Fristenregelung tritt heute in Kraft

Die hässliche Realität.

Bern. Der Schwangerschaftsabbruch ist in der Schweiz fortan straflos, wenn die Frau in den ersten zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode den Abbruch schriftlich verlangt und eine Notlage geltend macht. Die so genannte Fristenregelung tritt in der Schweiz am 1. Oktober in Kraft. Zudem muss der Arzt oder die Ärztin mit der Schwangeren ein eingehendes Gespräch führen und sie beraten. So wird die Frau zum Beispiel auf Stellen hingewiesen, die moralische oder materielle Hilfe anbieten. Ferner wird sie auch über die Möglichkeit informiert, das Kind zur Adoption freizugeben.

Die Fristenregelung war von der Schweizer Bevölkerung am 2. Juni mehrheitlich gut geheissen worden. Nur die Kantone Appenzell Innerrhoden und das Wallis lehnten sie ab. Auch im Wallis werden Abtreibungen künftig möglich sein, auch wenn die Frage wo noch nicht ganz geklärt ist. In der Ostschweiz ist eine einheitliche Regelung vorgesehen. Die Ostschweizer Kantone wollen sich für eine einheitliche Umsetzung aber Zeit bis zum 1. Januar 2003 lassen.

Auch der Kanton Nidwalden hat diesen Termin ins Auge gefasst, da der Zeitplan der Bundes nicht eingehalten werden konnte. An der Gültigkeit der neuen Bestimmungen im Strafgesetzbuch ändert das nichts. Nidwalden hatte sich bisher, zusammen mit Appenzell Innerrhoden, strikt an das faktische Abtreibungsverbot gehalten.

KOMMENTAR

Lizenz zum Töten – Probleme gelöst?

Das Schweizer Volk hat am 2. Juni die sogenannte „Fristenlösung“ mit grosser Mehrheit angenommen. Sie erlaubt in den ersten 12 Wochen nach der letzten Periode eine straffreie Abtreibung. Am 1. Oktober setzt der Bundesrat die Fristenlösung in Kraft.

Was bedeutet nun dieser Entscheid im speziellen für medizinisches Personal, wie Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Operationsassistenten? Dem medizinischen Personal muss vom Staat aus Gewissensgründen zugestanden werden, dass es sich von jeder Mitwirkung an Abtreibungen fernhalten kann, ohne deswegen unter beruflichen Benachteiligungen leiden zu müssen. Dieses Recht wurde in den letzten Jahren in der Schweiz leider vielfach missachtet, obwohl die Gewissensfreiheit in unserer Bundesverfassung (Art. 15) und der Menschenrechtskonvention (Art. 18) verankert ist.

Konfliktsituationen bleiben

Das medizinische Personal ist nach der Abstimmung vom 2. Juni um seine Situation nicht zu beneiden. Sie weiss sich dem Leben verpflichtet. Ein «gesellschaftlicher Tötungsauftrag» bringt viele in einen Gewissenskonflikt. Einerseits wird im Gebärsaal unter Aufbietung aller menschlichen und technischen Möglichkeiten um das Leben eines Kindes gerungen. Gleichzeitig wird im Operationssaal nebenan ein gesundes Kind getötet.

Gesetze, die Abtreibung und Euthanasie zulassen und begünstigen richten sich nicht nur gegen die Würde des einzelnen Menschen, sondern auch gegen das Gemeinwohl unserer Gesellschaft. Gesetzen dieser Art kann man sich durch einen Einspruch aus Gewissensgründen widersetzen. Wer an diesem Punkt seine Glaubensüberzeugung praktisch umsetzen will, für den gilt der bekannte Ausspruch des Petrus vor den Gesetzgebern seiner Zeit, dem Hohen Rat: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“.

Viele glauben, mit dem 2. Juni habe die Abtreibungsdiskussion ein „glückliches Ende“ gefunden. Sie könnten sich täuschen. Der Druck auf das medizinische Personal wird zunehmen. „Berufsverbote“ aus Gewissensgründen werden zunehmen. Von einer Hebamme, welche in den Medien an prominenter Stelle den konkreten Fall einer persönlich erlebten Spätabtreibung eines gesunden 10-20 cm langen Fötus geschildert hatte, ohne Nennung des Ortes übrigens, verlor durch ihre Äusserung ihre Stelle. Ihr Chef fand, das „Vertrauensverhältnis sei nach ihrem Schritt an die Öffentlichkeit nicht mehr gegeben“. Eine Schweiz, die sich rühmt, ein aufgeklärtes, liberales und tolerantes Land zu sein, reagiert peinlich betroffen, wenn man mit so etwas an die Öffentlichkeit geht.

Informationspflicht verletzt?

Auch die sich als offenes Forum verstehende Schweizer Presse verletzte in dieser Beziehung ihre Informationspflicht in sträflicher Weise: Als beispielsweise über 300 Ärzte in einem umfangreichen Pressecommuniqué mit detaillierten Unterlagen auf diese dramatische Situation des Pflegepersonals aufmerksam machten, fand dies nur gerade die Berner Zeitung „Der Bund“ unter der Rubrik Kurzmeldungen einer Notiz wert. Keine andere der grossen Zeitungen sah sich veranlasst, diesen wichtigen Aspekt in der Diskussion ausreichend zu würdigen.

Gelöst wird durch die „Fristenlösung“ also herzlich wenig, vor allem nicht der Gewissenskonflikt von Hebammen, die schon heute keine Berufsausbildung mehr machen können, ohne an Abtreibungen mitzuwirken. Zur Zeit sind Bestrebungen im Gang, Ausbildungswege für Hebammen zu schaffen, die sich nicht an dieser „Kultur des Todes“ beteiligen wollen. Schon heute verlassen viele Hebammen aus diesem Grunde die Spitäler und gründen private Geburtshäuser. Hier zeigt sich, dass dieser 2. Juni auch Anstoss zu lebensfreundlichen Perspektiven werden könnte.

In den Rücken gefallen

Das Bewusstsein für Recht und Unrecht wird sich noch mehr verdunkeln, und die vielen Schweizer, die sich in der einen oder anderen Weise schuldig gemacht haben, werden ihre Schuld jetzt noch mehr verdrängen als bisher - und gerade deswegen noch mehr an ihren Folgen leiden. Was mich in diesem Zusammenhang am meisten ärgert und beschämt, ist, dass der der „Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes“ (SEK) zur Fristenlösung in der Schweiz seine Zustimmung gegeben hat. So ein Gesetz staatlich zementieren zu helfen, das hätte ich vom SEK nicht erwartet. Meine Kirche, der ich über 50 Jahre angehöre, fiel damit nicht nur mir, sondern vielen andern Mitgliedern in den Rücken.

Rohstoff Mensch

Der hessische Landtagsabgeordneten Roland Rösler hat einmal die Zahlen für den weltweiten Umsatz für menschliches Gewebe zusammengetragen. Allein in den USA gebe es 38 Unternehmen, die sich auf den Verkauf von Gewebeproben und menschlichen Zellen spezialisiert hätten. Diese würden, ethnisch sortiert, per Katalog als „schwarz-afrikanisch“, „orientalisch“ oder „jüdisch“ zu Forschungs- und Produktionszwecken angeboten. Laut Rösler wird mit jährlichen Wachstumsraten von 13 Prozent gerechnet, so dass der Umsatz bis dieses Jahr auf rund 1,6 Milliarden Dollar gestiegen sei. Voraussetzung für den boomenden Markt mit menschlichen „Rohstoffen“ sei die Legalisierung von Abtreibungen.

Diese Entwicklungen lassen erahnen, was passiert, wenn der Damm auf breiter Front bricht. Wir haben uns bereits damit abgefunden, dass ein ungeborenes Kind aufgrund privater Entscheidung straffrei getötet werden darf; der Staat schützt es lediglich noch symbolisch. Der Philosoph Heinrich Spaemann hat die Abtreibung als „Einstiegsdroge“ für einen ganzen Tötungsmechanismus bezeichnet. Unerwünschte Kinder – Behinderte – schwerkranke Betagte. Wenn man erst einmal ein Stadium des menschlichen Lebens aus dem Strafrechtsschutz ausklammert, dann kommt natürlich die Frage: Warum nicht das andere ebenso?

Wirtschaftliche Folgen

Ich nehme das Risiko auf mich, als ein Hinterwäldler zu gelten. Fast niemand wagt es, öffentlich auf den Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Wohlergehen eines Volkes und der Einhaltung von Gottes Geboten hinzuweisen: „Was der Mensch säet wird er ernten.“ Das erarbeitete Eigentum werden wir nicht halten können, wenn wir Familie und Kinder verneinen. Es wird zu wenig Menschen geben, welche für die Renten aufkommen werden. Wenn der moralische Bankrott um sich greift, nehmen Lüge, Korruption und Untreue im Privaten und in öffentlichen Ämtern zu. Langfristig ruiniert es auch die Volkswirtschaft. Die aktuell bekanntgewordenen Bilanzfälschungen von Weltfirmen sind nur die Spitze des Eisberges.

Wir dürfen nicht Gesetz und Ethik verwechseln. Das Gesetz unterscheidet zwischen verboten - erlaubt - geboten. In der Ethik geht es um Gut und Böse. Nicht alles, was das geltende Gesetz erlaubt, ist deshalb schon gut oder unbedenklich. Die Gesetze werden von Menschen gemacht. Als Bürger einer Demokratie sind wir mitverantwortlich für die Gesetze, die bei uns in Kraft sind und für deren Änderung wir uns einsetzen könnten.

Erwin Plüss, Rothrist
Grossrat der EDU Kanton Aargau 1997 bis 2001.
Mitglied der Geschäftsleitung der EDU Aargau und der EDU-Ortspartei Rothrist.

Datum: 16.09.2002
Autor: Erwin Plüss
Quelle: Livenet.ch

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service