Gastperspektive

Christen sind dazu berufen, Fremde zu bleiben

Politisch ist gerade oft von «Heimat» die Rede. Auch das sogenannte «christliche Abendland» wird immer wieder gern zitiert. Dabei gehört es eigentlich zum Grundverständnis von Christen, ein Stück weit fremd zu sein und zu bleiben. Tatsächlich gewinnt das Christsein dadurch erst seine missionarische Perspektive.
Frau zeigt älterem Mann den Weg
Schweizer Flagge (Symbolbild)
Ed Stetzer

Die Frage der Identität stellt sich auf vielen Ebenen. Wir verstehen uns als Schweizer, als Österreicher, als Deutsche. Manchmal wird dies noch deutlich detaillierter, wenn wir uns eher als Bayern oder Berner sehen. Wir verstehen uns als Demokraten, als CDU-Wähler oder als unpolitisch. Wir verstehen uns als Christen, oft aber konkret als Baptisten oder Landeskirchler. All dies macht uns als Personen aus, es ist Teil unseres Selbstverständnisses, unserer Identität. Und es ist wichtig, Bereiche zu haben, in denen wir zu Hause sind. Bei Christen gehört – hoffentlich –auch die Kirche dazu. Schön, wenn wir aus ganzem Herzen sagen können: «meine Gemeinde». Trotzdem ist ein gewisser Grad an Fremdheit nicht nur etwas, das wir in Kauf nehmen müssen, es ist geradezu wünschenswert und unterstreicht unsere Berufung. In einem alten Gospel heisst es «Ich bin ja nur ein Gast auf Erden…».

Der US-Theologe Ed Stetzer ergänzt noch: «Unser Kulturkreis ist ein Missionsfeld. Und wir selbst sind Menschen mit einer Mission. Dies hier ist nicht unser eigentliches Zuhause. Es ist unser Missionsfeld. Deshalb müssen wir unsere Berufung als Mission sehen – als Einsatz für das Reich Gottes.»

Fremde in der Welt

Petrus schreibt in seinem neutestamentlichen Brief: «Meine lieben Freunde! Ihr wisst, dass ihr in dieser Welt Fremde seid; sie ist nicht eure Heimat» (1. Petrus, Kapitel 2, Vers 11). Mit dieser Perspektive schafft er Herausforderungen, die bis heute gelten: Wie weit kämpfen wir zum Beispiel für unser Heimatland – und wie weit sind wir uns bewusst, dass wir darin in erster Linie Fremdlinge sind? Wie gehen wir damit um, dass nominelle Christen in Europa zahlenmässig auf dem Rückzug sind und wir daher stärker in einem säkularen Umfeld statt im «christlichen Abendland» leben?

Was etliche verunsichert und beängstigt, ist für andere sogar hilfreich: «Christ» ist damit nämlich nicht länger eine soziale Identität nach dem Motto: «Irgendwie sind wir doch alle Christen». Wenn ein Christ als jemand wahrgenommen wird, der durch die Kraft des Evangeliums verändert wurde und Jesus nachfolgt, dann schafft dies eine neue Klarheit. Und wenn wir als Christen uns selbst so wahrnehmen, dann gehören wir zwar nicht mehr automatisch überall dazu, werden aber unserer Berufung leichter gerecht. Denn das war auch schon bei Petrus die direkte Fortsetzung seines Gedankens: «Lebt stattdessen so vorbildlich, dass die Menschen, die Gott nicht kennen, darauf aufmerksam werden» (1. Petrus, Kapitel 2, Vers 12).

Minderheit mit Überzeugungen

Es gab einmal die Meinung, dass die Mehrheit christliche Überzeugungen hätte. Falls das so war, dann ist es aktuell auf jeden Fall anders. Christliche Überzeugungen sind nicht der Mainstream. Wir können andere nicht dazu zwingen, sich unserer Meinung anzuschliessen. Dies ändert die Art der Kommunikation völlig. Wir können andere nicht dazu auffordern, endlich wieder zu ihren christlichen Wurzeln zurückzukehren. Vielmehr können wir um sie werben und zeigen, dass unsere gegenläufigen Überzeugungen auch für sie relevant sein können. Paulus drückte das folgendermassen aus: «Lasst euch mit Gott versöhnen! Wir bitten euch darum im Auftrag von Christus» (2. Korinther, Kapitel 5, Vers 20). Als Christen tun wir gut daran, dieses biblische Prinzip des Werbens im Blick zu behalten und es nicht mit «geistlicher Kampfführung» zu vermischen, wo man aus einer Position der Stärke heraus Veränderung diktiert.

Dasein wie im Exil

Ed Stetzer ergänzt noch einen wichtigen Punkt. Er fordert Christen dazu auf, nicht wie Israel in Kategorien zu denken wie «dies ist mein Land und mein Heim». Gottes Verheissungen für Israel können wir nicht einfach auf unsere gesellschaftliche Stellung als Christen heute projizieren. Und wenn wir uns schon mit Israel vergleichen möchten, dann mit Israel im Exil. Jeremia spricht zu seinem vertriebenen Volk und sagt ihnen: «Baut euch Häuser und wohnt darin! Legt Gärten an und erntet ihre Früchte!». Er ergänzt sogar: «Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch wegführen liess, und betet für sie» (Jeremia, Kapitel 29, Vers 5 und 7). Tatsächlich macht dies einen gewaltigen Unterschied aus. Wir haben als Christen keinen Anspruch auf eine wie auch immer geartete christliche Umgebung. Wir leben in dieser Welt, aber sie ist mehr für uns als das, was man gewinnen und festhalten kann. Wir können uns nicht durchsetzen, aber wir können überzeugen und werben. Als Christen sind wir dazu berufen, diesen missionarischen Gaststatus auszuleben und unsere Umgebung dadurch zu segnen.

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Datum: 03.05.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Christianity Today

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