Bemerkenswerte Einsichten

Wegen Trump: Springer-Verlag und andere üben Selbstkritik

Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten haben sich Medienvertreter selbstkritisch gezeigt. Ein prominenter deutscher Journalist bekannte, sein «Hirn ausgeschaltet» zu haben; der Chef des Springer-Verlages räumte «Publikumsbeschimpfung und Wählerverachtung» ein.
Kaum ein Journalist hat vorausgesehen, dass Donald Trump die Wahl zum US-Präsidenten gewinnen könnte.

Kaum ein Journalist in Deutschland oder den USA hat vorausgesehen, dass Donald Trump die Wahl zum US-Präsidenten gewinnen könnte. «Trump wird's nicht» schrieb Zeit-Herausgeber Josef Joffe im Januar 2015 – ein Duktus, der sich bis zur Wahl durch die Berichterstattung zog.

Der bekannte Autor und Journalist Hajo Schumacher räumt nun ein: «Ich habe als Journalist meine Aufgabe nicht erfüllt.» Die 60 Millionen Menschen, die Trump gewählt hatten, könnten nicht alle Idioten sein, schrieb Schumacher in der Berliner Morgenpost. Genau so habe er mit seiner «Trivialsoziologie» aber immer wieder argumentiert. In Wirklichkeit wisse er nichts über die Träume und Sorgen dieser Menschen: «Anstatt hinzugucken, zu fragen, was wissen zu wollen, habe ich genau das gemacht, was ich diesen Menschen vorgeworfen habe: Stereotype, Vorurteile, fertige Meinungen, Hirn ausschalten.»

Schumacher erklärte: «Ich komme nicht umhin, mich zu einer gewissen bildungsbürgerlichen Arroganz zu bekennen, die mit Ignoranz einhergeht, eine ebenso bequeme wie widerwärtige Heute-Show-Attitüde, von ganz oben runter.»

Springer-Verlag: «Fairness blieb auf der Strecke»

Matthias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, zu der die Zeitungen Bild und Die Welt gehören, schrieb in einem Kommentar, die Medien hätten versagt. «Trump wurde – oft und von vielen, aber natürlich nicht von allen, wir wollen ja nicht generalisieren – kampagnenhaft bekämpft, aber nicht wirklich klug gestellt. Im Kampf für die gute Sache blieb die Fairness auf der Strecke.»

Weiter schrieb Döpfner: «Die Sorgen der Menschen, die das politische Establishment so sehr entfremdete, dass sie bei Trump Zuflucht suchen, wurden nicht ernst genommen, sondern lächerlich gemacht.»

Auf den «Emporen des guten Geschmacks der veröffentlichten Meinung» herrsche «statt Verständnis und Empathie Publikumsbeschimpfung und Wählerverachtung.» Dies würde von den Menschen durchschaut.

Basler Zeitung: Journalisten gleichen einer Sekte

Die Basler Zeitung bezeichnete die internationale Gemeinschaft der Journalisten als Verlierer der Wahl. Trumps Aussagen seien in der internationalen Berichterstattung oft ungenau wiedergegeben worden: «Wenn im Zweifel, wurde stets die maximal negative Interpretation gewählt. Kurz, man tat alles, um diesen Mann zu verhindern – und schreckte vor nichts zurück. Kommentare, Meinungen, Bilder, Zitate, Berichte, Reportagen, Fakten: Viel zu viel wurde gebogen, manipuliert, gedreht und gedrückt, bis die Realität so aussah, wie man von vornherein wusste, wie sie auszusehen hatte», schreibt der Journalist Markus Somm.

Bei Journalisten in der Schweiz beobachte er: «Sie stehen fast alle Mitte-links, wenn nicht sogar am linken Rand. Ihre Ansichten gleichen sich wie in einer Sekte. Ohne Prophet beten sie zum gleichen Gott.» Folge davon sei, die Welt nicht mehr so zu erkennen, wie sie wirklich sei.

New York Times: Haben Trump-Unterstützer unterschätzt

Auch in den USA diskutieren Medienmacher die Konsequenzen aus dem US-Wahlkampf. Die Washington Post schrieb, die Vorstellung von Trumps Wahlgewinn sei so schrecklich gewesen, dass Medien sich in Wunschdenken geflüchtet hätten.

Die Herausgeber der New York Times veröffentlichten am Freitag einen Brief an ihre Leser, in dem sie darauf eingingen, von Trumps Erfolg vollkommen überrascht gewesen zu sein. «Hat Donald Trumps totale Unkonventionalität uns und andere Medien dazu gebracht, seine Unterstützung bei den amerikanischen Wählern zu unterschätzen?», fragen sich die Herausgeber. Man wolle sich neu dem Anliegen der Zeitung widmen, ehrlich und wahrheitsgetreu zu berichten. Die Times sei aber weiterhin davon überzeugt, im Wahlkampf fair über beide Kandidaten berichtet zu haben.

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Datum: 16.11.2016
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / pro Medienmagazin

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