Die Stadt und der Mönch

So plakativ, dass Besucher sich unwillkürlich fragen, wofür Gallus denn im Jahr 2012 herhalten muss. Der Festführer listet über 300 Veranstaltungen auf – jene der Evangelischen Allianz sind darin nicht zu finden.

Der Grund der Festivitäten liegt im frühen Mittelalter, als keltische Missionare den europäischen Kontinent transformierten. Gallus, der vermutlich aus Irland stammte, war ein charismatischer Wandermönch und Gefolgsmann des grossen Europamissionars Columban. Im Jahr 612 wanderte er vom Ufer des Bodensees dem Fluss Steinach entlang in den Urwald hinein. Eine Legende schildert, wie er sich einen Bär dienstbar machte.

Ort des Heils in der Wildnis

Gemäss der Überlieferung stolperte er bei einem Wasserfall und fiel in einen Dornbusch. Das nahm er als Fingerzeig zu bleiben. Als Lehrer, Seelsorger und Heiler diente er den Menschen noch über 20 Jahre. Er errichtete eine Klause, um die sich bald Schüler sammelten. An der Stelle wurde 80 Jahre nach Gallus‘ Tod die Abtei St. Gallen errichtet. Die Stiftsbibliothek stellt in ihrem weltberühmten Saal Handschriften und Dokumente aus dem frühen Mittelalter aus.

Stille und viel Betrieb

Das Stadt-Jubiläum umfasst ein breites Spektrum von religiösen und kulturellen Veranstaltungen und diverse Events, Ausstellungen und Führungen. Nächstens werden zwei Hütten einer Eremitensiedlung auf dem Klosterplatz nachgebaut. Am Abend des 19. April 2012 sind Besucher zu einer Stillen Nacht in den Chorraum der Kathedrale eingeladen. Am Sonntag, 22. April 2012 feiert die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in den Kantonen Appenzell/St.Gallen einen Gottesdienst als ökumenischen Auftakt des Gallusjahrs.

«Hier bleibe ich»

Die durch den Gründer verkörperten Werte sind laut dem St. Galler Stadtpräsidenten Thomas Scheitlin «Teil unserer Zukunft». Das Jubiläum wirft Wellen weit über St. Gallen hinaus, da das Kloster die Entwicklung der ganzen Ostschweiz mitgeprägt hat. So laden die Benediktiner in Fischingen bis Oktober zu individuellen Klostertagen ein. Die Landeskirchen führen von April bis Oktober Gallus-Dorf-Gespräche durch: «Wie gestalten wir unseren Lebensraum, damit wir auch noch morgen mit Gallus sagen können: ‚Hier bleibe ich‘?»

Charismatisch eigenständig

Die Reformierten gewinnen dem Stadtgründer, der immerhin 900 Jahre vor der Reformation lebte, auch protestantische Seiten ab. Bei einem Vortrag im November 2011 würdigte Max Schär, Autor des neuen Gallus-Buchs, den Mönch als ersten Protestanten. Gallus habe sich vom blinden Gehorsam abgesetzt, den Kolumbans Regel von den Mönchen verlangte. Er verweigerte Kolumban die Gefolgschaft und ging seinen eigenen Weg. So war er laut Schär «der erste Protestant der Stadt». Weiter hätten Gallus auch die Liebe zum Beten und das Lesen der Bibel ausgezeichnet.

Prediger der Liebe Gottes

Diese Züge von Gallus finden sich auch im 20-seitigen Portrait, das die Evangelische Allianz St. Gallen erstellt hat. Sie hält in der Broschüre ein vierfaches Vermächtnis des Stadtgründers fest: Identität aus der tiefen Beziehung zu Gott, freiwilliger Verzicht, übernatürlicher Lebensstil und die Neuentdeckung von Gottes Liebesgeschichte mit den Menschen. Gallus habe die Menschen ergriffen, indem er bei ihnen Sehnsucht nach Gott weckte, sagt FEG-Pastor Gust Ledergerber, der an der Schrift von Ernst Gerhard Fitsch mitgewirkt hat.

Irische Evangelisten 2012

Die Allianz wurde in die Vorbereitungen des Jubiläums nicht einbezogen, trotz Fürsprache der Landeskirchen. Im Festführer fehlt daher die «Irish Week»: In der Woche vor dem Bettag werden vier Prediger aus Irland in mittelalterlicher Kluft auf St. Gallens Strassen predigen und sich mit Passanten unterhalten, unterstützt von einheimischen Übersetzern. Den Abschluss der «Irish Week» bildet ein Gottesdienst aller Allianz-Gemeinden am Bettag, 16. September 2012.

Webseiten:
«Gallus sind wir. St. Gallen sind wir – bärenstark»
Festführer Gallus-Jubiläum
Gallus rocks: Vier Konzerte von Nachwuchsbands
Gallus im Heiligenlexikon