Jesus Christus, Leonardo da Vinci und der Heilige Gral

Kaum ein Buch ist in jüngster Zeit so kontrovers diskutiert worden, wie Dan Browns Roman "Sakrileg" (Original-Titel: "The da Vinci Code"). Die Zahl derer, die Browns spannenden Thriller als im Grunde wahr ansehen, ist ebenso gross, wie die der Kritiker, die nicht müde werden, darauf zu verweisen, dass es sich bei "Sakrileg" lediglich um einen zwar richtig guten Roman handelt, jedoch nicht um ein wissenschaftlich fundiertes Sachbuch. Der Qumran-Experte Alexander Schick ("Faszination Qumran") hat sich mit Browns Roman aus wissenschaftlicher Sicht kritisch auseinandergesetzt und nimmt Stellung zu den Inhalten.
Dan Brown
Jesus und Maria
sakrileg
"Das letzte Abendmahl" von Leonardo Da Vinci.
Qumran
Alan Millard
Carsten Peter Thiede

Seit 2003 führt der Roman "The Da Vinci Code" von Dan Brown weltweit die Bestsellerlisten an. Über 40 Millionen mal ist der Titel bereits über die Ladentische gegangen. Auch Europa hat das "Dan Brown-Fieber" ergriffen. Unter dem Titel "Sakrileg" (Religionsfrevel) führt das Buch die Bestsellerlisten von FOCUS und SPIEGEL mit über 2 Millionen verkauften Exemplaren an. Übersetzungen gibt es in 44 Sprachen und Hollywood hat den Romanstoff mit Tom Hanks in der Hauptrolle packend umgesetzt.

Was ist so bemerkenswert an dem Roman, der in Schulen behandelt wird und im Zentrum einer neu aufbrechenden öffentlichen Diskussion um Jesus und die Bibel steht? Vordergründig geht es im "Sakrileg" um die Aufklärung eines Mordes. Der "Symbolforscher" Prof. Langdon ist auf einer Konferenz in Paris, als der Direktor des Louvre vor dem Gemälde der Mona Lisa ermordet aufgefunden wird. Langdon erkennt, dass der Tote durch versteckte Hinweise auf die Werke Leonardo da Vincis aufmerksam machen wollte - Hinweise, die auf eine finstere Verschwörung deuten.

Die Polizei verdächtigt den Professor des Mordes, doch dieser beginnt mit eigenen Nachforschungen und wird dabei von Sophie Neveu, einer Kryptologin der Pariser Polizei unterstützt, die sich später als Enkelin des Toten und - man höre und staune - Nachfahrin von Jesus herausstellt!! Ihr Grossvater sei ein führendes Mitglied einer Geheimgesellschaft ("Priorat von Zion") gewesen, die das letzte Geheimnis der Nachkommen Jesu hütet...

Browns Erfolgsrezept: Geheimgesellschaften

Dan Brown, ein ehemaliger Englischlehrer, ist einer der auflagenstärksten Autoren der Gegenwart. Über seinen Erfolg sagt er, dass die Ursache seines Erfolgs nicht seine Schreibkunst sei sondern so Brown wörtlich: "Geheime Gesellschaften, verstecktes Wissen, verloren gegangene Geschichte, sinistre Verschwörungen, so etwas spricht alle an, vom Chefarzt bis zum Klempner, von der Designerin bis zur Küchenhilfe". Mit seinem Buch möchte Brown "eine Tür beim Leser öffnen" für seine religiösen Erkenntnisse.

Auf Seite 342 platzt dann die Religionsbombe! Jesus - so die These des Autors – war mit Maria verheiratet und hatte eine Tochter mit ihr. Die Nachfahren Jesu sollen noch heute in Frankreich leben. Die katholische Kirche versuche mit aller Gewalt und allen Mitteln (auch durch Mord) dieses Geheimnis von Jesus zu hüten, denn wenn herauskäme, dass Jesus nur ein normal-sterblicher Mensch war, dann würde die "katholische Kirche in die grösste Krise ihrer 2000jährigen Geschichte stürzen" (Seite 365). Bereits Konstantin der Grosse habe "Tausende von Handschriften" (Seite 322) im vierten Jahrhundert vernichten lassen, die von dem angeblich "sterblichen" Jesu berichtet haben und im kaiserlichen Auftrag sei die Bibel in den römischen Schreibstuben verfälscht worden.

Auf dem Konzil von Nicäa (325 n. Chr.) habe Kaiser Konstantin angeblich den sterblichen Jesus per Dekret zum Sohn Gottes erklären lassen. Unsere Bibel sei eine Fiktion und die "Wahrheit" über Jesus würden nur die religiösen Schriften enthalten, die Konstantins Verfälschungs- und Vernichtungsaktion entgangen seien, wie die weltberühmten Schriftrollen von Qumran und die Funde von Nag Hammadi in Ägypten (Seiten 323, 337).

Leonardo da Vinci hätte gewusst, dass Jesus mit Maria Magdalena verheiratet gewesen sei und in seinem berühmten Gemälde "das letzte Abendmahl" sei der Jünger an der Seite Jesu in Wirklichkeit nicht Johannes sondern Maria Magdalena. So habe Da Vinci "codiert" dieses Geheimnis der Nachwelt mitgeteilt (daher der Titel in den USA "Da Vinci Code"). Der "heilige Gral", in den mittelalterlichen Legenden der Kelch vom letzten Abendmahl, sei in Wahrheit eine Person, nämlich Maria Magdalena der "weibliche Schoss, der das Geblüt Christi getragen" habe (Seite 342), also das königliche Blut Jesu.

“Nur ein Roman, aber…“

In der Öffentlichkeit wird das Buch überall diskutiert und viele suchen nach Antworten auf die neu aufgeworfenen Fragen. Vorträge zu diesem Roman sind brechend voll und das Interesse ist enorm, wie unzählige Internetseiten belegen. Viele Buchbesprechungen enden mit dem Nachsatz: "Es ist nur ein Roman, aber die Behauptung, dass Jesus verheiratet war, wurde sorgsam recherchiert und ist sehr interessant".

Brown selber will den Roman im Kern als geschichtlich wahr verstanden wissen, so seine Aussage im Interview: "Ich habe vor drei Jahren meine Recherchen mit höchster Skepsis begonnen. Aber heute glaube ich, dass die Geschichte im Kern stimmt" und auf Seite 9 von "Sakrileg" versichert Brown: "Sämtliche in diesem Roman erwähnten Werke der Kunst und Architektur und alle Dokumente sind wirklichkeits- bzw. wahrheitsgetreu wiedergegeben ". Das hört sich seriös an ist aber irreführend, denn über die Glaubwürdigkeit der zitierten Quellen sagt dieser Satz überhaupt nichts aus, wie wir in unserer Studie „Das wahre Sakrileg“ (Knaur 2006) im Detail nachgewiesen haben.

Absurde Gral-Spekulation im Hintergrund

Woher hat nun Dan Brown seine gewagten Thesen? Auf Seite 347 gibt er eine seiner wichtigsten Quellen preis. Es ist ein Bestseller aus den 80-er Jahren "Der Heilige Gral und seine Erben" von Michael Baigent und Richard Leigh (verkaufte sich in Deutschland 150.000 mal). Baigent / Leigh sind der wissenschaftlichen Fachwelt schon lange als dubiose Autoren bekannt. Das Buch der "Heilige Gral" war in seinen Thesen so absurd (Jesus sei nicht am Kreuz gestorben; Heirat mit Maria Magdalena; Nachkommenschaft Jesu in Frankreich ...), dass Wissenschaftler sich weigerten, überhaupt eine Buchbesprechung zu schreiben. Das hinderte den Lübbe-Verlag nicht den Titel im Gefolge von „Sakrileg“ erneut auf den Markt zu bringen. Nach Verlagsangaben verkaufte sich das Gralsbuch in den letzten Monaten 750’000 mal, dank der kostenlosen Werbung Dan Browns.

Der Folgebestseller der Skandalautoren in Sachen "Heiliger Gral" trug den Titel "Das Vermächtnis des Messias" (über 40’000 mal bei uns verkauft). Hier erweiterten sie ihre These, dass die Handschriftenfunde am Toten Meer Geheimbotschaften über Jesus enthalten würden und dass sich in Frankreich Jesu angebliche Ur-Ur-Ur-...Urenkel in einer Geheimverschwörung auf die Übernahme der Weltherrschaft vorbereiten würden. Als möglicher künftiger Herrscher Europas, weil angeblich ein Blutsnachfahre Jesu, wird Otto von Habsburg ins Spiel gebracht ...

"Der Heilige Gral" ist die Hauptquelle für Dan Browns Thesen und hat ihm einen Plagiatsprozess im Frühjahr 2006 eingehandelt. Diesen Prozess hat er natürlich gewonnen, da solche Thesen schon längst in mehreren Büchern diskutiert werden und kein Recht auf Urheberschutz verlangen können.

Keine Gelehrten

Brown behauptet, dass die These vom "königlichen Geblüt Christi in der Gelehrtenwelt ausgiebig und bis ins letzte Detail untersucht worden sei" (Seite 346). Dabei bezieht er sich ausdrücklich auf das Gralsbuch von Baigent, Leigh und Lincoln. Von "Gelehrten" kann man allerdings bei den Autoren beim besten Willen nicht sprechen. Keiner von dem Autorentrio ist Historiker geschweige denn Fachmann für die Qumranrollen oder die Nag-Hammadi-Funde.

1992/93 landeten dann Baigent/Leigh den absoluten Weltbestseller mit ihrem Buch "Verschlussache Jesus - Die Qumranrollen und die Wahrheit über das frühe Christentum", das alleine auf deutsch über eine Million mal verkauft wurde und enorme Medienbeachtung fand. Wider besseres Wissen behaupteten die beiden Autoren, dass der Vatikan die Herausgabe der Qumranschriften verhindern würde, denn in den jüdischen Texten würde stehen, dass Jesus ein ganz normaler Mensch gewesen sei (eine Widerlegung dazu findet sich in Zusammenarbeit mit den an den Auswertungen beteiligten Qumranwissenschaftlern in dem Buch: A. Schick, "Faszination Qumran - Wissenschaftskrimi, Forscherstreit und wahre Bedeutung der Schriftrollen vom Toten Meer", Berneck/Bielefeld, 19992).

Die Qumranrollen wurden vor Jesus geschrieben…

Die Qumranschriften aus der Zeit vor Jesus und enthalten an keiner Stelle Informationen über Jesus. Auch wenn Dan Brown völlig unkritisch diese Behauptung übernommen hat. Eine "Verschlusssache Jesus" im Auftrag des Vatikan hat es zudem nie gegeben, denn die Herausgabe der Qumranschriften erfolgte unter Aufsicht der Jordanischen und Israelischen Antikenverwaltung. Alle Qumrantexte sind heute veröffentlicht. Seit November 2001 sind alle Texte wissenschaftlich ediert und jeder kann nun selber die Übersetzungen der Qumranschriften lesen und feststellen, dass dort keine Geheimbotschaften über Jesus und Maria enthalten sind.

Die Qumranfunde sind die grösste archäologische Sensation, denn die einzigartigen Bibelfunde zeigen uns, wie hervorragend die Schriften des Alten Testaments überliefert worden sind. Einen wissenschaftlichen Editionsband der Qumrantexte wird Dan Brown allerdings noch nie in der Hand gehalten haben, denn sonst wären seine Behauptungen eine bewusste Irreführung seiner Leser.  Der Vatikan jedenfalls hatte mit der Edition der Texte nichts zu tun (siehe auch www.sakrileg-betrug.de/qumran/).

…und können darum nicht die frühsten Dokumente des Christentums sein

Dan Browns "Sakrileg" ist eine gekonnte und geschickte Vermischung der wissenschaftlich unhaltbaren Thesen aus den Büchern von Baigent/Leigh. Dieselben falschen Behauptungen von Baigent/Leigh kann man in „Sakrileg“ fast wortgleich lesen. So, dass neben den Schriften aus Nag Hammadi die "Schriftrollen ... vom Toten Meer die frühesten Dokumente des Christentums" seien (Seite 337) und: "Natürlich hat der Vatikan in Fortsetzung seiner Tradition der Verschleierung und Informationsunterdrückung mit allen Mitteln versucht, die Veröffentlichung dieser Schriften zu verhindern" (Seite 323).

Für Professor Alan Millard, einen international renommierten Archäologen und Forscher der University of Liverpool, zeigt dies aber nur, dass Brown die Fakten nicht kennt. Prof. Millard: „Der Mensch, der behauptet, dass die Schriftrollen vom Toten Meer christliche Texte seien, hat einfach keine Ahnung, worüber er spricht.“ (in: „Das wahre Sakrileg“, S. 81). Der Orientalistikforscher Dr. Martin Heide von der Universität München bezeichnet Brown in diesem Zusammenhang als unverbesserlichen Dilettanten: „Die Schriften von Qumran stammen aus der vorchristlichen Zeit und haben mit den Schriften des Neuen Testaments überhaupt keine unmittelbaren Berührungspunkte.“

Obwohl die abstrusen Thesen einer „Verschlusssache Jesus“ schon lange wissenschaftlich widerlegt sind, scheut sich der Lübberverlag nicht, die Rechte an dem Buch zu erwerben, und veröffentlichte es im Frühjahr 2006 erneut mit einer Startauflage von 70’000 Exemplaren. Es kletterte sofort in die Bestsellerlisten. Michael Baigent schob gleich noch ein weiteres Buch hinterher „“Die Gottes-Macher – Die Wahrheit über Jesus von Nazareth und das geheime Erbe der Kirche“. Auch hier kann der Lübber-Verlag nur frohlocken, denn die Startauflage von 80’000 bedeutete, dass auch dieses Buch nach wenigen Tagen in den Bestsellerlisten zu finden war. Doch es handelt sich nur um eine Neuauflage der längst widerlegten Thesen.

Das Magazin FOCUS widmete Ostern den abstrusen Thesen die Titelgeschichte „Der Heilige Gral“ und urteilte zu Recht (15.4.2006): „Seriöse Historiographie schilt die Gattung der Baigent-Monografien Pseudogeschichte, konservative Akademiker fügen noch das Adjektiv ‚paranoid’ hinzu“. Man möchte mit einem bekannten Neutestamentler hinzufügen: „Diese Bücher gehören in den Bereich literarische Schundmärchen!“ (…)

Attacken geschickt kaschiert

“Sakrileg“ verdankt, wie wir gesehen haben, seine Popularität ebenso unhaltbaren wie tendenziösen Tatsachenbehauptungen, die in einen Krimi verpackt sind. Ohne die geschickt kaschierten Attacken auf das Christentum wäre „Sakrileg“ ein durchschnittliches Stück Unterhaltungsliteratur, niemals aber ein Welterfolg geworden.

Dem Urteil des Literaturhistorikers Carsten Peter Thiede kann man nur zustimmen: „Wer auf erzählerische Feinheiten keinen Wert legt, mag ‚Sakrileg’ sogar spannend finden. Über Browns Behauptung, dass Jesus verheiratet war, Nachfahren hatte und dass Leonardo da Vinci in seinem berühmten Abendmahls-Gemälde nicht den Jesus-Lieblingsjünger Johannes, sondern Maria Magdalena an der Schulter Jesu zeigt, darüber kann man allerdings nur fassungslos den Kopf schütteln. Denn dieser Roman ist ein Verrat an jeder Form von Glaubwürdigkeit. Ein Sakrileg – ein Frevel – ist dieses Buch in der Tat: Aber nicht am christlichen Glauben, wie es der Autor wohl sehr gerne hätte, sondern an der Literatur. Ein ‚Jesus’-Bestseller – voll daneben!“

Autor: Alexander Schick
Bearbeitung: Jesus.ch

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Webseite von Alexander Schick: www.sakrileg-betrug.de

Datum: 14.05.2006
Autor: Alexander Schick

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