Sabine Ball

Eine Multimillionärin ändert ihr Leben

Sabine Ball

Sie war steinreich und bettelarm. Sie unterhielt sich mit Richard Nixon und tanzte mit dem Schah von Persien. Sie wohnte in Villen, aber auch in Baracken, Scheunen und in einem Kloster am Rande des Himalaja: Sabine Ball. Sie suchte das grosse Glück – und fand mehr als das grosse Geld. Sabine Ball engagiert sich seit Jahren für Strassenkinder, heimatlose Jugendliche und Punks in Dresden-Neustadt. Dort hat sie das Projekt “stoffwechsel e.V." gegründet. Der frühere Oberbürgermeister Herbert Wagner nannte sie einmal die “Mutter Teresa von Dresden”. Ihre faszinierende Lebensgeschichte hat der württembergische Journalist, Theologe und Landessynodale Steffen Kern (Walddorfhäslach bei Reutlingen) in einem biographischen Roman veröffentlicht (Steffen Kern: Mehr als Millionen, 208 Seiten, 13,95 Euro, Brunnen Verlag Giessen).

Die Bilder dieser Nacht wird sie nie mehr vergessen. Zu schrecklich waren sie. Zu teuflisch. Zu tief wurden sie ihr ins Herz gebrannt. Es ist die Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945. Die Nacht, in der die Front des Krieges ihre Seele erreicht. Sabine Koritke erlebt die Bombenangriffe auf Dresden und Dessau. Im Bombenhagel reift ihr Entschluss auszuwandern. Aus ihrer Heimat Königsberg hat sie ohnehin schon fliehen müssen; jetzt will sie raus aus Deutschland.

Ostpreussen ist unerreichbar

1949 wagt sie eine dramatische Überfahrt nach Amerika. Sabine denkt immer wieder zurück. Manchmal geht sie zum Heck des Schiffes an ihren Platz an der Reling und schaut in die Ferne. Mit jeder Minute wird die Distanz grösser. Deutschland rückt in immer weitere Ferne und damit auch Dresden, Dessau und Düsseldorf. Dort hatte Vater Arbeit gefunden, einen guten Posten bei einer grösseren Speditionsfirma. Nach dem Chaos der Flucht und des Krieges hat die Familie wieder zu einem geregelten Leben gefunden. Für Sabine ist es kein Leben, allenfalls ein geregeltes Existieren. Sie kann sich einfach nicht vorstellen, ihr Leben in einem Land zu verbringen, das ihr fremd geworden ist. Ostpreussen ist auf lange Sicht unerreichbar.

“Ich will mehr vom Leben”

Ihre Heimat hat sie verloren, jetzt will sie hinaus in die grosse weite Welt. Sie will etwas erreichen, etwas aufbauen, reich werden. Das Leben geniessen, nicht nur den Unterhalt verdienen und sich irgendwie durchschlagen. Frei sein, nicht nur funktionieren. Eben leben und nicht nur existieren. Wenn der Wind durch ihre dunkelbraunen Haare wirbelt und sie die Augen schliesst, dann spürt sie es ganz tief in sich: “Ich will mehr vom Leben.” In Amerika findet sie Arbeit als Hausmädchen, lernt Hotelfachfrau und arbeitet schliesslich im exklusiven “Quarterdeck-Yachtclub” in Miami. Dort lernte sie Clifford Ball kennen, einen Multimillionär, dessen Heiratsantrag sie nach einigem Zögern annimmt.

Hochzeit ohne Familie

Es ist keine grosse Hochzeit. Vielleicht fünfzig Gäste. Ein kleiner, intimer Kreis. Ausser der Braut aber niemand aus Deutschland. Nicht einmal ihre Eltern. Auf der Feier scheint die Angehörigen auch niemand zu vermissen. Ein sechsgängiges Diner und den teuersten Champagner, den es in Amerika gibt, lassen Gedanken an die Familie der Braut gar nicht erst aufkommen. Nur Sabine wird davon gefangen genommen. Die Tränen in ihren Augen führen alle auf ihre Sentimentalität zurück. “Seht nur, wie gerührt sie ist!” Die Eltern haben sich die teure Überfahrt einfach nicht leisten können. Ohne Frage hätte Cliff die Reise und alle sonstigen Kosten aus der Portokasse bezahlen können. – Doch Sabine hatte es einfach nicht gewagt, Cliff darauf anzusprechen. Irgendwann während der Hochzeitsvorbereitungen musste doch irgend jemand von den Balls an Sabines Familie denken – aber es denkt niemand an sie. Während des Festes fasst sich Sabine schliesslich ein Herz und ruft zu Hause an. “Es ist der schönste Tag meines Lebens”, haucht sie ins Telefon. Trotz der riesigen Distanz bleibt den Eltern nicht verborgen, dass sie weint. “Wir denken den ganzen Tag an dich.” Am anderen Ende der Leitung hörte sie ihre Mutter schlucken. “Alles, alles Gute!” Der kurze Anflug von Heimweh ist schnell verdrängt. Vom teuren Sekt schon etwas beschwipst, geniesst die Braut das Fest. Aus Sabine Koritke ist nun Sabine Ball geworden. Jetzt ist sie ganz oben.

Begegnung mit Hippies

Sie bringt zwei Kinder zur Welt. Nach rund zehn Ehejahren lässt sie sich von ihrem Mann scheiden. Trotz ihres Reichtums bleibt eine innere Leere. Immer noch sucht sie verzweifelt nach einem erfüllten Leben. Von Miami zieht sie an die Westküste nach Santa Barbara. Dort hört sie erstmals von der Hippie-Bewegung: Ganze Massen von Jugendlichen nehmen Drogen! “Irgend jemand muss ihnen doch helfen”, sagt sie und zieht schliesslich in das Hippiestädtchen Mendocino. Auf einer Waldlichtung gründet sie eine Hippie-Kommune und lebt in selbstgebauten Holzhütten. Ein abenteuerlicher Trip nach Indien und Nepal führt sie in ein Kloster am Rande des Himalaja – aber auch dort findet sie keine innere Erfüllung. Als sie zurück nach Kalifornien kommt, haben sich einige Hippies den Jesus-People angeschlossen und sind zum Glauben an Jesus Christus gekommen. Auch sie begegnet Jesus Christus. Ihr erstes Gebet zu ihm spricht sie 1972. Bevor sie Amen sagt, gibt sie Gott noch ein Versprechen: “... und ganz gleich, was ich tun muss: Ich will dir total dienen – ohne Wenn und Aber.” Ohne es jetzt schon zu ahnen, hat sie damit das Programm formuliert, das ihr Leben von nun an bestimmen soll. Und das wird spannender, als sie es sich in diesem Augenblick hätte vorstellen können.

Leben mit Ex-Prostituierten

Die ehemalige Millionärin lebt nun mit Ex-Prostituierten zusammen. Sie will die Liebe Gottes leben, die sich ganz für andere hingibt. Ihr Vermögen stiftet sie einem Verein; privat besitzt sie so gut wie nichts mehr. Bis 1993 lebt sie in den USA, aber nach der friedlichen Revolution in Deutschland kehrt sie im Alter von 68 Jahren nach Dresden zurück. Zwei kleine Koffer hat sie in ihren Händen und 1.500 Dollar in der Tasche, als sie im Januar 1993 an der Elbe ankommt. “Was für eine trostlose Gegend ist das hier!” Immer wieder, wenn Sabine über die Louisenstrasse spaziert, packt sie das blanke Entsetzen. Verfallene Häuser, zerrissene Gardinen, vertrocknete Blumen hinter zerbrochenen Scheiben. Und immer wieder Graffitis mit trostlosen Sprüchen und okkulten Symbolen. “Wie sollen die Jugendlichen hier wissen, dass es noch Hoffnung für sie gibt?” fragt sie. Und: “Wo sind eigentlich die Christen hier? Wir haben doch etwas Gutes weiterzugeben ...”

Eine Insel des Segens in Dresden-Neustadt

Inzwischen hat sie eine Wohnung gefunden, in der Frühlingstrasse. Gegenüber wohnt, wie sie bald erfährt, ein Rocker, führendes Mitglied im Klub der “Höllenhunde”. Sabine weiss sofort: “Hier bin ich richtig.” Eine Viertelstunde entfernt davon liegt die Martin-Luther-Strasse. Im Eckhaus mit der Nummer zwölf, direkt neben der Lutherkirche, beginnt ihre Vision eine klare Gestalt anzunehmen. Aus einem alten Schnapsladen soll eine Segensinsel mitten in der Szene der Dresdner Neustadt werden. Ihre Idee: Ein Café und ein Second-Hand-Laden, später eine Wohngemeinschaft. Die Arbeit wächst und wächst, verschiedene Kirchengemeinden unterstützen den Verein. Die alte Dame hat keine Berührungsängste gegenüber jungen Leuten. Ihr Engagement wird im Jahr 2000 mit dem Förderpreis der Plansecur-Stiftung über 10.000 Euro gewürdigt.

“Ohne Gott wäre ich nichts”


Immer wieder fragen Reporter nach jener aussergewöhnlichen kleinen Frau mit den weissen Haaren, die nur ein paar Trägerkleider besitzt, zu denen sie eine helle Bluse und eine seidene Ansteckrose trägt. Sie stellen Fragen über Fragen: “Wie kommen Sie dazu, hier zu leben?” – “Stimmt es, dass Sie Multimillionärin waren?” – “Woher nehmen Sie die Kraft, all das zu tun?” Die meisten von ihnen runzeln die Stirn, wenn Sabine dann antwortet: “Es ist Gott, der es tut. Ohne ihn könnte ich gar nichts tun; ohne ihn wäre ich gar nichts. – Aber ich bin sicher: Er hat noch viel vor hier in Dresden.”

Datum: 02.05.2013
Quelle: idea Deutschland

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