Nach dem Kirchensturm

Armenisches Gotteshaus kann wieder aufgebaut werden

In der osttürkischen Grossstadt Diyarbakir kann jetzt das Armenisch-Evangelische Gotteshaus wieder aufgebaut werden. Es wurde vor zwei Jahren, wie andere Kirchen, durch die Truppen von Präsident Erdoogan zerstört.
Die armenisch-evangelische St.-Giragos-Kathedrale in Diyarbakir nach der ersten Zerstörung im Jahr 2008.

Das berichtet Mitte November in grosser Aufmachung die Regierungszeitung Sabah (Der Morgen). Im Spätherbst 2015 wurden im alten Christenviertel «Sur» bei Militäraktionen zur angeblichen Kurdenbekämpfung ein Dutzend zum Teil urchristliche Kirchen in Schutt und Asche gelegt. Ihre Ruinen, zum Teil nur mehr Schuttflächen, wurden daraufhin 2016 verstaatlicht. Angeblich, um «ihren geordneten Wiederaufbau» sicherzustellen. Dabei wurde gleichzeitig angekündigt, dass die Wiederherstellung dieser orthodoxen, katholischen und auch evangelischen Gotteshäuser von Aramäern und Armeniern nicht zu Kultzwecken, sondern nur für die Verwendung als museale Touristenattraktionen erfolgen werde.

Bislang einzige Kirche im Wiederaufbau

Als bisher einzige ist nun die Kirche der evangelischen Armenier von Diyarbakir im Wiederaufbau. Es handelt sich um das jüngste aller zerstörten christlichen Bauwerke aus den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts. In dieses geht die Entstehung einer evangelischen Gemeinschaft unter den Armeniern im osmanischen Türkenreich zurück. Dieses war damals toleranter als das benachbarte zarische Russland, wo bis zur ersten Revolution in St. Petersburg von 1905 nur die orthodoxe Armenisch-Apostolische Kirche zugelassen blieb.

Reformatorische Erneuerungsbewegung

Die evangelischen Armenier verstanden sich von ihren Anfängen um 1820 an – und verstehen sich auch heute noch – nicht als neue Konfession neben den Orthodoxen, sondern sehen sich als reformatorische Erneuerungsbewegung. Sie sind unter dem geistlichen Einfluss des Pietismus und mit Anleitung amerikanischer Bibel- und Schulpioniere aus Erweckungsgruppen innerhalb der armenischen Elite der Städte Istanbul und Izmir sowie Trabzon am Schwarzen Meer hervorgegangen.

Pietistische Union im Priesterseminar

Eine Schlüsselrolle spielte dabei das 1828 vom reformfreudigen armenisch-orthodoxen Patriarchen Garabet III. am Bosporus gegründete Priesterseminar Surp Hac (Ehrwürdiges Kreuz). Unter seinen Zöglingen bildete sich eine «Pietistische Union», die unvoreingenommenes Studium der Bibel und Diskussionsrunden zur Erneuerung des kirchlichen Lebens organisierte. Als Armenische Evangelische Kirche besteht sie bis heute in der Türkei und zunehmend in der Diaspora, so in der Schweiz im Rahmen der «Armenisch-evangelischen Gesellschaft Europas».

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Datum: 16.11.2017
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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