Rob Bell übers Predigen

Warum gute Botschaften nicht nur religiöse Menschen ansprechen

«Eine Predigt gehört zum Gottesdienst wie die Schmerzen zum Zahnarztbesuch.» Das hat Rob Bell nie gesagt oder behauptet, aber es bildet die Wirklichkeit mancher Christen ab. Dabei könnte es inspirierend sein, von Gott und Menschen zu reden oder zu hören. Besonders, wenn eine Predigt das wird, was sie sein könnte: eine Form von Kunst.
Rob Bell, US-Theologe, Autor und Redner

Tatsächlich sieht die Predigtwirklichkeit selten sehr positiv aus. Schmerzhaft negativ wie im obigen Bespiel ist sie allerdings nur manchmal. Dann muss man eventuelle Zuhörer fast davor schützen, weil sie sonst verletzt würden. Sehr oft sind Predigten allerdings so etwas wie langweilige Hürden auf dem Weg zum Mittagessen. Solche Botschaften kannte Rob Bell (47) aus seiner eigenen Kindheit und Jugend. Seinen persönlichen Wendepunkt erreichte er, als er als Wasserskilehrer an einem Jugendcamp teilnahm und jemand zum Predigen gesucht wurde. Spontan sagte er zu. Und daraus wuchs die Begeisterung für eine fast verlorene Form der Kommunikation. Bell beschloss: «Das möchte ich wiederbeleben.» Und für die Onlinesendung «The Big Think» (Das grosse Denken) erzählte er darüber.

Predigen als Kunstform

Man könnte meinen, dass Predigten nur für religiöse Menschen gedacht sind, die sowieso schon mit dem Pastor übereinstimmen. Das Gegenteil ist der Fall. Als Martin Luther King jr. seine berühmte Predigt «I have a dream» hielt, war das gefährlich, provozierend, heilsam und lehrreich. Bell resümiert: «Niemand hörte diese Predigt und meinte: Normalerweise ist er witziger…». Solch eine Predigt ist mehr als eine viertelstündige Rede, es ist eine Kunstform. Eine, die in unserer Gesellschaft beinahe verloren gegangen ist. Sie bewegt sich zwischen einer Aufführung und Guerilla-Theater, zwischen einem T.E.D. Talk und einem Heilungsgottesdienst.

Und von solch einer Predigt kann jeder profitieren. Man muss nicht unbedingt mit ihrem Inhalt einverstanden oder besonders gläubig sein. Es geht darin nämlich ums Menschsein. Bell schmunzelt, als er seine Predigten in der «Mars Hill» Gemeinde beschreibt. Poetisch waren sie und wissenschaftlich, visuell und voller Experimente. Inzwischen arbeitet der Theologe nicht mehr als Pastor. Er tritt aber regelmässig im «Largo» auf, einem Club in Los Angeles. Seine einstündige One-Man-Show beschreibt er als Predigt, denn «ich möchte die Leute mitnehmen durch Geschichte, Anthropologie und Theologie. Manchmal ist es lustig. Es ist Popkultur und einfach ein informatives Gemisch.»

Inspiration gesucht

Was suchen und erwarten Menschen, die eine Predigt hören? Inspiration. Wir wollen wissen, wer wir sind. Was für einen Sinn unser Leben hat. Denn «Sinn ist für unsere Seele wie die Luft zum Atmen». Wir wollen wissen, was Dinge bedeuten, wohin sie sich entwickeln. Wir wollen unserer Vergangenheit etwas abgewinnen. Wollen erfahren, wie man vergibt. Wir suchen nach Verknüpfungen, weil sonst die ganze Welt zersplittert und unzusammenhängend ist. Also suchen wir nach einem roten Faden, nach verbindenden Geschichten. Genau das leistet eine gute Predigt. Sie verknüpft verschiedene Elemente, Gedanken und Fragen unseres Lebens miteinander und wir verlassen sie mit mehr Überblick und Grund unter den Füssen.

Die Tiefe des Normalen

Ein Element jeder Predigt ist das Normale, das Übliche, das Universelle. Wenn ein Freund erzählt, dass er ein hartes Wochenende hatte, ist dies so etwas Normales. Und gleichzeitig ist es die Aufforderung: Mach langsam und sieh genauer hin. Hör auch hin, denn so eine Aussage ist meist die Bitte: «Frag mich!» Dann kommen finanzielle Probleme auf den Tisch, Eheprobleme oder kranke Kinder. Vielleicht hat gerade ein guter Freund die Diagnose Krebs bekommen. Und damit wird deutlich, dass immer mehr passiert, als man auf den ersten Blick wahrnimmt. Dass unsere alltäglichsten Momente eine Tiefe haben.

Das Konkrete des Besonderen

Ein weiteres Element ist das Spezielle, Einmalige, Besondere. Erst im Beobachten und später in der Predigt ist es bedeutungsvoll, dass sie ein rotes Kleid trägt, der Wagen ein Ford ist, dass es leicht regnet und ein Donnerstag ist. Individuell und besonders ist das Paar, dass sich im Auto auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt um die Ecke streitet. Ganz allgemein kann dies dafür stehen: Liebe kann dein Herz brechen. Eine Predigt bewegt sich zwischen dem Allgemeinen und dem Individuellen hin und her. Sie weiss um die Kraft einer guten Story. Und gleichzeitig erzählt sie die Geschichte so allgemein, dass sie für uns alle gilt.

Die gute Nachricht

Jede Predigt dreht sich um die gute Nachricht. Manchmal sind zuerst schlechte Nachrichten nötig, um dann die guten zu entfalten. Konkret müssen wir laut Rob Bell erst einmal Umweltverschmutzung und -zerstörung als Tatsachen darstellen, bevor wir erklären: Wir können etwas dagegen tun. Jede Predigt braucht solch eine gute Nachricht.

Rob Bell

Der US-Theologe, Autor und Redner ist durch seine zahlreichen Bücher auch in Europa bekannt. Für das Time Magazine zählte er 2011 zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt. Rob Bell wird unter Christen sehr unterschiedlich wahrgenommen, von den einen wird er gefeiert, von den anderen vehement abgelehnt. Aber praktisch alle sind sich einig, dass er ein mitreissender, charismatischer Redner ist. Es ist zu spüren, was er damit meint, dass Predigen wieder eine Kunstform werden sollte. Eine Kunstform, die Menschen einlädt, ihr Leben verändern zu lassen.

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Datum: 23.04.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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