Werbestrategen und die Religion

Führe dich in Versuchung
Frag Fred

Werbung und Religion ist ein Dauerbrenner. In der Tat: Religion ist gut fürs Geschäft, so gut, dass dies Erfolgsrezept längst auch ausserhalb von Kirche und Religion seinen Wert beweist. Längst hat die Religion ihren festen Platz im Kalkül der Umsatzexperten und Marktforscher. Anspielungen auf Bibelzitate finden sich immer wieder auf Anzeigenseiten und in Werbespots. Weshalb? Mit Hilfe kirchenkritischer Werbung versuchen Marken eine höhere Akzeptanz bei ihrer potentiellen Kundenschaft zu erlangen; nach dem Motto: ziehe ich religiöse Inhalte in den Bereich des Banalen, erziele ich Anerkennung beim Kunden, die er mir durch den Kauf meines Produktes honoriert - oder sich darüber ärgert und so meinem Produkt öffentliche Aufmerksamkeit verschafft.

Engel als erfolgreiche Werbebotschafter

Ein Vorreiter solcher Werbemotive war die Bekleidungsfirma Benetton. Wie ein Botticelli-Engel schwebt eine junge Dame auf den Wolken, weil sie ein „Geschenk des Himmels“ genoss. Ein Priester küsst eine Nonne. Mit diesem Anzeigenmotiv provozierte beispielsweise Benetton. Trotz zwiespältigen Echos: die Marke war im Gespräch. Seitdem verwenden die Marketingexperten immer wieder Elemente aus den Religionen.

Engel sind offensichtlich erfolgreiche Werbebotschafter. Die Versicherung springt ein, wenn "Schutzengel mal Pause machen". Diese Werbebotschaft erzielt bei der jüngeren Generation, als Einsteiger für Versicherungsabschlüsse die wichtigste Zielgruppe, hohe Aufmerksamkeitswerte. Inzwischen wurde die Idee weiter entwickelt. Die Aufgabenstellung zwischen Versicherung und Schutzengel war auf Kritik gestossen. Die neuere Konzeption zeigte Menschen, die sich als Schutzengel in gefährlichen Situationen erweisen. Haben sie ihre rettende Tat vollbracht, wachsen ihnen Flügel.

Bei VW liess man einen leicht übergewichtigen Hippie über die Frage meditieren. "Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und warum weiss mein Golf die Antwort?" (weil er ein satellitengestütztes Navigationssystem hat).

Werbung frei nach der Bibel

Viele Werbeslogans haben eine Vorlage in biblischen Texten, die sie entweder direkt zitieren oder auf die sie doch deutlich anspielen. Eine Auswahl:
"Wer Ohren hat zu hören, der höre" (World of Music) - Markus 4, 9
"Mein Blut für dich" (Deutsches Rotes Kreuz) - Matthäus 26, 28
"Ihr guter Stern auf allen Strassen" (Mercedes Benz) - Matthäus 2, 9
"Auf diese Steine können Sie bauen" (Schwäbisch Hall) - Matthäus 16, 18
"Ich will" (Audi) - Trau-Ritus
"Leset die Schrift, und ihr werdet gut sein" (Page-Designmagazin) - Matthäus 22, 29
"Vertrauen ist der Anfang von allem" (Dresdner Bank) - Johannes 1, 1

Religiöse Elemente finden sich in der Werbung zuhauf. Die Marketingstrategen bauen auf den Bekanntheitsgrad und die Wirkung von Engeln und Teufeln, Apfel und Schlange, Himmel und Hölle. Die Werbung bedient sich jedoch nicht einfach nur religiöser Motive, sie bietet mit den beworbenen Produkten sogar eine Art „Ersatzreligion“ an. Sie besetzt die in der Moderne frei gewordene Stelle Gottes mit dem Produkt. Kunden werden zu Marken-Gläubigen.

Um manche Marken entsteht tatsächlich so etwas wie ein „Kult“. Wer zu einer Konsumgemeinschaft gehören will , muss die gleiche Marke wählen. Bei Wahl der falschen Marke droht der Ausschluss. So wie die Religion versucht, durch Vermittlung einer sinnvollen Lebensgestaltung dazu beizutragen, dass das Leben gelingt, so versucht es die Werbung, indem sie dem Kunden suggeriert, dass er nur durch den Kauf, Besitz und Gebrauch eines Produktes erfüllt leben kann. Fast 40 Prozent der religiösen Motive aus dem klassisch christlichen Sektor spielen aufs Paradies an. Der Kauf des beworbenen Produktes verspreche die Rückkehr ins Paradies oder den Aufstieg in den Himmel.

KOMMENTAR

Mich würde es wundern, wenn Religion in der Werbung überhaupt nicht mehr vorkäme, weil das zugleich bedeuten würde, dass sie im Alltag der Menschen keine Bedeutung mehr hätte. Damit würde feststehen, dass Werbung, Kunst und Medien die Religion tatsächlich ersetzen könnten. Offensichtlich ist es die Auslegung der Bibel, welche so gewöhnliche Phänomene wie Werbespots erst wirklich verstehen lässt. Werbespots im Fernsehen, so schreibt der Medienkritiker Neil Postman, sind eine Form von religiöser Literatur. Die Mehrzahl der wichtigen Werbespots im Fernsehen nimmt die Gestalt eines religiösen Gleichnissses an. Wie alle religiösen Gleichnisse entfalten sie eine Vorstellung von Sünde, geben Hinweise auf den Weg zur Erlösung und eröffnen einen Ausblick auf das Himmelreich.

In der spirituellen Wüste der Moderne besetzen Marketingstrategen die vakant gewordene Stelle der Religion mit Werbung im allgemeinen und die Stellen, die bisher Gott innehatte, mit Produkten im speziellen: statt Religionsausübung – Konsum, statt „Göttern“ – Idole des Konsums, statt Kirchen – „Konsumtempel“, statt religiöser Glaubensgemeinschaften – Gemeinschaften des Konsums.

Andererseits: Eine Werbeanzeige, in der Religion vorkommt ist selbstverständlicher Bestandteil des Lebens. Religion erweist sich so als ein wichtiges Element der alltäglichen Kommunikation. Werbestrategen können die Religion nicht ignorieren, weil der Mensch so veranlagt ist.

Datum: 10.05.2003
Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet.ch

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