Kirchgemeinde Hirzenbach

Wie eine Gemeinde nach der Krise aufblüht

2010 steckte die Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Hirzenbach in Zürich Schwamendingen in einer Krise. Heute blickt sie auf eine dynamische Entwicklung zurück und ist zu einer blühenden Modellgemeinde geworden.
Fest der Kirchen in der Stefanskirche
Thomas Bucher vor der Stefanskirche
«Coffee&Deeds»

«Wir sind eine profilierte Gemeinde mit Anziehungskraft über unsere Gemeindegrenzen hinaus.» So definiert sich die Kirchgemeinde Hirzenbach – die Stefanskirche – heute selbst. Das klingt nicht sehr bescheiden, ist aber bei näherem Hinsehen durchaus berechtigt.

Krise und Versöhnung

Zwei Jahre nahm sich die nach der Krise 2010 neu konstituierte Kirchenpflege Zeit, um sich ein Leitbild zu geben, «mit dem konsequent gearbeitet wird», wie Kirchenpflege-Präsident Thomas Bucher betont. Darin heisst es zum Beispiel: «Zu unseren neuen Prinzipien gehört eine gute Kommunikation, ein transparenter und partizipativer Führungsstil sowie gelebte Subsidiarität. Die Verantwortung und die Entscheidungen sind dort angesiedelt, wo die Arbeit gemacht wird.»

Bucher verschweigt nicht, dass nach der spannungsreichen Zeit auch zwischenmenschlich viel geschehen musste. Im November 2012 wurde daher mit einer Versöhnungswoche ein Strich unter die Vergangenheit gezogen. Bucher stellt fest: «Das vormals spannungsvolle Verhältnis zwischen Kirchenpflege, Pfarramt und Mitarbeitenden ist heute offen, konstruktiv, bereichernd und fruchtbar.»

Das geistliche Profil

«Intensiv evangelisch» – so bezeichnet die «evangelisch-reformierte Kirchgemeinde» ihr geistliches Profil. «Evangelikal» wäre kirchenpolitisch heikel und würde der Gemeinde auch nicht wirklich gerecht. Die Wurzeln zum heutigen Profil hat in den 1980er-Jahren mit Pfarrer Ernst Lienhart ausgerechnet ein Barthianer gelegt. Ihm folgte mit Markus Beyer ein Absolvent der STH Basel. Entscheidend sei aber die «Aktion Neues Leben» gewesen, aus der 12 Hauskreise entstanden seien, so Bucher. Da es im Quartier keine Freikirchen gibt, fanden in der Folge auch Menschen mit freikirchlichem Hintergrund als Freiwillige Anschluss an die Kirchgemeinde.

Öffentlichkeitsprinzip für Kirchenpflege

Dabei spielt die Kirchenpflege keine unwichtige Rolle. Sie hat sich dem Öffentlichkeitsprinzip verpflichtet. Ihre Beschlüsse sind grundsätzlich öffentlich. Immer wieder führt sie auch Sitzungen zusammen mit den Mitarbeitenden durch. Einige auch unter Einbezug der freiwilligen Leiter von Arbeits- und Gebetsgruppen. Hirzenbach versteht sich denn auch als Beteiligungsgemeinde. Sie zählt heute 250 Freiwillige! Und sie betont darin die «flache Hierarchie».

Die Kirchgemeinde ist mit 1'700 Mitgliedern relativ klein und hat heute nur noch eine Pfarrstelle. Dazu eine 120-Prozent-Diakonenstelle. Damit könnte das reichhaltige Programm  niemals bewältigt werden. Die Antwort von Hirzenbach dazu lautet «Multiplikation». Die Angestellten multiplizieren ihre Arbeit durch die Rekrutierung, Ausbildung und das Coaching von Freiwilligen. Dabei stehen professionelle Standarts im Fokus. Das frei gewordene Pfarrhaus wird von Hoffnung für Zürich als Jüngerschaftsschule genützt, die indirekt auch dem Gemeindeaufbau dient.

Innovation

In den vergangenen Jahren sind etliche neue Arbeitszweige entstanden, zum Beispiel «Coffee&Deeds», ein Café gegenüber der Kirche in einem neutralen Wohnhaus. Es zieht Menschen von der Strasse an und bietet ihnen Getränke und einfache Menüs an. Für das Café werden 205 Anstellungsprozente eingesetzt. Dazu kommen 65 Freiwillige. Die Angestellten werden aus dem Betrieb des Cafés finanziert. Seine Besonderheit: Auf der Speisekarte wird auch Gebet angeboten. «Und es wird auch in Anspruch genommen», weiss Thomas Bucher, dessen Sohn Benjamin das «Coffee&Deeds» aufgebaut hat und den Deeds Bereich (sozialdiakonischer Bereich) leitet. Ein Förderverein finanziert ausserdem eine Teilzeitstelle für einen «Innokon», einen Diakon, der innovative Projekte aufbaut.

Jugendarbeit

Durch die Konfirmandenarbeit, die auf die zukünftige Beteiligung der Jugendlichen am Gemeindeleben zielt, sind Jugendhauskreise entstanden. Der monatliche Time-Out Gottesdienst spricht ein jugendliches Publikum an. Fünf Bands begleiten auch die wöchentlichen, generationenübergreifenden Gottesdienste. Ein Kirchenmusiker, der auch Kompetenzen in populärer Musik hat, coacht die Gruppen. Um die Konfirmanden zu motivieren, nehmen als Begleiter früher Konfirmierte teil und sprechen über ihren Glauben. Das hat eine Dynamik ausgelöst, obwohl die Zahl der Konfirmanden und Konfirmandinnen meistens unter zehn liegt.

Einen wichtigen Stellenwert hat für die Mitarbeitenden und Freiwilligen das Gebet. «Ohne Gebet gibt es keinen fruchtbaren Gemeindeaufbau», betont Bucher mit Verweis auf Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie an der Universität Zürich.

Quartier- und Migrantenarbeit

In Schwamendingen und Umgebung beträgt der Anteil von Migranten 40 Prozent. Das hat dazu beigetragen, dass die Mitgliederzahl der Kirche von einst 6'000 auf 1'700 gesunken ist. Es verpflichtet die Gemeinde aber auch, sich für die Schweizer im Quartier und die Migranten zu öffnen und sie zu erreichen. Man will das Evangelium und die Kirche «für die Menschen zugänglich machen», wie es im Leitbild heisst.

Nebst «Coffee&Deeds» tragen dazu eine Reihe von Angeboten wie der Kidstreff, zwei Kinderferienwochen, die gezielt Migrantenkinder abholt, oder die Hallo-Jesus-Party als Alternative zu den Halloween-Partys bei. 2017 wurde das «churchLab» angestossen – «ein Versuch, mithilfe von Design Thinking und Vernetzung in die technische Innovationsbranche sympathisch mit neuen Ansätzen Kirche zu gestalten», wie die Stefanskirche formuliert. Ausserdem gewährt die Kirchgemeinde zwei Migrantengemeinden Gastrecht.

Keine Fusion, aber auch kein Alleingang

Die Bemühungen des reformierten Zürcher Stadtverbandes, alle Kirchgemeinden in eine einzige Gemeinde zu fusionieren, sind für die Kirchgemeinde Hirzenbach schwer mit dem jetzigen Weg in Einklang zu bringen, wie Thomas Bucher erfahren hat. Bucher: «Wir suchen nicht in erster Linie Synergien durch Fusion, sondern Freiraum für ihren Gemeindeaufbau und die Vernetzung mit gleichgesinnten Kräften.» Die Kirchgemeinde Hirzenbach hat sich daher für einen hochvernetzten eigenständigen Weg entschieden und gegen die Fusion mit der am 16. Januar von der Zürcher Kirchensynode beschlossenen Fusion zu einer Zürcher Stadtgemeinde. «Die Reform in der Stadt Zürich ist ein wichtiges Geschäft, aber wir haben trotzdem intensiv und unverdrossen die Entwicklung der Kirchgemeinde vorangetrieben. Dort soll auch weiterhin unser Schwerpunkt liegen,» bekräftigt Thomas Bucher.

Zur Webseite:
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Datum: 23.01.2018
Autor: Fritz Imhof
Quelle: idea Spektrum

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