Bedingungslos

Gottes Liebe streckt sich immer nach uns aus

In den dunkelsten Stunden des Lebens leuchtet die Liebe Gottes strahlend hell. Das erlebte Samanth Crawford. Als ihr Ehemann Billy getötet wird, verliert sie ihren Glauben und Lebenswillen. Doch ein unerwartetes Zusammentreffen mit zwei Kindern führt sie wieder mit einem alten Freund zusammen. Und Samantha merkt: Ganz egal, wie uns das Leben mitspielt – Gottes Liebe streckt sich immer nach uns aus. Ein Textauszug.
Szene aus dem Film «Bedingungslos»
Coverbild zum Buch und Film «Bedingungslos»

Die dunkle Wolke schwebte über der nördlichen Mitte Tennessees wie die Hand eines zornigen Gottes. Zwei Tage lang hatte es geregnet, so wie in der Nacht damals. Zwei Tage lang hatte es kein Anzeichen dafür gegeben, dass die Stürme nachlassen oder weiterziehen würden. Am dritten Regentag, auf den Tag genau drei Jahre nach Billys Ermordung, entschied ich mich, den Regen als Zeichen zu verstehen.

Ich war entschlossen, die Qual zu beenden. Schluss zu machen mit den Albträumen. Es würde keine Träumereien über Liebe und Sonnenschein mehr geben, nur um am Morgen im Bewusstsein aufzuwachen, dass all das nie mehr wahr werden würde. Keine Träume mehr über ein Leben, das von der Kugel eines Mörders ausgelöscht worden war.

Ich war randvoll mit Schmerz. So angefüllt mit Bitterkeit und Trauer, dass kein Lebenswille mehr übrig war. Ohne Billy war alles sinnlos. Egal, ob ich Gott anflehte oder einen Pakt mit dem Teufel schloss – nichts würde ihn mir zurückbringen. Alle meine Bemühungen, nach vorn zu sehen und mit meinem Leben zurechtzukommen, waren gescheitert. Ich konnte nicht essen. Schlief kaum. Arbeitete nicht. Ich lebte von Billys Lebensversicherung, aber selbst in meiner Trauer war ich klug genug zu wissen, dass dieses Geld nicht ewig reichen würde.

An diesem Abend fuhr ich nach Nashville wie vor drei Jahren. Nichts war anders. Im Licht meiner Scheinwerfer sah ich nur den Regen, der sintflutartig auf den Asphalt prasselte. Wie letztes Mal steuerte ich die Gasse hinter «Murphys Spirituosen» an.

Ich parkte den Wagen direkt vor Murphys Geschäft. Ich öffnete das Handschuhfach und beobachtete, wie mein Atem kleine Wölkchen bildete, die zum Armaturenbrett trieben. Ich zog rasch den Revolver hervor, den Billy dort aufbewahrt hatte. Ich holte eine Schachtel mit .44 Magnum-Patronen heraus und liess sie auf den Beifahrersitz fallen. Ich öffnete die Schachtel und entnahm eine Patrone.

Nur eine.

Ich brauchte nur eine einzige.

Nach einigen kurzen schnellen Atemstössen öffnete ich die Tür, stieg aus dem Wagen und betrat den regenglatten Bürgersteig. Ich ging weiter, an den vergitterten Fenstern und den heruntergekommenen Läden vorbei, auf das gähnende Maul der Gasse zu.

Der Durchgang zwischen den dunklen Gebäuden sah so trostlos aus wie vor drei Jahren. Ich stand da und starrte auf die Stelle, an der Billys Blut auf die Strasse geflossen war, an der er seinen letzten Atemzug getan hatte... nur ein paar Meter von einem Container entfernt, als wäre er nicht mehr wert gewesen als ein Stück Müll.

Und ich fragte mich wieder, wo Gott in diesen Momenten gewesen war. Das Böse hatte triumphieren dürfen, und das Gute war dem Tod ausgeliefert worden. Wo war da der grosse Herr der Welt?

Ich taumelte an die Stelle, wo Billy gestorben war. Ich ging zu einer Betonziegelmauer und lehnte mich dagegen. Dann öffnete ich den Zylinder des Revolvers und schob die Patrone in die oberste Kammer. Ich schloss den Zylinder und er rastete mit einem Klicken ein. Ich rutschte an der Wand entlang nach unten, bis ich, die Knie an die Brust gedrückt und die Füsse eng zusammengepresst, am Boden sass. Ich schluckte zwei Mal, hob die Pistole und stiess den kalten Lauf gegen die nasse Haut unter meinem Kinn.

Ich kniff die Augen zu, holte ein letztes Mal Luft und flüsterte ein einziges Wort zum Abschied.

«Billy.»

Meine Hand fing an zu zittern.

Lag es an der Kälte? Oder hatte ich Angst?

Nein. Nein. Ich würde das durchziehen. Ein Ende machen. Welchen Schmerz auch immer die Kugel verursachen würde, wenn sie in mein Gehirn eindrang, es war nichts im Vergleich zu dem, was ich täglich durchlitt. Ich musste... ich musste...

Genau jetzt. Genau –

Ein dumpfer Schlag und ein Schrei ertönten von der Strasse am anderen Ende der Gasse. Ich riss die Augen auf und liess die Waffe neben mir auf die Erde fallen.

«Keisha!» Der Schrei eines Jungen übertönte das Prasseln des Regens. «Keisha!»

Ich schnappte die Pistole und schob sie in meine Jackentasche. Ich fing an zu laufen. Schneller und immer schneller, bis ich die Vorderseite von Murphys Laden sehen konnte. Die Strassenlampe leuchtete auf den zusammengekrümmten Körper eines kleinen Mädchens herab, das nicht älter als sechs zu sein schien.

Ein weiteres Kind, ein ungefähr neunjähriger Junge – er hatte die dunkelblaue Kapuze übers Gesicht gezogen, trug einen Rucksack auf dem Rücken, seine weissen Zähne hoben sich von seiner nassen, dunklen Haut ab – rief wieder ihren Namen. «Keisha!»

Ich blieb, wie versteinert, ein Stück vor ihm stehen. Schliesslich sah er mich. Seine Augen wirkten wild, seine Hände lagen auf dem Mädchen, als wäre sie das Wertvollste auf der Welt. «Sie – sie ist angefahren worden», brüllte er in den Regen. «Von dem Wagen dort. Sie ist angefahren worden!»

Ich rannte die restliche Entfernung zwischen uns, nahm das Kind in meine Arme, fühlte, wie das warme Blut zwischen meinen Fingern durchsickerte und wie schwer sich der Kopf an meine Schulter legte. Eine Hand des Mädchens lag zitternd an meiner Brust. Sie war schön. Und bewusstlos.

«Das ist mein Wagen», sagte ich zu dem Jungen. «Steig ein.»

Er hob einen fliederfarbenen Rucksack auf, den ich bisher nicht bemerkt hatte. «Wissen Sie, wo das Krankenhaus ist?», fragte er und rutschte auf den Beifahrersitz des Wagens.

«Pass auf, du wirst sie festhalten müssen», sagte ich und legte das Mädchen auf seinen Schoss. Ich spannte den Sicherheitsgurt über beide Kinder.

«Ja, und? Wissen Sie es?», fragte der Junge erneut mit angsterfüllter Stimme.

Ich wusste es nicht. «Und du?»

«Nein, Mann! Nein.»

Ich schaute in beiden Richtungen die Strasse entlang. Kein Mensch war hier. Kein Laden hatte geöffnet. Mein Handy hatte ich zu Hause gelassen. «Mach dir keine Sorgen», sagte ich. «Wir finden es schon.» Ich schloss die Tür. Wir durften keine kostbare Zeit verschwenden.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des LUQS Verlags.

Zum Buch
Titel: Bedingungslos
Autor: Eva Marie Everson
ISBN: 978-3-940158-46-8
Verlag: LUQS Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2013
Seiten/Umfang: 240 S.

Buch bestellen:
Schweiz
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DVD bestellen:
Schweiz
Deutschland

Datum: 17.10.2013
Autor: Eva Marie Everson
Quelle: LUQS Verlag

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