Was hemmt denn da?

Jürgen Werner

Der Physiotherapeut und Triathlet Jürgen Werner geht der Sache auf den Grund: die Muskulatur steht sich selber auf dem Fuß.

Da hemmt ein verkürzter, tonischer Muskel seinen Gegenspieler, den Antagonisten. Eine optimale Lauftechnik ist nicht möglich, da es zu Einschränkungen an Kraft, Beweglichkeit und Koordination kommt. Der Laufstil wird unökonomischer, was wieder in einer Verringerung der Schrittlänge und somit einer Reduzierung der Laufgeschwindigkeit zum Ausdruck kommt. Ursache ist eine muskuläre Dysbalance, die wiederum durch eine Fehlform der Wirbelsäule wie z.B. die seitliche Verkrümmung (Skoliose), das Wirbelgleiten oder den Morbus Scheuermann ausgelöst worden ist.

Auch Bewegungsmangel oder einseitige, rückenschädliche Alltagsbewegungen, aber auch eine sowie monotone sportliche Betätigung (z.B. ausschließlich Lauftraining, gleiche Strecken, gleiches Tempo) können zur Verkürzung tonischer Muskulatur und zur mangelnden Beanspruchung phasischer Muskulatur führen.
Ins Gewicht fällt ebenfalls eine unfunktionelle Lauftechnik, eine schlechte Laufhaltung , ungeeignete Laufschuhe oder auch Verletzungen. Desweiteren können auch Überlastungen im Training und Wettkampf, meist in Verbindung mit fehlenden regenerativen Maßnahmen, Auslöser sein.

All diese Einflüsse können zu einer eingeschränkten Stabilisierungsfähigkeit der Rumpfmuskulatur führen und somit muskuläre Dysbalancen nach sich ziehen.
Es kommt dabei zu veränderten Druck- und Zugverhältnissen im Bereich der Wirbelsäule und der Gelenke. Dies kann zu Muskelverspannungen (vor allem im Rückenbereich), Überlastungen von Sehnen und Bändern und zu einem frühzeitigen Knorpelverschleiß der Gelenke führen .

Wenn schon, dann richtig

Zur Prävention muskulärer Dysbalancen beim Laufen empfiehlt es sich, Ausgleichssportarten zu betreiben. Besonders geeignet sind hierfür Radfahren, Schwimmen, Inlineskating, Skilanglauf und vor allem Aquajogging. Ein damit erreichter Crosstrainingseffekt ermöglicht durchaus Leistungsverbesserungen beim Laufen, da neue Trainingsreize gesetzt werden. Außerdem bietet sich so ein umfangreicheres Grundlagenausdauertraining bei verminderter orthopädischer Belastung an.

Im Lauftraining selbst ist Abwechslung angesagt. Der Läufer kann mit unterschiedlichen Laufzeiten, Steigerungen oder mit Lauftechniktraining variabel in seinen Bewegungsmustern bleiben. Durch gezielte Funktionsgymnastik wird nun muskulären Dysbalancen entgegenwirkt. Die Dehnung verkürzter, tonischer Muskultatur hat hierbei den Vorrang vor der Kräftigung phasischer Muskulatur.

Und so geht es los

Vor dem Dehnen ist ein mindestens zehnminütiges Aufwärmen erforderlich. Die Dehnposition wird ca. 30 sec. bei tiefer, ruhiger Atmung entspannt gehalten, bis ein ziehendes Gefühl in der zu dehnenden Muskulatur zu spüren ist (kein Schmerz!).

1a) Dehnung der Brustmuskulatur (auch Mobilisation der Brustwirbelsäule)
Oberschenkel etwa senkrecht, durchhängen, Brustbein schiebt sich nach vorne unten

2a) Dehnung des unteren Rückenstreckers
Beine spreizen, Füße umgreifen und Oberkörper nach unten ziehen.

3a) Dehnung des Hüftbeugers
Im Einbeinkniestand aufrichten (Bauch einziehen / Brustbein heben), Becken nach vorne schieben.

4a) Dehnung der Adduktoren
Gegrätschter Stand, Fußsohlen ganz auf dem Boden, Fußspitzen zeigen nach vorne. Mit geradem Rücken den Oberkörper auf eine Seite verlagern.

5a) Dehnung des Kniebeugers
Mit beiden Händen Wade umgreifen, Kopf ablegen, Knie Richtung Schulter ziehen (Knie ist leicht gebeugt)
beckennaher Muskelanteil wird gedehnt.

Dann Kopf abheben, Ferse Richtung Decke schieben, Knie strecken
knienaher Muskelanteil wird gedehnt.
Beide Positionen je zehn Sekunden halten und zwei bis drei Mal wechseln. Bei starken Verkürzungen kann das passive Bein auch angestellt werden.

6a) Dehnung des Kniestreckers
Aus bequemer Seitlage Fuß zum Gesäß ziehen, Rücken gerade (Bauch einziehen), Knie zusammen. Die Ferse berührt von innen nach außen die obenliegende Gesäßhälfte
Dehnung verschiedener Muskelteile

7a) Dehnung der Waden
Aufrechter Stand auf Stufe, gestrecktes Knie, Fußballen steht auf der Kante, Ferse schiebt nach unten.

Dehnung mit gebeugtem Knie wiederholen.

Das neu erhaltene Bewegungsausmaß ist anschließend durch Kräftigung der phasischen Antagonisten zu stabilisieren. Hierfür möchte ich dynamische Kräftigungsübungen mit Gewichtsmanschetten vorstellen, die alle problemlos auch zu Hause durchführbar sind. Die Gewichtsmanschetten sollten je nach Leistungsstärke zwischen 1.000 und 2.500 g wiegen. Die Bewegungen sollten langsam und korrekt durchgeführt werden, auf gleichmäßige Atmung im Rhythmus der Bewegung ist zu achten.
Die Übungen 1b) und 2b) können bei sechs bis fünfzehn Wiederholungen und drei bis fünf Sätzen, alle anderen Übungen ab fünfzehn Wiederholungen bei zwei bis drei Sätzen absolviert werden (Kraftausdauerbereich). Im Laufe von Wochen werden Wiederholungen, Sätze sowie die Trainingshäufigkeit (zwei bis vier Mal pro Woche) sukzessive gesteigert. Bei den Übungen sollte die Muskulatur nur soweit ermüden, dass die Bewegungsausführung noch sauber ist.

1b) Kräftigung hinterer Schultermuskulatur, oberer Rückenstrecker
Oberkörper auf Hocker ablegen, Gesicht nach unten (Nacken lang machen), Arme mit gestreckten Ellenbogen vom Boden abheben, beide Arme bilden eine Linie, Daumen zeigen schräg nach oben, Schulterblätter Richtung Wirbelsäule ziehen.

2b) Kräftigung der Bauchmuskulatur
Kopf leicht abheben (Doppelkinn), beide Unterschenkel waagerecht im Wechsel nach vorne schieben (Kreuz muss immer voll aufliegen!), Fußspitzen hochziehen.

3b) Kräftigung der Gesäßmuskulatur (auch Rückenstrecker / Kniebeuger)
Aus Vierfüßlerstand (gerader Rücken, Gesicht nach unten, Oberschenkel stehen senkrecht), Bein bis zur Waagerechten strecken.

4b) Kräftigung der seitlichen Beckenmuskulatur
Seitlage, unteres Bein beugen, Fuß steht waagerecht, oberes Bein gestreckt senkrecht in Richtung Decke abheben.

5b) Kräftigung des Kniestreckers (mit beiden Gewichtsmanschetten, eine um die Fußspitze legen)

Auf Tisch setzen, gerader Rücken, Fußspitze hochziehen, Knie strecken.
Differenzierung:
Bei O-Bein Außenrand des Fußes hochziehen.
Bei X-Bein Innenrand des Fußes hochziehen.

6b) Kräftigung des Kniebeugers (mit beiden Gewichtsmanschetten)

Gerader Stand (Brustbein heben, Bauch einziehen), Standbein leicht gebeugt, beide Knie bleiben nebeneinander (keine Hüftbeugung!), Ferse in Richtung Gesäß ziehen.

7b) Kräftigung des vorderen Schienbeinmuskels

Gewichtsmanschetten um beide Fußspitzen (gehr besser mit Schuhen), auf Tisch setzen, gerader Rücken, Fußspitzen weit hochziehen.

Nur Gewinner

Eine Funktionsgymnastik sollte ganzjährig durchgeführt werden und kann in der Übergangsphase sogar als Trainingsschwerpunkt im Sinne eines Basistrainings noch eine stärkere Gewichtung erhalten. Sie sollte nicht als ‚lästiges Beiwerk' betrachtet werden, denn sie erschließt eingeschränkte Potentiale und trägt so zu einem höheren Wirkungsgrad bei. Ein ökonomischer Laufstil mit einer größeren Schrittlänge führt zu einer Verbesserung der Laufleistung. Außerdem stellt Funktionsgymnastik ein effektives Mittel zur Verletzungsprophylaxe dar und ist für Leistungs- und Breitensport deshalb gleichermaßen interessant.

Autorenprofil:
Name: Jürgen Werner
Jahrgang: 1969
Familienstand: verheiratet
Berufliche Daten: Masseur und Sportphysiotherapeut
Sportliche Daten: zur Zeit Triathlon B-Trainer, ab Oktober hoffentlich A-Trainer
Triathlet 2. Bundesliga
Hobbies: Essen, Lesen

Datum: 29.03.2002
Autor: Jürgen Werner
Quelle: SRS online

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