Was ist Glück?

Lange Zeit war in unserer Kultur das Thema Glück aus dem Horizont des von Nüchternheit und Sachlichkeit geprägten Zeitgeistes verbannt; denn viele hielten die Sehnsucht nach Glück für eine Domäne romantischer Dichter und Schwärmer. Jenseits des Atlantiks dagegen hielt der Zeitgeist von jeher das Glücksstreben für ein Grundrecht jedes Bürgers.
Was ist Glück
Drei Faktoren prägen den Lebenslauf einschliesslich des Glücks am stärksten: die Erbanlagen, das Milieu der Kindheit und die bewusste Selbststeuerung
Unsere Sehnsucht nach Glück lag Jesus Christus so sehr am Herzen, dass er alles tat, was in seiner Kraft stand, um uns zu dem eigentlichen Glück zu verhelfen.

«The pursuit of happiness», wie es in der Präambel zur Verfassung der USA heisst, ist gewissermassen ein Grundrecht jedes Bürgers in den Vereinigten Staaten. Womit eine allgemein-menschliche, nur leider nicht justiziable Sehnsucht angesprochen wird.

Die Sehnsucht nach dem Glück

Unbestreitbar gehört es zum Wesen des normal veranlagten Menschen, glücklich sein zu wollen. Was aber ist Glück? Ist es gleichzusetzen mit Erfolg? Dann würde es nicht so viele Unglückliche unter den Erfolgreichen geben – unter den Spitzenkräften in Politik, Wirtschaft, Unterhaltungsmedien und anderen Bereichen.

Entsteht Glück durch einen hohen Lebensstandard? Dem widersprechen Umfragen in Deutschland, wonach seit 1950 zwar das Realeinkommen um rund 250 Prozent gestiegen ist, aber nach wie vor nur rund 25 Prozent der Befragten sich als sehr glücklich einstufen.

Ist Glück die Folge von Gesundheit und körperlichem Wohlbefinden? So sehr hier ein gewisser Zusammenhang bestehen mag, so wenig lässt sich bestreiten, dass es kraftstrotzende Menschen gibt, die tief unglücklich sind, während auf der anderen Seite manche trotz schwerer körperlicher Behinderungen noch im Rollstuhl oder auf dem Krankenbett eine fröhliche, glückliche Atmosphäre um sich verbreiten.

Ist Glück nur ein anderes Wort für den günstigen Zufall – wie etwa beim Glücksspiel? Dann wären ja die vielen Menschen auf dem richtigen Weg, die ein Leben lang ihr «Glück» in der Lotterie oder im Spielkasino suchen, auch wenn die allermeisten von ihnen dabei immer vergeblich und verlustreich auf den grossen Gewinn warten. Oder ist Glück eine Veranlagung bestimmter Menschen, der so genannten Glückspilze, die im Leben quasi jede Ampel grün antreffen, während andere, die man Pechvögel nennt, alle Ampeln immer in der Rotphase vorfinden?

Ein Lexikon versucht, der Mehrschichtigkeit des Glücksbegriffs Rechnung zu tragen, indem es drei Bedeutungen nennt:

1) eine günstige Fügung des Schicksals,

2) den daraus erwachsenden Erfolg und

3) den Gemütszustand innerer Befriedigung, besonders nach der Erfüllung von wesentlichen Wünschen und Sehnsüchten.

Dass wir Menschen uns nach Glück sehnen, ist gewiss nicht verwerflich. Fragwürdig und enttäuschend sind jedoch oftmals die Wege, die wir dabei einschlagen. So sagte selbst Goethe als alter Mann einmal zu Eckermann: «Ich bin in den bisherigen 75 Jahren meines Lebens keine vier Wochen glücklich gewesen.» Denn obwohl er zweifellos mehr als die meisten andern über den Sinn des Lebens nachgedacht hatte, war ihm das Glück bei seinem Glauben an die Selbst-Veredelung des strebsamen Menschen immer wieder entglitten. Denn Goethe hatte letztlich das ekstatisch-vergängliche Sinnenglück mit nachfolgendem Schuldgefühl ein Leben lang dem Glück des Seelenfriedens vorgezogen.

Innere und äussere Faktoren

Was also macht einen Menschen glücklich? Offenbar wirken dabei innere Faktoren mit äusseren zusammen, und entscheidend ist, wie wir selbst mit ihnen umgehen. Die drei, die offensichtlich einen Lebenslauf einschliesslich des Glücks am stärksten zu prägen scheinen, sind die Erbanlagen, das Milieu der Kindheit und die bewusste Selbststeuerung.

Erbanlagen

Niemand von uns konnte sich seine Vorfahren aussuchen. Um so wesentlicher ist für jeden von uns die Gewissheit, dass Gott es war, der im Lauf von Jahrtausenden eine riesige Zahl von Vätern und Müttern dazu ausgesucht hat, unsere persönlichen Vorfahren zu werden, so dass durch die genetische Kombination ihrer Erbanlagen ein von Gott gewolltes Original entstanden ist. Daher ist es für unser Lebensglück wesentlich, dies dankbar zu bejahen – einschliesslich der Gaben und Möglichkeiten, die uns damit potenziell gegeben sind, wie auch derjenigen Talente und Fähigkeiten, die Gott uns offensichtlich vorenthalten hat.

Milieu der Kindheit

Jeder von uns ist in ein bestimmtes Milieu hinein geboren worden. Der eine hatte «glückliche» Startbedingungen: eine harmonische Familie, von Geburt an viel liebevolle Zuwendung durch Mutter und Vater, günstige geistige und moralische Einflüsse in den ersten Lebensjahren, die seine Entwicklung gefördert haben. Der andere musste stattdessen vielleicht eine schwere, belastete Kindheit durchstehen. Gerade in diesem Fall hängt das spätere Lebensglück des Erwachsenen davon ab, dass er die eigene Vergangenheit aufgearbeitet hat, um mit ihr ausgesöhnt zu sein und um nicht in den ungelösten Problemen seiner Kindheit stecken zu bleiben.

Bewusste Selbststeuerung

Zum Erwachsenwerden gehört, dass die Pubertät erfolgreich abgeschlossen ist und an die Stelle des Opponierens das «Ponieren» tritt: Ein Mensch findet seine eigene geistige Position im Leben und lernt es, in jeder Hinsicht die volle Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, ohne die Mängel seiner gegenwärtigen Situation weiterhin Personen oder Umständen der Vergangenheit anzulasten. Er setzt sich eigene Ziele und macht sich bewusst daran, sie zu verwirklichen. Hier liegt eines der Geheimnisse des Glücks. Denn durch bewusste Selbststeuerung kann ein erwachsener Mensch die Freiheit finden und einüben, sich über seine eigenen Startbedingungen hinaus zu entwickeln, statt vielleicht ein Leben lang über sie zu lamentieren. Nicht nur räumlich-geographisch kann er sich, wenn dies geboten ist, von dem Ort seiner Herkunft entfernen, sondern auch geistig, gesellschaftlich, ethisch-moralisch und in der Bestimmung seiner Lebensziele.

Für unseren äusseren Lebenserfolg und unser inneres Lebensglück hängt viel davon ab, ob wir möglichst früh sehr bewusst mit dieser Selbststeuerung beginnen und den als richtig erkannten Zielen mit Ausdauer und disziplinierter Konsequenz treu bleiben. Dieser dritte Faktor ist gerade deshalb so entscheidend, weil der erste und der zweite, die Erbanlagen und das frühkindliche Milieu, sich rückwirkend nicht mehr verändern lassen.

Der vierte Faktor

Doch auch intensive Selbststeuerung eines Menschen führt nicht automatisch zu seinem Glück. Denn die Wahl unserer Lebensziele würde uns auf Dauer frustriert und unglücklich machen, wenn sie nicht dem Sinn entspricht, den unser Leben als Ganzes hat. Dieser Sinn lässt sich jedoch nicht von uns aus festsetzen, geschweige denn erreichen. Vielmehr hängt glückhafte Sinnerfüllung unseres Lebens mit unserer tiefen Geborgenheit in Gott zusammen. Wo ein Mensch die Gewissheit hat, von Gott geliebt zu werden und im Einklang mit ihm zu leben, da kommt in sein Leben eine tiefe, Sinn gebende, Frieden stiftende Harmonie hinein.

Glücksphilosophie von Sokrates bis Hilty

Schon in der antiken Philosophie wurde über das Glück nachgedacht, wobei die Richtung des Eudämonismus in ihm das höchste Gut überhaupt sah. Führende Geister wie Sokrates und Platon erkannten jedoch bereits, dass Glück mit der Bejahung bestimmter ethisch-moralischer Werte zusammenhängt und nicht durch schrankenloses Luststreben erreichbar ist, wie der Hedonismus es lehrte.

In der Neuzeit vertrat Immanuel Kant eine Ethik, in der für den Menschen die Pflicht stets Vorrang vor der Neigung hat. Da aber nach Kant zwischen beidem stets ein Gegensatz besteht, geschieht Pflichterfüllung ohne Glücksgefühl. Eine traurige Philosophie! Viel mehr als Kant hat mich beim Thema Glück der Schweizer Philosoph Carl Hilty (1833-1909) begeistert, einer jener grossen Geister, die nicht in die Schublade eines einzelnen Fachs passen. Beruflich war er Jurist, zunächst als Rechtsanwalt in Chur, ab 1873 als Professor für öffentliches Recht an der Universität Bern, ausserdem auch siebzehn Jahre lang als Chef der Schweizerischen Militärjustiz, ebenso auch Mitglied des Haager Schiedshofs. Politisch betätigte er sich als Abgeordneter des Schweizerischen Nationalrats. Ausser Jura hatte Carl Hilty in Göttingen und Heidelberg auch Philosophie und Geschichte studiert, und er war in der Weltliteratur wie auch in einer ganzen Reihe von Fremdsprachen bewandert. Aber entscheidend für ihn war sein tiefer, persönlicher, biblisch orientierter Glaube an Jesus Christus, den er sowohl privat als auch öffentlich bezeugte.

Von diesem Glauben ist sein dreibändiges Werk über das Glück geprägt, das in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde und ihn in der ganzen Welt bekannt machte. Darin beschreibt er, zu welchen positiven Veränderungen einer Persönlichkeit die Geborgenheit im Glauben an Jesus Christus führt. Er sieht dies als einen lebenslangen Wachstums- und Reifeprozess an, der in jedem Lebensabschnitt eine altersgemässe Ausprägung findet. Dieser Prozess, den das Neue Testament Heiligung nennt, bedeutete für Hilty, dass sein Verhalten von dem Wunsch motiviert war, «vom Morgen bis zum Abend den Willen Gottes zu tun» – nicht aus Zwang, sondern aus liebevoller Hingabe. So war ihm jenes Glück vergönnt, über das er so tiefsinnig nachgedacht hat. «Glück», so schrieb Hilty, «ist der beständige Friede, der von äusseren Schicksalen nicht mehr abhängig ist, sondern dieselben völlig überwunden hat.»

Glücklich ist wer ...

Übrigens spiegelt sich in dieser Einstellung die entscheidende Botschaft wider, die Jesus Christus uns Menschen gebracht hat. Unsere Sehnsucht nach Glück lag ihm so sehr am Herzen, dass er alles tat, was in seiner Kraft stand, um uns zu dem eigentlichen Glück zu verhelfen. Die ersten Worte überhaupt, die im Neuen Testament von seinem öffentlichen Auftreten berichtet werden, nachzulesen am Anfang der Bergpredigt im Matthäusevangelium, Kapitel 5, beginnen mit den so genannten Seligpreisungen. «Glückselig sind die Armen im Geist», heisst es dort, also die Menschen, die bescheiden genug sind, um sich von Gott erfüllen zu lassen. In den weiteren Aussagen beschreibt Jesus, wie sich das von Gott empfangene Glück äussert: In echtem Trost für Trauernde; in der Sehnsucht nach Gerechtigkeit ohne Hass und Feindbilder; in praktizierter Barmherzigkeit statt Rechthaberei und Machtstreben; in innerer Reinheit statt Gier; in der Kraft, zwischen Streitenden Frieden zu stiften; in der von Gott geschenkten Gelassenheit bei denen, die seinetwegen Verfolgung und üble Nachrede erfahren.

Wahres Glück also hängt mit einer starken, wachstümlichen, heilsamen Veränderung der Persönlichkeit zusammen, mit Vergebung der Schuld und Heilung ihrer Folgen. Jesus Christus hat nicht nur von dieser Neuwerdung gesprochen, sondern er hat sie auch bewirkt bei denen, die sich durch ihn eine persönliche Beziehung zu Gott schenken liessen. Dass dieses Glück konkret möglich ist, dafür ist nicht nur Carl Hilty ein Beispiel, sondern auch viele andere Menschen aus früheren Zeiten wie aus unserer Gegenwart.

Seit es Menschen gibt, beschäftigt sie eine Frage mehr als jede andere: Gibt es einen Gott? – Gott dagegen beschäftigt eine andere Frage: Wo finde ich Menschen, die meine Hinwendung annehmen, meine radikale Liebe erwidern? Die Frage nach Gott ist weitgehend zum Tabu geworden. In der Öffentlichkeit über Jesus Christus zu sprechen ist vielerorts nicht opportun, wird gesellschaftlich kaum akzeptiert. Das Feld wird Sektierern und Eiferern überlassen. Die traditionellen Kirchen haben sich nicht selten in die Ecke drängen lassen und schweigen. Aber es muss dem nicht so sein!

 

Datum: 10.08.2004
Autor: Prof. Dr. Bodo Volkmann
Quelle: Reflexionen

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