Nevis Mary

Lepra hat nicht das letzte Wort

Nevis Mary baut nicht nur Brücken für die indische Eisenbahn, sondern auch zwischen Lepra-Kranken und der Gesellschaft. Selbst von Lepra heimgesucht, kennt die engagierte Christin das Stigma. Nevis hilft Betroffenen zu einem Leben in Würde und setzt sich vor verschiedenen Gremien für sie ein.
Nevis Mary

Lepra ist ein Fluch der Götter – diese Vorstellung ist in asiatischen Ländern verbreitet. Nevis Mary (53) kennt dieses Stigma, dem die Betroffenen ausgesetzt sind; oft bedeutet es den restlosen Ausschluss aus der Gesellschaft. In jungen Jahren wurde sie selbst von der heimtückischen Krankheit heimgesucht.

Ihre Berufskollegen und Bekannten, nicht einmal nahe Freundinnen, wissen um ihr Leiden. «Die Leute auf Workshops und Konferenzen wissen es», erklärt Nevis Mary. «Aber nicht die Leute um mich herum. Ich sage einfach, dass ich einen Dienst erbringe, für Menschen, die Lepra haben. Aber ich kann nicht sagen, dass ich selbst betroffen bin.»

Ans Bett gefesselt

Im Alter von zwanzig Jahren bekam Nevis Mary Fieber und Schwellungen am ganzen Körper. «Das Fieber wurde behandelt. Es half aber nicht, auch wenn das Fieber nach zwei Tagen weg war. Bald kehrte es zurück. So ging es drei Monate weiter und der Arzt sagte, er könne meine Krankheit nicht entschlüsseln, ich solle Homöopathie nehmen. 

Doch ich blieb ans Bett gebunden. Und so versuchte ich anderes, wie Ayurveda.» Nichts half. Zweieinhalb Jahre war Nevis ans Bett gefesselt. «Mein Vater musste mich hochheben und mir die Zähne putzen und mir zu Essen geben. Stellen sie sich ein zwanzigjähriges Mädchen vor, das nicht in der Lage ist, etwas zu unternehmen.»

1981 kam ein katholischer Priester zur Familie um zu beten. «Er sah meine Hände, und da sagte er zu meinem älteren Bruder, dass ich Lepra habe und dass es besser ist, wenn ich in ein Lepra-Spital gebracht werde, und er gab eine Adresse. Das Spital war 350 Kilometer von meiner Stadt entfernt. Mein Bruder brachte mich hin. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich Lepra habe. Erst als ich den Namen des Spitals las, wusste ich, warum ich hier war.»

Zerschlagene Hoffnung

Nevis Mary blieb zwei Jahre in diesem Spital. Während dieser Zeit starb ihr Vater an einer Herzattacke. Er hatte grosse Hoffnungen in sie gesetzt, sie war gut im Studium und hätte die Eltern unterstützen können. Mit der Krankheit zerbrach dieser Wunsch. Bald starb auch die Mutter.

Die Krankheit war inzwischen gestoppt, die Deformationen an Händen und Füssen blieben. Nevis kehrte heim. Wo sie sich um zwei jüngere Brüdern kümmern musste. «Das tägliche Brot zu bekommen war sehr schwer. Ich hatte eine grosse Hoffnung in meinen Gott. Ich gab Unterricht für kleine Kinder und erwirtschaftete ein wenig Geld. Daneben bildete ich mich durch eine Fernschule weiter.»

Das Geheimnis

Ein Freund vermittelte ein Zertifikat, laut dem sie körperlich behindert ist. Und so erhielt sie eine Arbeit in der Budgetverwaltung bei der indischen Bahn. «Und mein Traum zu heiraten ging in Erfüllung, zehn Jahre nachdem die Krankheit gestoppt war. 

Ihr Mann Jayakumar habe über ihre Deformationen an den Fingern und Füssen gesagt: «Das ist kein Problem!» Ihre Schwiegereltern aber hätten sich schwer getan: «Sie wollten wissen, warum meine Finger verformt sind. Wenn mich das jemand gefragt hat, dann sagte ich, dass es wegen dem Fieber war. Sie akzeptierten das dann, weil ich keine anderen Verformungen habe, ich habe meine Finger nicht verloren wie manche Menschen, die Lepra haben.»

Ihren Mann klärte sie acht Jahre später auf, als sie zu einer Konferenz in die USA eingeladen wurde. «Ich sagte ihm, dass ich Lepra hatte und nun geheilt bin. Er sagte erneut: 'Das ist nichts! Es besorgt mich nicht. Ich kenne dich nun acht Jahre, und wenn du dich weiterhin für Betroffene einsetzen willst, dann tu es.' Er hilft mir nun sogar dabei.»

Brücken bauen

Bei der Bahn arbeitet Nevis Mary im Bauwesen, das den Erhalt der Geleise sowie das Errichten von Gebäuden und Brücken verantwortet. An den Wochenenden fährt sie zu Workshops und von Zeit zu Zeit zu internationalen Konferenzen zum Beispiel in Nepal, Thailand oder den Philippinen. «Ich ermutige die Menschen mit meiner Geschichte und sage, dass man ein Leben in Würde führen kann.»

Nevis Mary hat auch erreicht, dass Kranke Zugang zu Elektrizität und Wasser haben. Vor Gericht prozessieren befreundete Anwälte gegen diskriminierende Gesetze, das Hindu-Eherecht besagt beispielsweise, dass sich ein Mann von einer Frau ohne weitere Begründung scheiden lassen kann, wenn man bei ihr Lepra feststellt.

Vor dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf sowie der WHO sprach sich Nevis Mary für Betroffenen aus und stellte ihre Probleme dar. 

Lepra hat nicht das letzte Wort

Lepra kann gestoppt werden, dank einem Medikament. Die Schäden, die bis zur Behandlung entstehen, bleiben aber zurück, was verheerend ist, wenn Erkrankte das Übel während Monaten oder Jahren verstecken.

Nevis' Mann Jayakumar betont gegenüber «Jesus.ch»: «Die Menschen sehen uns zusammen, und ich bin eine normale, gesunde Person. Wir sind jetzt 18 Jahre zusammen, und ich bin nicht angesteckt worden. Wenn uns Angehörige von Betroffenen in Workshops sehen, ist das für sie auch ein Modell. Es zeigt, dass jemand, der nicht betroffen ist, mit jemandem zusammensein kann, der Lepra hat.»

Das Ehepaar hielt Mitte Mai in Zusammenarbeit mit der Lepra-Mission Schweiz mehrere Vorträge in der Schweiz.

Webseite:
Lepramission Schweiz

Datum: 14.05.2012
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Jesus.ch

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