Wenn Anwälte vor dem Prozess beten

Justizia-Statue
Rechtsanwalt Norbert Kirsch

"Ich bin der Herr, der das Recht liebt." Wenn man dieses Bibelwort (Jesaja 61,8) ernst nimmt, dann kann einem die Rechtspflege nicht gleichgültig sein. Unter den mehr als 20.000 Richtern und rund 80.000 Rechtsanwälten in Deutschland sind einige, für die der christliche Glaube Grundlage ihres Lebens ist. Im Gegensatz zu den Polizisten, Bäckern, Journalisten und Eisenbahnern gab es bei den Juristen vorher keine Organisation, die Christen in dieser Sparte sammelt, sieht man von einer Arbeitsgruppe der Studentenmission Deutschland ab. Mit dem Verein "Zusammenarbeit christlicher Juristen und Rechtsberater" ist das anders geworden.

Kein frommes Gütesiegel

Der Gründungsvorsitzender Norbert Kirsch stellt klar: Der Organisation gehe es nicht darum, ein frommes Gütesiegel zu schaffen. Der Verein will vielmehr Anwälten, Richtern, Staatsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern ein Forum bieten, wo über berufliche und geistliche Belange gesprochen werden kann. Vorbild ist die englische "Lawyers' Christian Fellowship", die dort bereits seit 140 Jahren christliche Juristen zusammenführt. Verglichen mit dieser traditionsreichen Einrichtung stehen man erst am Anfang.

Beten im Beruf ist für Norbert Kirsch eine Selbstverständlichkeit. Er betet vor Prozessen für den Richter, für einen guten Verhandlungsverlauf, für den gegnerischen Anwalt und für Erfolg. Der selbständige Fachanwalt für Familienrecht, verheiratete Vater von zwei Jungen, bildet sich regelmässig weiter, um seine Mandanten optimal vertreten zu können. Geistlich beheimatet ist er in einer freikirchlichen Berliner Gemeinde.

Warnung vor Blauäugigkeit

Unter den rund 50 Mitgliedern des Vereins sind etwa zur Hälfte auch mehrere freie Gemeinden und christliche Werke, die das Anliegen des Vereins unterstützen. Kirsch lobt deren juristische Weitsicht, weil er unter Christen auch einige Blauäugigkeit erlebt, wenn sie beispielsweise mit dem Argument "Der Herr ist mein Anwalt" im Prozess keine juristischen Profis einschalten. Kirsch erinnert daran, dass zum Beispiel der Apostel Paulus, als er verfolgt wurde, auf seine rechtliche Position als römischer Bürger gepocht habe. "Christen müssen nicht allenthalben auf ihr Recht verzichten", so Kirsch.

Rechtsstreit auch ohne Gerichte in den Griff kriegen

Umgekehrt wirbt der Anwalt aber nicht für Prozesshanselei unter Christen. Im Gegenteil: Seiner Ansicht nach machen sich Mitglieder in Gemeinden manchmal zu wenige Gedanken über eine Schiedsgerichtsbarkeit, wie sie Paulus den Korinthern ans Herz legt (1. Korinther 6). Wenn sich beispielsweise in einer freien Gemeinde die Leitung von einem Geschäftsführer trennen will, landet der Fall nicht selten vor dem Arbeitsgericht. Kirsch vertritt die Ansicht, dass Christen solcherlei Rechtsstreit möglichst ohne die Hilfe weltlicher Gerichte in den Griff kriegen sollten.

Mit solchen Fragen beschäftigt sich auch die "Zusammenarbeit christlicher Juristen und Rechtsberater". Kirsch hofft darauf, dass noch mehr Christen im Verein mitmachen. Dann könnte die Organisation mehr Aussenwirkung entfalten und mittelfristig sogar durch Stellungnahmen - beispielsweise zur juristischen Bewertung von Sekten oder zu Fragen des Lebensrechts - die öffentliche Diskussion beeinflussen.

Datum: 07.10.2002
Quelle: idea Deutschland

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