Menschen-Material-Diskussion: der Entscheid fällt auf der Ebene der Werte

Christoph Meili. Quelle: bioweb.ch

St. Gallen - In der laufenden Stammzelldebatte werden die Risiken ganz unterschiedlich bewertet. Der Biotechnologe Christoph Meili, Leiter des St. Galler Instituts Risiko-Dialog, gibt in einem Artikel im Tagblatt einen Ueberblick über die Diskussion. Bekanntlich will der Bundesrat die Forschung an Stammzellen von so genannten überzähligen Embryonen unter gewissen Voraussetzungen zulassen (solche Embryonen entstanden durch Befruchtung im Reagenzglas, werden nicht mehr gebraucht und müssen laut geltendem Gesetz vernichtet werden). Eine Mehrheit der Mitglieder der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin bejaht dieses Vorhaben; eine Minderheit der Ethik-Experten tritt dagegen für ein generelles Verbot der Embryonenforschung ein.

Laut Meili bestimmt der Standort des Betrachters seine Perspektive auch in der Stammzelldebatte. Für den Basler Mediziner Alois Gratwohl sind embryonale Stammzellen einfach 'wertvolles Zellmaterial und Rohstoff, mit dem man sorgfältig umgehen muss'. Er wünscht sich gar die Möglichkeit des therapeutischen Klonens von Embryonen. Nach Ansicht Gratwohls sollte auch das reproduktive Klonen nicht vorweg verboten werden. "Im Gegensatz dazu sehen viele Ethiker in embryonalen Stammzellen bereits eine Form menschlichen Lebens bzw. einen Embryo. So befürchtet die Zürcher Theologin Ruth Baumann-Hölzle, dass mit der Stammzellforschung langfristig der Respekt vor dem menschlichen Leben verloren gehe und gleichzeitig die Hemmschwelle und die Scheu vor der Instrumentalisierung menschlichen Lebens sinke."

An Stammzellen werden grosse medizinische Hoffnungen (und entsprechend grandiose Business-Perspektiven) geknüpft, doch über die Vorgänge bei ihrer Ausdifferenzierung in verschiedene Zelltypen ist noch sehr wenig bekannt. Die Therapien für schwere Krankheiten liegen daher laut Meili in weiter Ferne. Zudem wird neuerdings wieder heftig debattiert, ob adulte Stammzellen (wie z.B. aus Nabelschnurblut von Neugeborenen gewonnen) die benötigten spezialisierten Körperzellen bilden können. Kritiker der Forschung an embryonalen Stammzellen fordern deshalb eine verstärkte Erforschung adulter Stammzellen.

Meili zeigt am Beispiel Israel, was passiert, wenn der Staat kaum Leitplanken setzt: "Während sich die Forscher in Europa mit Ethikkommissionen herumschlagen müssen, sind dort Experimente mit embryonalen Stammzellen unumstritten. Dies brachte Israel in der Stammzellenforschung in eine Spitzenposition." Doch auch mit dem Vorschlag des Bundesrates könne die kommerzielle Forschung in der Schweiz leben. "In Europa verfügt einzig England über eine liberalere Gesetzgebung, welche die Herstellung von Embryonen für Forschungszwecke und das therapeutische Klonen erlaubt."

Laut Meili gibt es bei so genannten Risikodebatten drei unterschiedliche Konflikt-Ebenen: "Konflikte über Wissen und Expertise, Vertrauens- und Interessenkonflikte sowie Konflikte über Werte und Normen. Die Diskussion um Embryonenforschung und Stammzellen berührt Fragen auf allen drei Ebenen. Im Zentrum stehen Konflikte um Werte und Normen. Mit naturwissenschaftlicher Argumentation allein können in Wertfragen offensichtlich keine Lösungen erzielt werden. Für konstruktive und nachhaltige Lösungen braucht es den interdisziplinären Dialog. Voraussetzung dafür ist eine gemeinsame Kommunikationsbasis und das Bewusstsein, dass die Argumente auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Doch dies ist leichter gesagt als getan."

So plädiert der Risiko-Experte für ein Bedenken der unterschiedlichen Wahrnehmungen, Annahmen und Werte, "für ein gegenseitiges Zuhören, um auch wichtige Zwischentöne zu hören. Es geht beim Risiko-Dialog darum, sich in sein Gegenüber zu versetzen. Es geht um einen Austausch von unterschiedlichen Interessensgruppen (nicht Gegnern), die an einer Lösung interessiert sind."

Zur Förderung dieses Dialogs will die Stiftung Risiko-Dialog am 13. September, 14. November und 16. Januar 2003 im Kursaal Bern drei Fachtagungen durchführen.

Quelle: Tagblatt

Datum: 03.07.2002

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