Heilige und Hure - Über den Männertraum von der idealen christlichen Ehefrau

Mal jenseits von Pflicht, Verantwortung und Realitätssinn dem Traum von der idealen Liebesbeziehung nachhängen, in der man endlos verwöhnt und bewundert wird, ohne etwas dafür tun zu müssen ... Dr. Arthur Domig über einen schwierigen Partnerschafts-Konflikt.

Der Mensch ist auf Ergänzung hin gedacht und geschaffen. Deshalb halten wir Ausschau nach Partnern, die nicht zu verschieden sind von uns - aber auch nicht zu ähnlich. Darüber hinaus träumen wir Männer (und die christlichen Männer im besonderen!) von einer einzigartigen Kombination dieser Ergänzung: Unsere Partnerin soll gewissenhaft und treu, verlässlich und tugendhaft, sparsam häuslich, seelisch stabil und geistlich reif sein. Alle diese Eigenschaften in sich zu verbinden, ist zwar ohnehin schon eine Herausforderung für eine Frau, aber vielen Frauen gelingt das - jedenfalls zu einem für ihren Mann zufriedenstellenden Ausmass.

Doch der Traum des Mannes geht noch weiter: Sie soll verspielt und sinnlich sein, impulsiv und emotional, voll von Bewunderung und erotischer Attraktion. Sie soll sich vergessen können (nur nicht, wenn es ihrer Figur schaden könnte!) und jederzeit bereit sein, um seinetwillen verrückte Dinge auszuprobieren. Das ist die männliche Sehnsucht nach der ,,Heiligen" und der ,,Hure" zugleich.

Der Verrat Sie hatte eine reife, attraktive Stimme, wenngleich der Schmerz unüberhörbar durchdrang. Ich hatte richtig geschätzt, sie war so um die Fünfzig. Ihr Mann, so berichtete sie am Telefon, sei in der Midlifekrise und hätte sich deshalb vernarrt in eine andere. ("Die ist wahrscheinlich fünfzehn Jahre jünger, hat keine Kinder, fährt nach Venedig zu Kaffee und Kuchen und kann fünf Orgasmen hintereinander vortäuschen - oder auch wirklich erleben" dachte ich. Ich kenne viele solche Situationen und in diesem Fall hatte ich recht - bis auf das Alter. Die andere war nicht jünger, sondern gleich jung.) ,,Hat er Ihnen einen konkreten Grund für seine Untreue angegeben?", wollte ich wissen. Nein, das hatte er nicht, er wollte Überhaupt nicht darüber reden. Möglicherweise sei er selbst nicht sicher was in ihm vorgehe. Was sollte sie tun? Wir vereinbarten einen Termin....

Nun muss gestehen, ich bin kein fairer Berater, wenn ich höre, dass die Midlife-Krise vorgeschoben wird als Begründung, ja geradezu Entschuldigung für Ehebruch oder andere Beziehungsverletzung. In diesem Fall hat die gute Frau den ,,Schmäh ihres Mannes auch noch geschluckt! Die Situation ist kurz vor Weinachten aufgeflogen und bis Ostern gab es noch keine Veränderung. ,,Sofortige Scheidung!" rieten ihr die einen. ,,Dulden und beten!" die anderen. ,,Ebenfalls eine Affäre beginnen" die dritten.

In einem solchen Fall, wo der ,,Ausbrecher" ohnehin nicht bereit ist, mit in die Beratung zu kommen, geht es mir um das seelische Überleben bzw. emotionale Gleichgewicht des Verletzten. Dabei spielen Wut und Zorn und Rachegedanken immer eine wichtige Rolle. Das ist gar nicht schlecht - solange sie nicht als das eigentliche Ziel angesehen werden. Später wird am Verstehen gearbeitet, ein brauchbares Modell für Vergebung überlegt und neue Schritte geplant in eine neue Zukunft - mit oder ohne jenen Partner, der sich im Moment wie ein Fremder, ja manchmal sogar wie ein Feind benimmt.

Die ,,Heilige" Was immer die Gründe sein mögen: Ein Teil im Mann sucht in der Frau die Heilige, die er bewundern, die er auch vorzeigen kann. Die Frau als Heilige darf auch Macht haben über ihn. So lässt sich der eine über Jahre geduldig das eine oder andere befehlen, versucht ein guter Familienvater zu sein, und geht mit seiner Frau und den Kindern an den religiösen Hochfesten oder auch zu wöchentlichen Gebetsrunden, wenn's sein muss. In der sexuellen Beziehung bemüht er sich, ein guter Liebhaber zu sein - wohl wissend, dass sie Sex nicht so dringend bräuchten oder wenigstens nicht so wie er. Meine Frau", so vermutet er, ,,gibt Sex, weil sie mich liebt, nicht, weil sie es seelisch braucht und geniesst. Sie tut es aus Hingabe." Das ist das Heiligenbild, das viele Männer, oft jahrzehntelang, mit sich herumschleppen.

Die Frauen haben kurioserweise von dieser Statuenposition" wenig gemerkt. Der Mann ist unter Umständen mürrisch, schweigsam oder zornig. Weder sie noch er weiss um diese geheime Konstellation". Dann, eines Tages, reicht es.

Die ,,Hure" Eines Tages möchte er ausbrechen aus seinem (wohlgemerkt: oft selbstgestrickten!) Gefängnis. Er möchte noch einmal erleben, wie er begehrt, geehrt und bewundert wird. Vor allem möchte er (wieder) einmal unvernünftig sein dürfen (nach Paris ins Kino ...), unverantwortlich (eine Woche Bürosperre .. .), und ungebunden - aber nicht allein, sondern eben an seiner Seite die ,,Hure". Er träumt von jener Frau, die ihm vom ersten Augenblick an gefügig ist und gleichzeitig weiss, wie sie seine (Gegenwart geniessen kann. Ihr gegenüber hat er keinerlei Verantwortung. Er kann jederzeit gehen. Solange er jedoch bleibt, ist er der ,,Herr" und gestaltet die Beziehung so, wie er es eben mit seiner Heiligen" nicht erleben konnte. Seine Wünsche werden erfüllt - aus welchen Gründen auch immer. Sie bewundert ihn für das, was er ohne sie ist und auch was er für sie ist. Wieviel von dieser Bewunderung nur gespielt ist, kann ihm egal sein. Bewunderung kann ein Mann nie genug bekommen.

Der Mann meiner Klientin schien so eine Dynamik zu erleben. Er genoss die verrückte Freiheit mit der anderen. Er, der sonst so sparsame Vater, wurde so freigebig, dass die Familie um ihr Heim bangte. Er war immer ei ehrlicher und pflichtbewusster Mann gewesen. Jetzt kannte er keine Moral mehr. Er schwieg oder er log. Sein ruhiges Zuhause war ihm plötzlich unerträglich geworden, seinen Kindern schickte er aus der Ferne Geschenke zu und schrieb ihnen Gedichte, um sein Gewissen - oder was davon noch übrig war - zu beruhigen.
Doch auch jetzt dämmerte es ihm irgendwann, dass er in dieser Situation keineswegs nur der Herr" war, sondern in zunehmendem Masse ein Versklavter - wenngleich unter anderen Vorzeichen. Er hatte riskiert, vieles zu verlieren, was er in den Jahren zuvor aufgebaut hatte. Langsam erkannte er, dass man nicht eine Beziehung aufbauen kann mit den Prinzipien der Begegnung.

Das Leben Wir Menschen sind geschaffen zur Ergänzung - und so suchen wir jene ,,Hälfte", die uns ausfüllen soll. Fast alle Männer, so bin ich überzeugt, sehnen sich nach dem ,,Heiligen", dem Hohen und Reinen in der Frau, die wir heiraten. Aber wir möchten auch das Sinnliche, das Spielerische, impulsive und Unberechenbare mit ihr erleben. Welche Möglichkeit gut es, diesen Gegensatz zu überbrücken?

Zunächst einmal muss sich der Mann klar darüber werden, was für ihn wichtig ist und wieviel davon er mit seiner Frau zur Zeit erlebt. Dann wird ein vernünftiger Mann mit seiner Partnerin darüber reden und seine Bedürfnisse und Wünsche anmelden - ohne offenes Gespräch geht auch hier nichts. Nicht, dass sie dann plötzlich alle seine Bedürfnisse erfüllen muss,, aber viele Frauen währen bereit, spielerisch und impulsiv zu sein, würden sie auf die richtige Art und Weise von ihrem Mann dazu eingeladen. Zu oft stehen wir uns selbst mit unserer altmodischen Vorstellung über die ,,christliche Ehefrau" im Weg. Es ist auch nicht fair gegenüber einer Frau, sie (wenn auch meist unbewusst) in eines der beiden Extremen schieben. Sie muss sich dann erst selbst aus einer ihr zugedachten Rolle befreien - was vielen nicht gelingt, selbst wenn sie mit ihrer Rollenzuteilung gar nicht glücklich sind.

,,Heilige" und ,,Hure", die beiden Frauentypen, die wir Männer suchen, können (und sollen!) mit ein und derselben Frau erlebt werden. Wer jemals versucht hat, die beiden Typen mit verschiedenen Personen zu leben, weiss, dass der Preis immer zu hoch ist. Es führt letztlich in die Einsamkeit, wo man beide verliert. Es führt in die Knechtschaft und niemals in die Freiheit.

Dr. Arthur Doming leitet eine Beratungsstelle für Persönlichkeitsentwicklung, Partnerschaft und Familienbeziehungen in Salzburg. Er ist verheiratet mit Elizabeth und hat drei Kinder.

Datum: 05.04.2002
Autor: Arthur Domig
Quelle: FAMILY

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