Eine Niederlage - und dann?

Nicht jeder Misserfolg kann vermieden werden.

Dass wir Menschen scheitern und Misserfolge erleben, ist manchmal zu vermeiden, manchmal aber auch nicht, sagt der Psychotherapeut Manfred Engeli.

Manfred Engeli, wie reagieren Sie auf das Wort "Misserfolg"?
Das ist immer subjektiv. Ich denke, dass es vermeidbare und unvermeidbare Misserfolge gibt. Vermeidbare haben damit zu tun, dass wir uns Ziele stecken, die unsere Möglichkeiten übersteigen. Unvermeidbare Misserfolge hängen mit Lebensumständen zusammen, auf die wir keinen Einfluss haben.

Ein Kurzstreckenläufer möchte im 100-Meterlauf unter zehn Sekunden kommen, schafft es aber nicht. Wie begleiten Sie ihn?
Zuerst möchte ich wissen, was ihn dazu gebracht hat, sich dieses Ziel zu stecken. Vielleicht sind gar nicht diese zehn Sekunden sein tieferer Grund. Wenn er feststellt, dass sein Ziel auf falschen Motiven beruht, muss er es korrigieren. Sonst ist er für seinen Misserfolg selber verantwortlich. Er kann sich sagen: "Ich habe mir gegenüber falsch gehandelt. Meine Motivation war nicht richtig. Ich will mich mit mir versöhnen und mir vergeben."

Schliesslich muss er sich ein neues Ziel setzen, das zwar herausfordernd, aber doch realistisch ist. Ein anderes Beispiel: Ein Mann will unbedingt die Liebe einer Frau gewinnen. Er schafft es nicht und erlebt dies als Misserfolg. Doch kann es ein Ziel sein, das Herz einer Frau zu erobern? Dies ist ja vom freien Willen einer anderer Personen abhängig und muss beim Scheitern nicht allein als eigener Misserfolg gesehen werden. Die vermeidbaren Misserfolge können uns helfen, uns besser kennen zu lernen und uns für einen Weg des persönlichen Wachstums zu entscheiden.

Sie sagen, es gäbe auch unvermeidbare Misserfolge. Wie können wir damit umgehen?
In meiner Arbeit begegne ich oft Menschen, die "naiv" (entschuldigen Sie den Ausdruck) davon ausgehen, dass der Mensch ein Recht auf Glück habe. Alle Hindernisse auf dem Weg zum Glück werden als Misserfolge wahrgenommen.

Hier müssen wir zuerst anerkennen, dass unsere Existenz mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist. Dieses Bewusstsein ist ein erster Schritt im Umgang mit "unvermeidbaren Misserfolgen". Ein nächster Schritt ist die Versöhnung mit dem Ereignis. Das heisst nicht, dass wir sagen: "Das war genial!" Vielmehr bedeutet es, dieses Ereignis als Teil der eigenen Lebensgeschichte anzunehmen. Wenn wir uns einmal mit der Sachlage versöhnt haben, können wir die Ereignisse besser einordnen: "Was mir zugestossen ist (zum Beispiel ein Todesfall in der Familie), hat Auswirkungen auf mich gehabt. Doch vielleicht kann für mich daraus etwas Positives werden. Vielleicht beginnt damit ein neuer Lebensabschnitt."

Welche Rolle kann Gott bei vermeidbaren und unvermeidbaren Misserfolgen spielen?
Das hängt davon ab, welchen Platz wir ihm geben. Für mich steht er in der Mitte meiner Existenz. Wenn ich einen Misserfolg erlebe, weiss ich, dass er da ist. Er erlebt den Misserfolg mit mir. In einem Psalm der Bibel heisst es: "Ihr Menschen, vertraut ihm jederzeit und schüttet euer Herz bei ihm aus! Gott ist unsere Zuflucht." (Psalm 62,9)

Für mich beginnt die Verarbeitung eines Misserfolgs damit. Im inneren Dialog mit Gott kann ich entdecken, wie er meinen Misserfolg sieht. Oft ermutigt er mich, ihm die Folgen anzuvertrauen. So verliert der Misserfolg seinen bitteren Geschmack. Und ich kann ihn so verarbeiten, dass er mir zum Wachstum dient.

Vor einigen Jahren haben wir einen 30-jährigen Sohn an Krebs verloren. Dieses Erlebnis hat uns und unsere Kinder zutiefst erschüttert! Verschiedentlich kämpften wir heftig mit dem Warum. Wir haben Gott gebeten, ihn doch zu heilen. Aber durch alle Hochs und Tiefs hindurch wuchs die unerschütterliche Gewissheit: Unsere Gott ist für uns ein Gott der Gnade und der Weisheit, dem wir vertrauen können, auch mitten in dem, was wir als Misserfolg erleben!

Datum: 03.06.2008
Quelle: 4telstunde für Jesus

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