David Grossman

"Die Bibel ist mehr als nur Literatur"

Der israelische Schriftsteller David Grossman ist in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden.
Zum Nahostkonflikt sagt Grossman: "Wir sind noch nicht zu Hause – obwohl Israel als dieses Zuhause, diese Heimat gedacht war."

Grossman weigere sich angesichts von Fanatismus und Gewalt, "die Uniform des Hasses zu tragen", sagte der frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, in seiner Lobrede. Er zeige den Lesern seiner Bücher die Freiheit auf, "einen anderen Weg" gehen zu können. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert. Er wird seit 1950 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben.

Menschen haben eine Wahl

Gauck bezeichnete Grossman als einen "inspirierten Menschen", den Unbestechlichkeit, Mut, die Bereitschaft zur unerschrockenen Wahrnehmung und die Festigkeit auszeichneten, nicht aufzugeben, wo andere verzagten. Seine Botschaft laute: "Die Menschen sind nicht verurteilt, Opfer ihrer Umstände zu werden, sie haben eine Wahl." Der Schriftsteller stehe loyal zu seinem Land und mache dabei klar, dass Loyalität und Kritik sich gegenseitig bedingten.

Hoffung auf Frieden nicht aufgeben

In seiner Dankrede wies Grossman darauf hin, dass viele Menschen in Israel nicht mehr an die Möglichkeit eines echten Friedens glaubten: "Das Wort Friede ist für viele ein Synonym für Halluzination", sagte er. Die meisten hätten sich mit der gegenwärtigen Situation abgefunden. Aber jeder, der nicht mehr an die Möglichkeit des Friedens glaube, habe schon aufgegeben und sich der Vorstellung eines immerwährenden Kriegs ergeben.

Mal Fluch, mal Privileg

Der Schriftsteller David Grossman liest regelmässg in der Bibel. Das sagte er in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". "Für mich ist die Bibel nicht nur Literatur. In der Bibel können wir sehen, warum wir heute so sind, wie wir sind", sagte Grossman. Das Buch verrate viel über den Nationalcharakter der Israelis und über die Art, "wie wir uns selbst sehen, wie die anderen, über unseren Platz in der Welt, unsere Einzigartigkeit, die mal ein Fluch ist, mal ein Privileg".

Seit zwanzig Jahren lese er wöchentlich in der Bibel. Dann habe er das Gefühl, "auf eine sehr selbstverständliche Art und Weise in die Kette der jüdischen Generationen hineingepflanzt zu werden". Die Bibel sei ein so stark kondensierter Text, dass er monatelang in zwei Versen lesen könne. "Die Sprache ist so reich und sie ist die Wurzel noch des aktuellsten Slang im modernen Hebräisch", sagte Grossman, der bedauert, dass das ursprüngliche Hebräisch kaum noch gesprochen wird: "Ich gehöre zur letzten Generation, die die Bibel noch ohne Wörterbuch und Kommentar lesen kann."

Sohn im Libanon-Krieg verloren

Der in Jerusalem lebende David Grossman studierte Philosophie und Theaterpädagogik und arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur, Hörspielautor und -sprecher beim israelischen Rundfunk. 1983 veröffentlichte er mit "Das Lächeln des Lammes" (dt. 1988) seinen ersten Roman. Mit dem 1986 erschienenen Roman "Stichwort: Liebe" (dt. 1991) über die zweite nachfolgende Generation der Opfer der Schoah und der Reportagensammlung "Der gelbe Wind" (1987, dt. 1988) über das Verhältnis zwischen Israelis und Arabern wurde er weltweit bekannt.

In seinem jüngsten Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" (2008; dt. 2009) versucht er den Verlust seines Sohnes Uri zu verarbeiten, der 2006 im Libanon-Krieg getötet wurde. Grossmans Sohn wurde kurz vor dem Ende des Zweiten Libanonkrieges, getötet, weil eine Rakete den Panzer traf, indem er sass.  

Datum: 12.10.2010
Quelle: epd/israelnetz/livenet

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