Fazit zu «Jesus ist...»

Matthias Walder: «Die Kampagne war ein Signal»

Matthias Walder, Pfarrer in Hinwil, hat die Kampagne «Jesus ist…» aktiv mitgestaltet. Im idea-Gespräch sagt er, wie er sie erlebt hat, und denkt auch schon darüber hinaus. Wir sollten jetzt klären, auf welche grossen Fragen wir Antworten geben müssen.
Matthias Walder
«Jesus ist...»
Jesus ist

idea Spektrum: Matthias Walder, wie fielen Ihre persönlichen Erfahrungen mit der Jesus-ist-Kampagne aus?
Matthias Walder: Ich erlebte eine spannende Zeit im Leitungsteam der Kampagne. Besonders die Zusammenarbeit mit Christen aus dem breiten Spektrum von Landes- und Freikirchen hat mich angesprochen. Ausserdem habe ich am Kartenspiel «Jesus ist…» mitgetextet. Wir konnten die Kampagne auch in unserer Kirchgemeinde einsetzen, beim Gottesdienst und im Konfirmandenunterricht. Wir hatten auch Plakate vor unserer Kirche, die rege beschrieben wurden. Und es gab einen spannenden Diskussionsabend dazu in einem Hinwiler Restaurant, der den Wunsch auslöste, solche Anlässe zu wiederholen. Auch unsere Kinder liessen sich davon anregen und hatten Gespräche über «Jesus ist…» mit Freunden und Studienkollegen.

Was hat nach Ihrer Ansicht die Kampagne «Jesus ist…» ausgelöst?
Sie war ein Signal dafür, dass die Auseinandersetzung und das Gespräch über Jesus in der Gesellschaft nicht erledigt sind. Und dass Jesus auch in der Kirche wichtig genug ist, ihn wieder zum öffentlichen Thema zu machen. Vieles, was sich ganz spontan an Gesprächen und Diskussionen ereignet hat, lässt sich nicht erfassen oder messen. Vom OK aus konnten wir aber einiges wahrnehmen. Es gab auch unschöne Reaktionen auf den Plakaten. Wir haben das erwartet. Das Niveau der Äusserungen war ganz unterschiedlich. Zum Teil waren es pubertäre Reaktionen von Jugendlichen, die provozieren wollten. Es gab aber auch nachdenklich-kritische bzw. religionskritische Äusserungen. Darunter ganz bewusste Provokationen. Jemand schrieb gross «Satan» auf das Plakat und schickte mir das Foto aufs Handy. Ich hätte gerne mit der Person diskutiert, aber sie wollte anonym bleiben. Das OK hatte solche Reaktionen erwartet und ging damit souverän um. Die Mitglieder sahen darin einen Spiegel der herrschenden Meinungen und liess sich davon nicht provozieren.

Wurden die Ziele der Kampagne aus Ihrer Sicht erreicht?
Es gab Gesprächsstoff, Aufmerksamkeit und auch ein mediales Echo. Die grossen Medien hielten sich vornehm zurück; das Thema war für sie offenbar zu wenig brisant. Die Regionalmedien aber nahmen das Thema öfter auf. Das geschah auch bei uns im Zürcher Oberland. Wir erlebten auch gute Reaktionen auf die Einladung der Kirchgemeinde zum Gesprächsabend, auch wenn damit mehrheitlich Leute aus dem kirchlichen Umfeld erreicht wurden. Was an den vielen weiteren Anlässen und Gottesdiensten abgelaufen ist, kann ich nicht beurteilen.

Wo lagen Schwächen der Kampagne?
Stärken und Schwächen lagen nahe beisammen. Die Stärke war die grosse Offenheit. Die weissen Flächen luden ein, eine Meinung abzugeben. Entsprechend gross war das Spektrum der Reaktionen. Zum Teil war die Präsenz der christlichen Gemeinden auf den Plakaten stark sichtbar. Es fehlte aber an Verbindlichkeit und echtem Dialog. Man konnte zwar Äusserungen anderer streichen, unterstützen oder kommentieren sowie auf der Webseite Voten «liken» oder «disliken». Aber das ist keine echte Auseinandersetzung, sondern einfach die Möglichkeit, eine Meinung zu deponieren. Es müsste jetzt aber weitergehen.

Wie stellen Sie sich das vor?
Es geht mir um einen vertieften Diskurs. Wir müssen mehr liefern als weisse Flächen: Inhalte nämlich. Die Rückmeldungen auf der Webseite werden jetzt ausgewertet und Schlüsse daraus gezogen. Sie werden gewichtet und daraus mögliche Themen abgeleitet. Wir sollten klären, auf welche grossen Fragen wir auch Antworten geben müssen. Und: Wie und über welche Medien können wir das tun?

Das Hauptmedium ist und bleibt die christliche Gemeinde. Ein Beispiel ist die häufige Äusserung «Jesus ist… ein Prophet». Die christliche Gemeinde muss sich fragen, wie sie gegenüber Muslimen begründen kann, dass Jesus für sie mehr ist als ein Prophet. Wo das Interesse dafür vorhanden ist, sind begründete Antworten wichtig.

Sind die heutigen Gemeinden in der Lage, kompetente Antworten zu geben?
Nicht immer. Ich denke zum Beispiel an eine der häufigsten negativen Antworten: «Jesus ist… tot!» Diese Antwort bedeutet aus meiner Sicht: Jesus ist nicht mehr relevant für uns heute. Die Antwort vieler Christen lautet in etwa: «Jesus ist zwar nicht mehr so relevant für Europa, wie er es einmal war, aber für mich persönlich ist er wichtig. Er ist mein Freund, mein Helfer, immer für mich da.» Diese verbreitete Haltung bestätigt ironischerweise gerade die Kritik am Christentum: Wir akzeptieren die schwindende gesellschaftliche Bedeutung des Christentums und ziehen uns zurück auf das Feld persönlicher Befindlichkeit, das uns niemand nehmen kann. Aber das ist für Menschen, die an den grossen Fragen und nicht nur am eigenen Befinden interessiert sind, eben nicht relevant. Hier müssen wir etwas zurückgewinnen. Wir müssen als Kirchen und Christen die christliche Botschaft so durchbuchstabieren, dass klar wird, welche Bedeutung sie für Gesellschaft und Welt hat. Wir müssen neu darüber nachdenken und lernen, darüber zu reden.

An welchem Punkt stehen Sie hier selbst?
Wer in den Gemeinden predigt und lehrt, ist am stärksten herausgefordert. Mir ist wichtig, der Gemeinde wieder den grossen Rahmen zu beschreiben: Das erste Kapitel der Bibel beschreibt die Schöpfung von Himmel und Erde – und Offenbarung 21 die Vision eines erneuerten Himmels und einer erneuerten Erde. In diesem grossen Rahmen wirkt Gott, und da gehören wir hin. Dass ich mich davon persönlich betroffen fühle, ist wichtig, aber das genügt nicht. Denn wir haben auch eine Gesamtschau der Welt und eine Hoffnung für sie. Das müssen wir der Gemeinde bewusst machen! Hier stelle ich einen Mangel fest, den wir aus dem Reichtum der theologischen Tradition beheben müssen.

Braucht es eine Vertiefungs-Kampagne?
Schön fände ich, wenn der Schwung, der unter den beteiligten freikirchlichen, katholischen und reformierten Leuten entstanden ist, die sich kennen und schätzen lernten, genutzt würde, um diese Fragen aufzugreifen und darüber zu reden. Es geht darum, dass Kritiker, für die Jesus tot oder irrelevant ist, eine Antwort erhalten. Wir können jetzt miteinander zusammenwirken, um über den Glauben in seiner ganzen Tragweite zu reden.

Vielleicht doch in der Form einer Aktion oder Kampagne?
Persönlich bin ich mir in der Form nicht so sicher. Interessant aber ist, dass die «Jesus-ist-Kampagne» einen enorm hohen Wiedererkennungswert aufgewiesen hat. Wie könnten wir das nutzen? Thematisch? Wir müssen uns jedenfalls klar werden, welche wichtigen Fragen jetzt anstehen und welche Antworten dazu gegeben werden können, nicht nur als Konfessionen, sondern möglichst  miteinander – durch uns als Gemeinden und Christen, das zentrale Medium Gottes. Wir sollten zeigen, weshalb wir an Jesus gemäss dem biblischen Zeugnis festhalten.

Zur Person

Matthias Walder und die Kampagne «Jesus ist…» Matthias Walder (48), verheiratet, 4 Kinder, ist Pfarrer der reformierten Kirche Hinwil im Zürcher Oberland und Dekan des Kapitels Hinwil. In dieser Funktion ist er auch in das Projekt Kirch- GemeindePlus der Zürcher Landeskirche involviert und beschäftigt sich intensiv mit den Fragen um die Zukunft der Kirche.

Die interaktive Kampagne «Jesus ist…», die von Mitte bis Ende März 2016 in der gesamten Deutschschweiz zu finden war, hat gemäss einer ersten Auswertung der Kampagnenleitung zu Tausenden von Gesprächen und Diskussionen innerhalb der Bevölkerung, den Medien und den Kirchen geführt. Während der Kampagnenzeit seien praktisch alle der rund 1500 Plakate komplett beschrieben worden; insgesamt wurden rund 50 000 Meinungen abgegeben.

Zur Webseite:
www.jesus-ist.ch 

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Datum: 06.05.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: idea Spektrum

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