Kommentar

Besser als ihr Ruf – Entwicklungshilfe

Wer mit einer Gruppe Menschen zusammen ist und den Begriff «Entwicklungshilfe» in die Mitte wirft, erntet in der Regel negative Reaktionen. Stereotyp wird wiederholt: Entwicklungshilfe ist ein Geldgrab. Sie bringt nichts. Milliarden versickern in dunklen Kanälen … Doch das ist nicht das ganze Bild. Eigentlich ist Entwicklungshilfe viel besser als ihr Ruf.
Entwicklungshilfe

Es ist wie beim Organspenden und seinem schlechten Ruf: Die Fehler, Dummheiten und Profitgier dabei sind real. Aber sie zeigen nur einen winzigen Ausschnitt des Bildes. Sie bedeuten nicht, dass Organspende an sich falsch ist. Fragen Sie jeden Organempfänger, den Sie kennen. Man wird Ihnen bestätigen, welch ein Segen diese Spenden sind.

Nein, es ist nicht alles gut!

Ich bin kein Pessimist. Aber ich sehe die Welt auch nicht durch die rosarote Brille. Wenn ich höre, dass 1990 weltweit jährlich 12,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren an vergleichsweise leichten und heilbaren Krankheiten (Durchfall, Lungenentzündung, Malaria, Masern) starben und diese Zahl inzwischen auf deutlich unter sieben Millionen gesunken ist, dann kann ich mich darüber freuen – teilweise. Ich denke an meine vier gesunden Kinder, ihren Impfschutz, die Medikamente, die sie bekommen haben und an sieben Millionen Kinder, die diese Chance nicht hatten.

Überhaupt verändert sich Armut, wenn sie ein Gesicht bekommt. Die Diskussion um das Reduzieren von Entwicklungshilfegeldern, die gerade in der Schweiz wie in viele anderen Staaten geführt wird, geschieht anonym. Vordergründig geht es dabei um Zahlen, Bedenken, Sachfragen.

Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, spitzt diese Anonymisierung der Schande sehr deutlich auf einzelne Menschen zu: «Die Weltlandwirtschaft könnte problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren. Das heisst, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.» Diesen Satz muss man zweimal lesen!

Was sagt die Bibel?

Die Bibel sagt verhältnismässig viel zu Armut und Reichtum. Dieses Spannungsfeld gab es auch schon vor 2'000 Jahren. Aber die biblischen Autoren sehen keinen Widerspruch darin, auf der einen Seite realistisch festzuhalten: «Arme habt ihr allezeit bei euch» (Matthäus 26,11) und gleichzeitig die geistliche Perspektive zu haben: «Wer sich des Armen erbarmt, der leiht dem HERRN, und der wird ihm vergelten, was er Gutes getan hat» (Sprüche 19,17). Der Antrieb dafür, dass ich teile, muss also nicht nur «Erfolg» sein – es geht auch um meine eigene Beziehung zu Gott.

Erste Erfolge

Trotzdem ist es wohltuend, dass das Gerücht, Entwicklungshilfe hätte keinerlei bleibende Auswirkungen, eben nur ein Gerücht ist. Die UN schrieb im Jahr 2000 die sogenannten Millennium-Entwicklungsziele fest: konkrete Punkte wie Bekämpfung extremer Armut, Primarschulbildung für alle oder Senkung der Kindersterblichkeit. Auch die weltweite christliche Micha-Initiative engagiert sich für diese Ziele. Kritiker stellen zwar fest, dass diese Ziele unmöglich bis 2015 erreicht werden können – und sie haben recht damit. Aber die Millenniumsziele haben einen sehr positiven Nebeneffekt: Zum ersten Mal schätzt man nicht Erfolg oder Misserfolg von Entwicklungshilfe insgesamt ab, sondern nimmt einzelne Bereiche getrennt in den Fokus – und sieht Erfolge. Zum Beispiel, dass die Primarschulbildung in Afrika (unterhalb der Sahara) von 54 auf 70 Prozent stieg. (Dieses und andere Ergebnisse sind hier einsehbar).

Es gibt noch viel zu tun

Beispiele wie dieses unterstreichen: Es geschieht etwas. Aber es muss noch mehr passieren. Dazu ist eine «Langstreckenläufermentalität» hilfreich: einen Schritt nach dem anderen tun, das Ziel im Blick haben und Etappenziele feiern. Dies setzt die notwendige Energie frei, ohne mich durch Aktionismus zu überfordern. Und gleichzeitig bewahrt es mich vor der Versuchung aufzugeben – wie die Geschichte der deutschen Wiedervereinigung.

Blühende Landschaften

Nachdem 1989 die innerdeutsche Mauer fiel, begann eine beispiellose Entwicklungsfinanzierung in die ehemalige DDR hinein. Innerhalb von zwanzig Jahren wurden dort ca. 1,5 Billionen Euro investiert (das ist eine 15 mit 11 Nullen!). Es war und ist gut investiertes Geld. Unwahrscheinlich viel hat sich seitdem getan. Aber laut Dirk Bathe von World Vision sind sich Wirtschaftsexperten darin einig, dass diese Transferleistungen bisher nicht zu einer sich selbst tragenden Wirtschaftsentwicklung in den neuen Bundesländern geführt haben.

Im gleichen Zeitraum wurde weltweit ungefähr die doppelte Summe für Entwicklungshilfe ausgegeben. Ein knappes Drittel dieses Geldes (um die 800 Milliarden Euro) wurde dabei auf die 50 ärmsten Staaten der Welt aufgeteilt. Soll ich mich jetzt darüber wundern, dass daraus keine selbsttragenden Wirtschaften, keine «blühenden Landschaften» geworden sind?

Nennen Sie mich einen Sozialromantiker, aber ich denke tatsächlich, dass echte Hilfe möglich ist. Dass sich Einzelne wie Gesellschaften verändern können. Und dass wir dazu beitragen können und sollen. Schritt für Schritt. In dem Wissen, dass Gott das Seine dazutut und am Ende feststellt: «Siehe, ich mache alles neu!» (Offenbarung 21,5).

Datum: 28.08.2014
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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