Enttäuschte Hoffnungen – und ein Amerikaner in Peking

Grosse Sicherheitsvorkehrungen in Peking.
George W. Bush hatte Lob und Kritik für die Gastgeber.

Die Chinesen haben ihre Spiele. Das erfolgreichste kommunistische Regime, auf eine polierte Fassade bedacht, beherbergt die Spitzensportler der Welt. Es bietet ihnen nicht die Luft, die ihnen gebührt, dafür einschneidende Sicherheitsvorkehrungen. Die Olympische Bewegung hat mit illusionären Hoffnungen auf eine Öffnung Chinas diese Spiele vergeben und muss sich Naivität vorwerfen lassen. US-Präsident Bush fiel durch Lob und Kritik am asiatischen Gastgeber auf.

Angela Merkel blieb dem grandiosen Eröffnungsspektakel konsequenterweise fern, dagegen feierte Bundespräsident Pascal Couchepin am Freitag im Vogelnest-Stadion mit Sarkozy, Putin und anderen Oberhäuptern. Während nun die Athleten um Gold und Silber kämpfen, weisen Menschenrechtsorganisationen auf die härtere Unterdrückung von Dissidenten, freiheitsliebenden Bürgern, religiösen Minderheiten und auf Eigenständigkeit bedachten Völkern hin. Das unruhige Tibet wie die von muslimischen Uiguren bewohnte Westprovinz Xinjang sind seit Jahrzehnten durch die gelenkte Massenzuwanderung von Han-Chinesen ‚entwickelt‘ worden, doch viele Einheimische machen die Faust im Sack, und es kommt zu Gewaltausbrüchen und gar zu blutigen Attentaten, zuletzt in Kashgar.

Chinas Stolz – Opportunismus im Westen

Wie der Leitartikler der Neuen Zürcher Zeitung schrieb, hat „China seine Spiele organisiert, nicht jene des Internationalen Olympischen Komitees und nicht solche, die sich der Westen ausgedacht hatte“. Die globale Publicity nutzen die Kommunisten, um Applaus für ihre Methoden der harten Hand einzuheimsen. Vor den Spielen sei die Dissidentenszene ‚gesäubert‘ worden; entgegen den westlichen Wunschträumen verschlechterte sich die Menschenrechtslage. Der Leitartikler bringt es – mit einem Wink an jene, die für Kontinuität in den Beziehungen plädieren, um mit China geschäften zu können – auf den Punkt: „Man kann nicht Offenheit, Menschenrechte, Demokratie und Friedhofsruhe gleichzeitig haben.“ Und er fragt: „Wie soll China Achtung vor westlichen Vorstellungen, geschweige denn ‚Werten‘ entwickeln, wenn es nur merkantilen Opportunismus ohne Rückgrat sieht?“

(Immer mehr) Religion von Staates Gnaden

Auch der grundlegenden Freiheit zu glauben haben die roten Mandarine in Peking, auf wirtschaftlichen Erfolg versessen, bisher nicht wirklich Raum gegeben, obwohl die Christen in den nicht registrierten, oft bedrängten oder gar verfolgten (Haus-)Gemeinden sich regelmässig als gute, patriotische Bürger der Volksrepublik erweisen. Allerdings kann das Evangelium, diversen Einschränkungen je nach Ort und Provinz zum Trotz, verbreitet werden. Sprecher der Kirchen, welche sich dem Regime unterstellt haben, verweisen auf die zunehmenden Wirkungsmöglichkeiten in der chinesischen Gesellschaft. Namentlich Studenten und Akademiker suchen nach einer Religion, welche eine persönliche Gottesbeziehung, Vergebung von Schuld, Heilung von Traumata, ein solidarisches Ethos und eine positive globale Perspektive bietet.

Olympisches Dorf als eigene Welt

Im Olympischen Dorf haben die Organisatoren für die Weltreligionen je einen Versammlungsraum hergerichtet. Ausländische Geistliche betreuen Athleten und 10’000 englisch-chinesische Olympia-Bibeln (mit den fünf Ringen auf dem Umschlag) liegen auf. Die Katholiken haben gar, wie die Reporterin der Washington Post schreibt, eine Orgel in ihrem Versammlungsraum.

Andrerseits verschärfte das Regime schon vor Monaten seine Massnahmen gegen widerständige Gläubige. Leiter von Hauskirchen wurden verhaftet. Ausländische Christen erhielten keine Visa. Versammlungsstätten wurden geschlossen. “Wie kann dies als eine harmonische Gesellschaft bezeichnet warden?” fragte Zhang Mingxuan, ein Hauskirchenleiter. „Wäre sie harmonisch, hätten wir das Recht, in Peking zu bleiben und den Spielen beizuwohnen!“ Mingxuan wurde kürzlich aus der Stadt verwiesen, Anfang August verhaftet und wenige Tage später in der Provinz Henan erneut in Gewahrsam genommen…

George W. Bush: „Tiefe Sorge“…

Zu den Politikern, die die eklatanten Widersprüche thematisieren (in der Antike ruhten während den Spielen alle Konflikte in der Welt der Hellenen), gehört US-Präsident George W. Bush. Auf seiner vermutlich letzten Asienreise plädierte er gleich dreimal für Religionsfreiheit und mehr Respekt vor den Menschenrechten in China. Vor einem Treffen mit Staats- und Parteichef Hu Jintao sagte Bush in seiner wöchentlichen Radioadresse an die US-Bürger, er wolle während seiner Visite «Amerikas tiefe Sorge über Freiheit und Menschenrechte in China» ausdrücken.

Bush besuchte am Sonntag den Gottesdienst einer registrierten Gemeinde, was bei Amnesty die Kritik provozierte, er unterstütze „die Kontrolle der Religion durch den chinesischen Staat". Das US-amerikanische Hilfswerk China Aid Association hielt fest, George und Laura Bush hätten nicht mit Gemeindemitgliedern zusammentreffen können. In die Kirche seien nur Mitarbeiter des Geheimdienstes, politische Akteure und ausgewählte Personen eingelassen worden. Langjährige Mitglieder der Gemeinde hätten keine Chance erhalten, den Gottesdienst zu besuchen.

…und Zuversicht

Bush sagte am Radio, seine Erlebnisse in Peking hätten ihn im Glauben bestärkt, dass Menschen, die frei ihre Meinung äusserten oder ihrer Religion nachgingen, «keine Bedrohung für die Zukunft Chinas sind». Nach dem Gottesdienst sagte er, kein Staat und kein Bürger «sollte den Einfluss der Liebe zu einer Religion fürchten».

Zugleich gab sich der Mann aus Washington zuversichtlich im Blick auf die unheimlich rasante wirtschaftliche Entwicklung (welche namentlich in den USA mit Sorge beäugt wird). «China sprintet in eine moderne Ära.» Nur selbst könne das Land über seinen Kurs entscheiden. Junge Leute, die mit Freiheit auf einem Gebiet aufwüchsen, würden am Ende mehr Freiheit auch in anderen Bereichen fordern. «Das China der Zukunft wird seine eigene Kultur und Traditionen verkörpern, aber es wird auch die universellen Bestrebungen der Menschheit widerspiegeln – und es gibt kein tieferes menschliches Begehren als das nach Freiheit», sagte Bush.

Datum: 12.08.2008
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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