwinden? Was läuft im Rotlichtmilieu in Baselland und wie kann die SiTa sich dort einbringen? Die Arbeit geht nicht aus, im Gegenteil. Weitere Seelsorger wären erwünscht und willkommen, falls beispielsweise die reformierten Kirchen sich hier einbringen möchten, wie Burgmer und Thierry Moosbrugger, Medienverantwortlicher der zuständigen Fachstelle katholisch bl.bs, an der Präsentation gemeinsam mitteilen.

 

Zur Webseite:
SiTa
Rahab Basel Stadt
Viertelstunde in der Rotlichtbar

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Datum: 13.04.2016
Autor: Regula Pfeifer
Quelle: kath.ch

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