Interview mit Manfred Engeli

«Zum Heiraten braucht es zwei Ja – zum Scheiden genügt ein einziges Nein»

Gibt es eine sinnvolle Scheidungsprävention? Wann ist eine Ehe nicht mehr zu retten? Wir sprachen darüber mit dem erfahrenen Psychologen, Ehe- und Familientherapeuten Dr. Manfred Engeli.
Berater Manfred Engeli
Das Dreieck

Livenet: Manfred Engeli, wo sehen Sie die Hauptgründe für eine Ehescheidung heute?
Dr. Manfred Engeli: Mir scheint, dass hinter einer gescheiterten Ehe sehr oft eine unklare Grundentscheidung steht. Man wählt den Partner nicht so wie er ist, sondern so, wie man sich ihn wünscht, in der Hoffnung, man könne ihn noch formen. Bei andern Paaren fehlt von Anfang an die Verbindlichkeit, und man hält sich eine Hintertüre offen: «Wenn's nicht klappt lassen wir uns halt scheiden». Oder man hat eine falsche Vorstellung von Ehe und sieht darin einen Glückshafen. Oder ein Partner heiratet, weil der Andere das wollte und hatte selbst kein klares Ja. In solchen Ehen liegt von Anfang an ein Fäulnis-Keim.

Manche stellen hintennach eine «Unvereinbarkeit der Charaktere» fest, obwohl sie sich bei der Partnerwahl für das Andersartige, die Ergänzung entschieden haben. Es ist so: «Der Punkt der Anziehung wird später zum Punkt des Konflikts». Aber das ist eine Herausforderung, kein Trennungsgrund.

Andere haben nie gelernt, mit Konflikten umzugehen.

Wo liegen heute die Hauptprobleme in der Beziehung von Paaren? Gibt es den typischen Beziehungskiller?
Die sogenannten «Beziehungskiller» sind statistische Korrelationen zwischen Umständen und einer Scheidung (zum Beispiel Geldprobleme). Äussere Umstände können eine Beziehung belasten, aber sie zerstören die Ehe nicht. Es ist vielmehr eine falsche Grundhaltung der Partner, welche eine Ehe scheitern lässt. Paul Tournier war Halbwaise. Er sagte dazu: Wer die Herausforderungen anpackt, wird dadurch stark; wer dies nicht tut, zerbricht daran.

Eine These lautet, dass viele Paare am Stress scheitern, den die Doppelbelastung Beruf und Familie mit sich bringen kann.
Viele Paare haben das ja frei entschieden. Die Frage stellt sich, ob das Paar die Entscheidung gemeinsam getroffen hat und damit einen gemeinsamen Weg geht, sodass beide hinter der Entscheidung stehen können. Viele Menschen pochen heute auf «ihr Recht». Sie erwarten, dass ihre Umgebung, auch ihr Partner, ihnen dieses Recht – auf ein Kind, eine Karriere, eine Familie – zugesteht. Wo aber auf einem Recht bestanden wird, gibt es keine Lösung, sondern Kampf. Es braucht den gemeinsamen Weg zu einer Entscheidung, hinter der beide Partner stehen können.

Gibt es eine sinnvolle Scheidungsprävention?
Die Ehepaare bräuchten Hilfestellung zur Ehe-Entfaltung. Das wäre die beste Scheidungsprävention. Beide Partner sollen sich in ihrer Ehe wohlfühlen und entfalten können. Hier hätten die christlichen Gemeinden eine grosse Aufgabe. Sie könnten den Eheleuten helfen, wie sie Freud und Leid teilen, wie sie konfliktfähig werden können. Und dass es in der Ehe einen Dritten braucht, der die Rolle eines aktiven Bundespartners einnimmt und ein grosses Interesse an der Ehe hat.

Die Gemeinden können den Ehepaaren zeigen, wie Gott den richtigen Platz in ihrer Ehe einnehmen kann. Schwierige Situationen können sich verändern, sobald Gott seinen Platz in einer Ehe einnehmen kann. Das ermöglicht die Entflechtung der Verantwortlichkeiten. Das ermöglicht das Wahrnehmen der Eigenverantwortlichkeit und damit Freiheit und Zuwendung in der Beziehung. Wenn die Freiheit verloren geht, geht auch die Liebe verloren.

Und wenn ein Paar die Option Gott nicht hat ....?
Ich arbeitete auch mit solchen Paaren mit dem Bild des Dreiecks. Statt Gott können oben die Werte des Paares stehen. Oder ihre Ideale, das moralische System der beiden. Einen Mann, der zusammen mit seiner Frau 500 Kilometer anreiste und nicht gläubig war, fragte ich, ob sein Ehebruch ein Modell für die Gesellschaft sein könnte. Das verneinte er energisch. Treue in der Ehe blieb sein Ideal. Ich empfahl ihm, nach Hause zu gehen und danach zu leben ... was er dann auch tat.
Das Paar muss seine eigene Werthaltung und seine Ideale entdecken und bereit werden, sich danach auszurichten.

Wann kann einem Paar noch geholfen werden – wann ist es zu spät?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt tatsächlich den «point of no return». Man kann einer Beziehung innerlich den Hals umdrehen. Dann ist sie tot. Ich fragte Betroffene immer wieder: «Sind sie schon am Point of no return?» Mir ist dabei aufgefallen, dass vor allem die Frauen diese Frage sehr klar beantworten können, während die Männer oft noch schwanken. Wenn eine Frau sich entschieden hat, dass es nicht weitergehen kann, ist der Fall klar. Männer brauchen oft länger, bis sie sich klar geworden sind. Man kann keine Ehe retten gegen den Willen eines Partners, der nicht mehr will. Das ist die Tragik: Die Heirat erfordert zwei unabhängige Ja, für die Trennung genügt ein einziges Nein.

Wir leben in einer eher familien- und eheunfreundlichen Gesellschaft. Was müsste der Staat tun, um Ehe und Familie zu unterstützen?
Es gibt ein Phänomen, das auch für die Politiker gilt: Wir führen die Menschen dorthin, wo wir selbst stehen. So lange viele unserer Politiker im Konkubinat leben oder eine Scheidung hinter sich haben, ist von der Politik nicht viel zu erwarten.

Es gilt aber nach wie vor: die Familie ist die tragende Einheit in der Gesellschaft; alle andern Gesellschaftsmodelle sind gescheitert. Zum Beispiel die Modelle der 68er-Bewegung. So lange die Politik in der Illusion lebt, es könnte bessere Modelle geben, wird sich nicht viel bewegen.

Sollte der Staat nicht stärker Beratungsangebote finanzieren?
Das wäre hilfreich. Aber es müssten Berater und Therapeuten sein, die selbst von der Ehe überzeugt sind und sie leben. Geschiedene Berater werden leicht zu Scheidungstherapeuten. Wir alle haben die Tendenz, unser Wertesystem auf den Kopf zu stellen, um vor uns selbst geradestehen zu können ...

Könnten sich die Kirchen hier mehr einsetzen?
Selbst die Kirchen haben den Individualisierungsprozess akzeptiert und denken nicht mehr in Einheiten, wie Ehepaare und Familien. Der Glaube muss in der Ehe, in der Familie und als Familie gelebt werden. Die Familie ist der Ort, wo Menschwerdung geschieht und wo Gott wirkt. Sie ist ein wichtiger Teil des Leibes Jesu. Viele Gemeinden haben zwar angesichts von Scheidungen in ihren Reihen ein schlechtes Gewissen und möchten etwas tun. Sie haben aber kein klares, biblisch verankertes Eheverständnis mehr. Kein Bild von Ehe, das mit Gott rechnet.

Wenn die Kirchen ihren Auftrag ernstnehmen würden, könnte die Ehe wieder zum «Renner» werden: den jungen Erwachsenen die Ehe als das göttliche Geschenk nahe bringen, das mit Gott als Bundespartner zum Ort der Entfaltung und des Segens werden kann…. Paare lehren, wie man die Ehe in Freiheit und Liebe leben kann; was Mann- und Frau-Sein nach Gottes Gedanken meint; wie man mit Konflikten umgehen kann, ohne die Liebe zu verlieren; was Treue meint und wie man sie leben kann… Wenn die Kirchen sinnvolle, realitätsgerechte Alternativen anbieten würden zu dem, was unsere Gesellschaft propagiert, könnten sie der zerstörerischen Entwicklung in den gläubigen Teilen unserer Gesellschaft entgegen wirken.

Datum: 20.10.2014
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service