Gefahren der Flüchtlingsarbeit

Ägypter in der Schweiz: «Nichts verschweigen, nicht übertreiben!»

Seit 2001 lebt der ägyptische evangelische Theologe Ekramy Awed, inzwischen eingebürgert, in der Schweiz. Hier gründete er 2011 die arabisch-evangelische Kirche, die er seit seiner Ordination 2013 ehrenamtlich als Pfarrer leitet. Mit den Schweizer Kirchen und insbesondere mit der reformierten Berner Kantonalkirche hat sich eine angenehme Zammenarbeit entwickelt.
Ekramy Awed ist ägyptischer evangelischer Theologe und lebt seit 2001 in der Schweiz.

Im nachfolgenden Gespräch spricht Pfarrer Awed über einige Aspekte seiner Flüchtlingsarbeit. Vorher äussert er sich zur Lage der Kirchen in Ägypten.

Livenet: Studiert man die ägyptischen Kirchen, stellt man fest, dass sie einen stark mystischen Hintergrund haben. Bestimmte in der Bibel erzählte Ereignisse und auch verschiedene Marienerscheinungen prägen die ägyptischen Christen. Können Sie dem beipflichten?
Ekramy Awed: Ägypten gilt als «Wiege des Monotheismus». Bei uns begannen die Hebräer ihre Wanderung durch die Weltgeschichte, bei uns suchte laut dem Matthäusevangelium die Heilige Familie vor dem König Herodes Zuflucht. All diese Erzählungen haben sich tief in die ägyptische Kollektivseele gebrannt. Unser Land war und ist auch Schauplatz zahlreicher Marienerscheinungen, die von sehr vielen Menschen gesehen wurden (und werden). Sie sind vom Staat und von den Kirchenverantwortlichen allerdings nicht besonders gerne gesehen, weil sie öffentliche Unruhen verursachen. Mit diesem Problem sah sich ja bereits auch der Apostel Paulus in Ephesos konfrontiert (Apostelgeschichte, Kapitel 19, Verse 8-41).

Die Kirchen reagieren je nach Konfession ganz verschieden auf solche Ereignisse: die orthodoxe koptische* Kirche begeistert, die römisch-katholische koptische* Kirche eher vorsichtig, wir Protestanten nehmen sie zur Kenntnis. Wir ehren Maria als Mutter Jesu, ohne aber einen Kult um sie zu machen. Ein solcher wäre unbiblisch. Aber auch wir evangelischen Kopten glauben, dass sie von Gott beauftragt ist, die Gläubigen zu stärken. Doch der Herr unserer Kirche ist Jesus. Diese Phänomene werden im übrigen durch Kirchen und Staat kontrolliert!

Und die Muslime?
Der Islam hält Maria hoch in Ehren, sogar ausgeprägter als viele Christen.

Die Erscheinungen wirken sich also nicht auf die Lage der Gläubigen aus?
Nein. Von Menschen inszenierte Erscheinungen hätten allerdings fatale Folgen. Muslimische Extremisten würden in einem solchen Fall vermutlich eine regelrechte Christenverfolgung anzetteln.

Christen werden in Ägypten nicht verfolgt, wenn sie auch verschiedenen Einschränkungen unterliegen?
Von offizieller Verfolgung kann keine Rede sein, vielmehr versucht die Regierung, uns vor den Islamisten zu schützen. Leider gelingt es ihr nicht immer. Jetzt hat unser Präsident al-Sissi eine Delegation amerikanischer evangelischer Christen empfangen, um mit ihnen die Lage der Christen in Ägypten zu besprechen. An dem Treffen nahmen auch Vertreter unserer evangelisch-koptischen Kirche teil (Livenet berichtete).

Für den Islam sind wir zwar eine «Religion des Buches», aber wir unterliegen gesellschaftlichen Regelungen, die Muslime nicht kennen. Das war schon immer so. Christenverfolgung ereignen sich eher auf der privaten Ebene, um es so zu sagen. Im persönlichen Umgang. Zudem kommt es zu Anschlägen auf christliche Gottesdienste. An Festtagen zum Beispiel. In diesen Fällen wird die Religion missbraucht!** Sehr klar drückte sich Grossscheich Ahmad Al-Tayeb von der im Islam sehr wichtigen Azhar-Moschee in Kairo aus: «Kein Ägypter sympathisiert mit solchen Taten, kein Christ, kein Muslim». Und er betonte gegenüber Journalisten: «Wir von Al Azhar sind bestürzt und sehr besorgt wegen dieses Phänomens des Terrorismus». Al Azhar habe viele Tagungen organisiert, um den religiösen Extremismus und Fundamentalismus zu bekämpfen.

Wäre es also sinnvoll, dass Ägyptenreisende christliche Gemeinden besuchten?
Ja. Denn manchmal fühlen sich unsere Leute von der Welt ziemlich verlassen. Auch wäre es sehr schön, wenn die hiesigen Christen für den Frieden der ägyptischen Geschwister beten würden.

Werden in der Schweiz Flüchtlinge drangsaliert?
Übereifrige Muslime gibt es auch in der Schweiz.

Haben Sie hier solche Leute getroffen, beispielsweise in den Flüchtlingsunterkünften? Man hört und liest ja, dass dort immer wieder Nichtmuslimische oder homosexuelle Menschen drangsaliert werden.
Meine Kirche hier engagiert sich stark in der Flüchtlingsarbeit. Ich selbst bin im Asylwesen nebenberuflich für das Schweizerische Rote Kreuz tätig. Ja, wir erleben manchmal offene Diskriminierung unter den Flüchtlingen. Es gibt nicht sehr viele Fälle, das darf ich betonen. Aber sie kommen leider vor. Auch Drohungen werden gemacht, auch gegen mich. Man sollte das nicht überbewerten, aber man darf solche Fälle auch nicht einfach verschweigen!

Sollte man nicht, wie auch vorgeschlagen wurde, die Flüchtlinge daher getrennt nach Weltanschaungen unterbringen?
Das tönt zwar vernünftig, wäre es aber nicht. Die Flüchtlinge werden nach Genehmigung ihres Asylgesuches in die Gesellschaft hier aufgenommen. Und in dieser Gesellschaft werden sie Menschen verschiedenster Religionen und Weltanschauungen und ganz verschiedene Lebensweisen kennenlernen. Besser ist also, sie lernen den Umgang mit der fremden Kultur vorher, in den gemeinsamen Unterkünften. Und besser wäre es, man würde ihre Asylanträge schneller bearbeiten, damit sie möglichst bald die Unterkünfte verlassen können.

Wie hilft Ihre Kirche?
Unsere freiwilligen Helfer betätigen sich als Übersetzer, vermitteln bei Konflikten und versuchen, den Menschen die hiesige Kultur nahezubringen. Auch die langen Wartezeiten bis zum Asylentscheid können Konflikte auslösen. Manchmal liegen eben die Nerven blank...

Aber ihre Kirche missioniert nicht?
Wir sprechen öffentlich von unserem Glauben und wir laden zu unseren Anlässen ein. Und die Leute kommen: Arabische Christen aller Konfessionen, christliche Schweizerinnen und Schweizer und Neugierige.

Erläuterungen:
*Der deutsche Begriff «Kopten» leitet sich von der koptischen Selbstbezeichnung «Kubti» bzw. «Kuptaion» (Ägypter) und dem darauf basierenden arabischen Wort «Gubti» bzw. «Gybti» ab. So wurde auch im frühen Mittelalter die einheimische Bevölkerung Ägyptens von den muslimisch-arabischen Eroberern genannt. Die koptisch-orthodoxe Kirche führt ihren Ursprung auf den Evangelisten Markus zurück. Der Autor des ältesten der vier Evangelien soll im 1. Jahrhundert nach Christus in Ägypten gewirkt haben und in Alexandria den Märtyrertod gestorben sein.

**Der IS, der so genannte Islamische Staat, bekannte sich zu den Attentaten. Er will so beweisen, dass die ägyptische Regierung die Christen – auf etwa acht Millionen wird ihre Zahl geschätzt nicht ausreichend schützen kann. Mit Attentaten will er die Bevölkerung polarisieren und die verschiedenen Religionsgemeinschaften auseinanderdividieren. Die Stellungnahme der Azhar-Moschee ist darum so wichtig!

Zum Thema:
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Datum: 22.11.2017
Autor: Willy Gautschi
Quelle: Livenet

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