1968: Gretchen Dutschke

«Nicht aufgeben, weil man wirklich Dinge ändern kann»

Im April stellte Gretchen Dutschke-Klotz auf der Leipziger Buchmesse ihr Buch «1968: Worauf wir stolz sein dürfen» vor, Mitte Mai war sie als Referentin an der Evangelischen Akademie Tutzingen tätig und dann schon wieder bereit für ein Interview.
Gretchen Dutschke-Klotz
Gretchen und Rudi Dutschke auf dem Buchcover von «1968 - Worauf wir stolz sein dürfen»

Kaum zu glauben, dass es sich um eine 76-jährige Witwe handelt, die schon schwere Schicksalsschläge überwinden musste.Für Livenet nahm sich die Witwe von Rudi Dutschke, dem Anführer der Deutschen 68er-Studentenbewegung, Zeit für ein Exklusiv-Interview.

Livenet: Was ist der grösste Erfolg, den Sie rückblickend sehen?
Gretchen Dutschke-Klotz:
Für mich war es die Kommune-Diskussion. Daraus haben sich bis heute neue und andere Formen des Zusammenlebens entwickelt. Ich kam durch die USA auf die Idee. Rudi wollte seine Freunde einladen, aber ich wollte die vielen Macho-Männer nicht dabeihaben. In der Kommune sollten sich alle gleich an allen Aufgaben, inklusive Kinder und Haushaltarbeit, beteiligen, sowie am Lesen, Diskutieren und Politisieren. In der Kommune I, die unter anderem von Kunzelmann gegründet wurde, gab es ein riesiges Frauenproblem, das dort nicht gelöst wurde.

Welche Rollen spielten damals die Kirchen?
Auch die Kirchen haben eine Rolle gespielt in der Verbreitung der antiautoritären Idee, indem einige Pfarrer versuchten, die Ideen zu predigen. Allerdings gab es sehr konservative Richtungen in den Kirchen, die sehr gegen uns gerichtet waren. Ich denke es entfachte eine Auseinandersetzung in der Kirche, die wahrscheinlich bis heute weitergeht. Auch der Theologieprofessor Helmut Gollwitzer spielte für uns eine wichtige Rolle.

Noch eine positive Seite der Kirche damals: die ESG, evangelische Studierendengemeinde. Die gläubigen Studenten, die sich auch der Revolution anschlossen, fanden eine Heimat dort. Die ESG hat dann die Bewegung unterstützt, indem sie Räume zur Verfügung stellte, Mitglieder haben an den Protestaktionen teilgenommen, Plakate hergestellt und so weiter.

Die bekannteste Aktion war vielleicht am Weihnachtsabend 1967 in der Gedächtniskirche, wo ESG-Mitglieder zum Weihnachts-Gottesdienst gingen mit Plakaten, die die Zerstörung des Krieges in Vietnam und das Leiden der Menschen zeigten. Als Rudi nach vorne gehen und klären wollte, warum sie da waren und dass man nicht nur an Geschenke denken sollte, sondern gerade an Weihnachten an die leidenden Menschen, wurde er von einem alten Nazi blutig geschlagen, während die Kirchendiener und andere Besucher Rudi festhielten, damit er total zusammengeschlagen werden konnte.

Wie hat Ihnen der Glaube in diesen dynamischen Zeiten geholfen?
Als ich Rudi Dutschke kennenlernte, haben wir beide entdeckt, dass der andere religiös-christlich orientiert war. Für Rudi war das ziemlich neu, denn unter den Studenten, die er kannte, waren die meisten nicht religiös und begriffen gar nicht, was Rudi bewegte. Deswegen wollte er bei mir bleiben. Durch Rudi bekam ich einen ersten Kontakt mit Ernst Bloch, und ich konnte mich sehr schnell mit seiner Idee des Prinzips Hoffnung identifizieren. Ich erfuhr auch, dass Paul Tillich, von dem ich eine Vorlesung in den USA gehört hatte, vieles über christlichen Sozialismus geschrieben hatte.

Welche Rolle spielte und spielt die Figur von Jesus im Zusammenhang mit dem Thema Revolution?
Ich bin der Meinung, dass Jesus nicht nur über innerliche Veränderung geredet hatte, sondern dass er auch gegen eine heuchlerische Gesellschaft redete und auch zur Tat schritt, wo die Oberklasse mit den römischen Besatzern kollaborierte, damit sie ihre Privilegien ausweiten konnten.

Welche Träume und Zukunftsvisionen haben Sie persönlich noch?
Ich denke, die antiautoritäre Rebellion der 1960iger hat viel geschafft, aber sie hat es nicht geschafft, eine befreiende Wirtschaft zustande zu bringen. Das ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft, denn wenn diese kapitalistische, globale Konzernwirtschaft weitergeht, wird die Natur, wie wir sie kennen und in den Menschen existiert, zugrunde gehen. Wichtig ist, das zu bekämpfen, auch den Rassismus, und eine solidarische Kultur mit den Menschen und der Natur herzustellen.

Welche Lebenserfahrung vom Vorwärtsgehen wollen Sie der jungen Generation weitergeben?
Lesen! Es gibt so viele Ideen, die Inspiration bieten können. Deshalb sollte man lesen, statt immer auf das Handy zu schauen. Und sich Organisationen anschliessen, die für eine bessere Gesellschaft kämpfen, gegen Hasskultur, Ausbeutung, und Beleidung von Mensch und Natur. Und nicht aufgeben, weil man wirklich Dinge ändern kann, nur vielleicht nicht alles, was man hofft. Aber wenn auch nicht alle Ziele erreicht werden, gibt es immer noch das nächste Mal. Und das nächste Mal ist jetzt.

Zur Person

Gretchen Dutschke-Klotz, geboren am 3. März 1942 in Illinois, USA, Theologin, Autorin und ehemalige Studentenaktivistin; Witwe des 1979 verstorbenen Anführers der Deutschen 68er-Protestbewegung, Rudi Dutschke, und Mutter dreier erwachsener Kinder.

Zur Doku über Rudi Dutschke (3sat):
Teil 1
Teil 2

Zum Thema:
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Datum: 24.05.2018
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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