Die Sektenfrage

Sind Freikirchen Sekten?

Der Sektenvorwurf wird immer wieder gegen Freikirchen, oft sehr pauschal, erhoben. Im zweiten Teil eines Streitgesprächs zwischen dem Religionsskeptiker Hugo Stamm und dem Kirchengründer Johannes Wirth im idea Spektrum geht es um diese zentrale Frage.
v.l.n.r.: Hugo Stamm, idea-Redaktor Rolf Höneisen, Johannes Wirth
Hugo Stamm und Johannes Wirth
Hugo Stamm

Hugo Stamm bringt den Sektenvorwurf differenzierter vor, als er das in seinem Blog schon getan hat. Zentral ist für ihn, dass der Glaube an sich Kritik nicht zulasse. Und kritische Menschen hätten es in Freikirchen nicht leicht. Die Pastoren kümmerten sich eher um die Angepassten und Frommen. Ausserdem sei es schwer, auszusteigen, weil es dabei um den existentiellen Glauben gehe.

Stamm: Sekten arbeiten suggestiv und vereinnahmend

Johannes Wirth hat es hier leicht zu kontern. In seiner Kirche höre er eher die Kritik, dass sich die Mitarbeitenden zu einseitig um «die Kaputten» kümmerten. Und er kenne zahlreiche Leute, welche ihre Gemeinde gewechselt hätten, weil sie sich in der alten nicht mehr wohl fühlten. Die Diskussion lässt den Eindruck aufkommen, dass Hugo Stamm eher ein einseitiges Bild vom Leben in Freikirchen hat. Es sind für ihn vor allem suggestive und vereinnahmende Methoden sowie das Arbeiten mit der Angst, welche für ihn die Sekte charakterisieren. Er verwahrt sich aber dagegen, eine Gemeinschaft als Sekte zu bezeichnen, nur weil sie Glauben predigt. Die Grenze ist für ihn aber überschritten, wenn sich Phänomene wie etwa beim Toronto-Segen ereignen. Auch gegenüber Heilungsversammlungen ist er skeptisch, wenn zum Beispiel berichtet wird, dass ein verkürztes Bein durch Gebet nachgewachsen sei. Die Frage, ob soziales Engagement einer Freikirche den Sektenvorwurf ersparen könnte, verneint er, denn zahlreiche Sekten hätten auch Sozialprogramme. Dass Freikirchen in einem Verband organisiert sind, bewirke eine «gewisse Kontrolle» gegen sektenhafte Entwicklungen.

Ein guter Gott und eine leidende Welt?

Ein grösserer Teil des Gesprächs dreht sich dann um die unendliche Frage, wie ein guter Gott so viel Böses in der Welt zulassen kann. Wenn zum Beispiel Hunderttausende von Kindern in Afrika hungern. Für Stamm scheint das ganz persönlich ein zentrales Glaubenshindernis zu sein. Wirth entgegnet, dass er den Fokus auf Menschen lege, die durch den Glauben geheilt wurden und die aus der Verzweiflung heraus in ein blühendes Leben gelangt sind. Aber auch er leide mit an der Not der Welt. Ein Grund, dass seine Kirche jährlich 300'000 Franken für Hilfsprojekte spende. Für Stamm liegt das Problem der vielen Konflikte und Nöte darin, dass die evolutionäre Entwicklung des Menschen noch nicht so weit fortgeschritten sei, um ihn zu einem wirklich sozialen Wesen zu machen: «Unser Grundproblem liegt darin, dass wir uns in einem evolutionären Zwischenstadium befinden.»

Menschenrechte als Folge der Evolution?

Dies sei auch der Grund, «dass wir nicht fähig sind, ethisch-moralisch vernünftigen Massstäben nachzuleben». Doch er hat Hoffnung: «Langsam gewichten wir aber die geistigen Aspekte höher.» Laut Wirth kommen dagegen die Werte, «die wir leben und hochhalten wollen, vom Christentum her». So kämen Schulen und Spitäler von den Kirchen her. Stamm ist dagegen überzeugt, dass die Menschenrechte auch ohne die Kirchen entstanden wären. Er weist maliziös darauf hin, dass der Vatikan diese noch nicht unterschrieben habe. Einig sind sich die Kontrahenten darin, dass die Probleme in der Welt in der Natur des Menschen liegen. Während Christen auf die Versöhnung der Welt durch Jesus Christus und die Erneuerung des Menschen durch eine geistliche Neugeburt setzen, glaubt Stamm an eine gute Evolution.

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Datum: 22.05.2017
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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