Luftloch für Syriens Christen

Flucht vor der Revolution – Regime im Endkampf?

Die Arabische Liga hat den syrischen Präsidenten Assad erneut zum raschen Rücktritt aufgefordert. Die EU verschärfte ihre Sanktionen. Das Regime scheint die Kontrolle über Teile des Landes zu verlieren. Unter den Flüchtenden sind Christen. Der Nahostspezialist Heinz Gstrein zu ihren Optionen im Bürgerkrieg.
Grenzübergang «Bab al-Hawa»

«Bab al-Hauwa», das Tor der Lüfte, nennt sich der imposante Grenzübergang an der Hauptverbindungsstrasse von der Türkei nach Syrien. Das Regime von Damaskus wollte hier auch baulich seine unerschütterliche Stärke demonstrieren. Inzwischen ist Bab al-Hauwa aber das wichtigste nördliche Luftloch der syrischen Revolution zur Aussenwelt.

An der türkischen Grenze

Die fast unbewohnten Höhen des nordsyrischen Kalksteinmassivs liessen sich schon seit dem Übergreifen des «Arabischen Frühlings» auf Syrien im März 2011 kaum mehr abriegeln. Noch fliesst hier der Flüchtlingsstrom syrischer Zivilisten nicht so reissend wie von der Hauptstadt Damaskus in den benachbarten Libanon. Doch hat er abrupt zugenommen, seit auch im nahen, stark von seinen Christen geprägten Aleppo heftig gekämpft wird.

Fliehende zur Rückkehr aufgefordert

Die Aufständischen von der «Freien Syrischen Armee» winken die Fliehenden ohne Kontrolle durch. Sie verteilen aber Flugblätter, in denen Christen aufgerufen werden, nach dem erwarteten Sturz von Assad wieder heimzukehren. Sie hätten nichts zu befürchten. Unterzeichnet vom neuen kurdischen Chef des revolutionären Koordinationskomitees für die Demokratisierung CNCD. Sein Vorgänger war noch ein radikaler Muslim-Bruder.

Gegenseitige Hilfe

Beim Exodus aus Aleppo haben tatsächlich islamische Rebellen, die Assads Regierungstruppen weichen, und christliche Sympathisanten mit dem alten Regime, die vor der Revolution die Flucht ergreifen, sich gegenseitig Hilfe geleistet. Vermittelt wurde das von der interreligiösen Versöhnungsbewegung «Mussalaha», die sich schon in Homs und in Ostsyrien zwischen Euphrat und Tigris bewährt hat.

Mit dem Regime verbandelt

Aber nicht alle Christen trauen den Zusicherungen der künftigen Machthaber. Vor allem die orthodoxe und die mit Rom unierte melkitische Kirche scheinen unlösbar in das Assad-Regime verstrickt. Es waren diese Christen, von denen schon im frühen 20. Jahrhundert die ideologischen Grundlagen des arabischen Nationalismus und besonders des syrischen Baath-Sozialismus gelegt wurden, der schliesslich in die Assad-Diktatur mündete. Während z.B. in Ägypten Christen in der Armee nur bis zum Major aufrücken dürfen, erhielten in Damaskus orthodoxe Offiziere Führungspositionen. An ihrer Spitze General Dawud Radschicha, zuletzt sogar Verteidigungsminister, der bei dem blutigen Attentat vom 18. Juli um Leben kam.

Anschlag als Wendepunkt?

Dieses wird vom syrisch-orthodoxen Erzbischof in Aleppo, Mor Gregorios, als Wendepunkt im syrischen Bürgerkrieg betrachtet, Seine aramäischen Christen, bei denen die Muttersprache Jesu fortlebt, sind vom arabisch-nationalen Regime immer als Fremdkörper betrachtet und behandelt worden. Sie fürchten sich daher auch vor keiner neuen politischen Ordnung, sofern in dieser nicht die radikalen Islamisten das Sagen hätten. Doch evangelischen Flüchtlinge aus Nordsyrien befürchten, dass dort bald christenfeindliche Gewalt wie im Irak überhand nimmt.

Datum: 23.07.2012
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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