Porträt einer Evangelikalen

Freundlich, aber mit steinharten Ansichten

Ein ausführliches Porträt einer evangelikalen Christin präsentiert die Wochenzeitung «Die Zeit». Ein Thema ist, dass sie sich mit ihrem Glauben Vorurteilen und Schubladendenken ausgesetzt sieht.
Andrea Bleher
Andrea Bleher wurde in der «Zeit» porträtiert.

Der Autor des Beitrags, Hannes Leitlein, beschreibt es so: «Viele blicken abschätzig auf Menschen wie Bleher. Linke Stadtakademiker stellen eine wie sie aufgrund einzelner Begriffe in die rechte Ecke, stempeln sie gar als homophob oder antisemitisch ab. Sie kennt das Gefühl, seit Kindheitstagen. Bleher ahnt, dass sie sich mit ihren Ansichten oberflächlich betrachtet gut auf einem Plakat der Rechtspopulisten machen würde, obwohl sie überhaupt nichts mit der Partei zu tun haben will.»

«Alles dreht sich um den Mann aus Nazareth»

Angesprochen werden die Lebensbereiche der 53-Jährigen. Sie ist Mutter von sieben Kindern, Landwirtin, Predikantin, Synodale der (evangelischen) württembergischen Landeskirche und engagiert sich im Bauernverband. Ihre Glaubenshaltung wird so beschrieben: «Bleher ist Christin. Nicht nur an Weihnachten und auch nicht nur, wenn sie sonntags in die Kirche geht. Sie ist es dauernd. Sie hat Jesus im Herzen, wie sie es ausdrückt. Alles in ihrem Leben dreht sich um den Mann aus Nazareth; alles, was sie tut oder unterlässt, begründet sie mit Worten, die in der Bibel von ihm überliefert sind.»

Und weiter heisst es über sie: «Sie glaubt eben nur, dass Deutschland mehr von Jesus vertragen könnte. Deshalb engagiert sie sich in der evangelischen Kirche für die klassische Ehe, für weniger Abtreibungen. Sie ist für die Mission unter Juden und Muslimen, auf dass auch sie Jesus als ihren Heiland anerkennen.» Leitlein beschreibt sie als freundliche Frau, aber sie habe «steinharte Ansichten».

Die Bibel wörtlich nehmen

Mit dem Porträt versucht der Journalist Hannes Leitlein sich einer Gruppe von Menschen zu nähern, die ihm selbst wohl fremd ist: «Andrea Bleher gehört zu einer in Deutschland mächtigen Minderheit. Sie ist Evangelikale. Sie ist eine derer, die glauben, dass die Bibel mehr ist als eine Sammlung altehrwürdiger Geschichten: Sie ist wörtlich zu nehmen. In Baden-Württemberg ist diese Strömung besonders stark, aber auch im Rheinland, im Siegerland oder in Sachsen leben viele Pietisten und Evangelikale. Insgesamt machen sie Schätzungen zufolge ein bis drei Prozent der Deutschen aus, weltweit sollen etwa 30 Prozent aller Christen evangelikal sein.»

Eine mächtige Minderheit

Das Wort von der mächtigen Minderheit belegt der Journalist damit, dass evangelikale Christen einen eigenen Fernsehsender und verschiedene Magazine haben. Es gebe bekannte Politiker wie Volker Kauer und Hermann Gröhe, die ihnen zuzurechnen seien, aber auch vermögende Unternehmer.

Leitlein stellt dar, dass es unter evangelikalen Christen nicht nur politisch konservative ausgerichtete Christen gibt: «Seit jeher hat der Pietismus, aus dem der Evangelikalismus hervorgegangen ist, einen einflussreichen linken Flügel. Bald nach Luthers Reformation gründeten die Frommen Schulen, Kinderheime, Kranken- und Jugendhäuser. Jahrhunderte später prügelten sie sich mit der Hitlerjugend. Heute engagieren sie sich in den USA gegen die Todesstrafe, in Indien gegen Sklaverei und Zwangsprostitution.»

Und so beschreibt er Andrea Bleher wie folgt: «Man darf nicht den Fehler machen, Bleher einfach für eine Rechte zu halten. Ihre Gedanken sind vielfältiger, tiefsinniger, überraschender. Sie trägt beide Flügel des Evangelikalen in sich.»

Differenzierte Darstellung

Es wird erkennbar, dass der Journalist zu vielen Haltungen von Bleher Distanz empfindet, sich aber um eine differenzierte Darstellung bemüht. Er beschreibt eine Welt, die ihm fremd ist und zeigt seinen Respekt für Andrea Bleher, die nicht so ganz in die gängigen Klischees über evangelikale Christen passt. Um das zu belegen spricht er folgende Grundüberzeugungen der Gläubigen an: Alles, was lebt hat Vorrang - Nächstenliebe und Solidarität - Gegen überkommene Rollenbilder zwischen Mann und Frau - Verantwortung für Schwache, Flüchtlinge und Alte.

Der Artikel ist lesenswert, weil er zeigt, wie sich ein Journalist einer Gläubigen zu nähern versucht. Dabei wird deutlich, dass auch er nicht frei von Schubladendenken ist. Er beschreibt eine Frau, die er als freundlich und tiefsinnig erlebt, aber die seiner Sicht nach alten Vorstellungen nachhängt. An einer Stelle des Artikels stellt Leitlein fest, dass Andrea Bleher oft das Gefühl habe, falsch verstanden zu werden. Beim Lesen des Artikels kommt allerdings die Frage auf, ob der Autor und Journalist sie richtig verstanden hat.

Zu lesen ist dasPorträt «Mein Gott» in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung «Die Zeit» und der Print-Beilage «Christ und Welt». Der Beitrag ist Teil der Serie «Heimatmysterium». Hier sollen Netzwerke, Gemeinschaften und Identitäten vorgestellt werden, die Deutschland prägen.

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Datum: 17.03.2018
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet

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