Kommentar

Kosovo-Schatten über Calmy-Rey

Stadtgebiet in Prishtina. (Foto: Wikipedia, Pascal Reeber)

Die Wahl zur Schweizer Bundespräsidentin 2011 schaffte Micheline Calmy-Rey mit einem historisch schlechten Resultat. Nun wird die Leiterin der Diplomatie des Staates, dessen humanitäre Tradition das Rote Kreuz verkörpert, mit unangenehmen Fragen konfrontiert.

Calmy-Rey hatte den Bundesrat gedrängt, Kosovos Unabhängigkeit 2008 ohne Verzug anzuerkennen. Nach den schweren Anschuldigungen des Europaratsermittlers Dick Marty gegen die kosovarische Führung unter Hashim Thaci verzichtet die Aussenministerin aber vorläufig darauf, einen von Kosovo verliehenen Preis in Empfang zu nehmen. Die für heute Dienstag angesetzte Feier sei verschoben worden, teilte das EDA am Freitag mit. Aus der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats kommt indes die Forderung, Calmy-Rey solle ganz auf den Preis verzichten, der Verdienste um die Unabhängigkeit Kosovos würdigt.

Der kosovarische Regierungschef Hashim Thaci war laut Dick Marty Ende der 90er-Jahre in einen Organhandelring und weitere mafiöse Machenschaften verwickelt. Martys Recherchen haben bestätigt, dass Thaci der Chef der kriminellen Drenica-Organisation war, die mit Drogen-, Waffen- und Menschenhandel reich und mächtig wurde; «und in den hierarchischen Strukturen des organisierten Verbrechens macht man nichts, ohne dass der Chef es weiss».

Die Brisanz von Martys Vorwürfen für die Schweiz ergibt sich aus der Zahl der hier lebenden Kosovaren (vom Swisscoy-Engagement im Kosovo zu schweigen). Thaci selbst lebte 1994-98 als Flüchtling hier und studierte in Zürich Geschichte. Er gehörte zu den radikalen Emigranten, die, wie die NZZ am Sonntag schreibt, die Bemühungen für ein unabhängiges Kosovo koordinierten, die Gründung der UCK 1993 betrieben und in der Folge ihre Bewaffnung finanzierten. «Die in Zürcher Emigranten-Klubs entstandene Verbindung des Befreiungskampfs mit der althergebrachten Familienloyalität prägte nicht nur Thaci, sondern eine ganze Generation albanischer Kämpfer in Ex-Jugoslawien.» Ihre Gewaltstrategie ging auf: NATO-Bomber vertrieben 1999 die Serben aus Kosovo; Thaci, der politische Kopf der UCK, konnte als Sieger in Prishtina einziehen.

In den Jahren zuvor hatte das serbische Regime Milosevic die Kosovaren hart unterdrückt. Auch hierzulande brachte man ihrem Streben nach Eigenständigkeit viel Sympathie entgegen. Als sich der Konflikt kriegerisch entlud, strömten zehntausende Kosovaren in die Schweiz. Unter den Muslimen in unserem Land dürften die Menschen albanischer Sprache beinahe die Hälfte stellen.

Obwohl Untaten gegen Serben bekannt waren (die nun von Marty recherchierten Verbrechen wurden erst später ruchbar), arrangierte sich die Staatenwelt mit der UCK unter Hashim Thaci. Er hatte von Zürich aus agitiert, seinen Aufstieg an die Regierungsspitze ermöglichte indes nicht die Schweiz, sondern die USA.

Die Staatengemeinschaft unter Federführung der EU findet keine Mittel, um in ihrem Protektorat die Feindseligkeit der Kosovaren gegenüber Serben zu dämpfen. Im jungen Staat kam es Ende 2009zu ernsthaften Übergriffen auf evangelische Kirchen und zu Attacken auf Christen. Die Schweizerische Evangelische Allianz zeigte sich besorgt über den «zunehmenden Einfluss islamistischer Extremisten».  Dass Thacis Partei, die das Volk einzuschüchtern weiss, bei den Wahlen offenbar zu Manipulationen griff, passt ins unschöne Bild.

Der Westen hat Gewalttäter mit mafiösen Verwicklungen ohne Klärung und ohne Reue als Lenker eines jungen Staates akzeptiert. Washington hat seinen Part zu verantworten. Die kleine Eidgenossenschaft, in der Erpressung und Gewalt als Mittel der Politik geächtet sind, bekommt mit den Kosovaren in ihren Grenzen, die die Demaskierung ihres Freiheitshelden nicht akzeptieren wollen, ein echtes Problem. Der bekannte Eigensinn von Madame Calmy-Rey wird ihr für eine Lösungssuche nicht behilflich sein; dafür braucht sie den ganzen Bundesrat.
 

Datum: 21.12.2010
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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