Ein Urteil mit Folgen

Regierung al-Sissi legalisiert 120 Kirchenbauten

Die ägyptische Regierung hat Ende Oktober die Legalisierung von 120 schon bestehenden Kirchen beschlossen. Eine Reaktion auf ein groteskes Urteil, das international Empörung ausgelöst hatte.
Koptische Kirche in Kairo (Bild: planetware.com)

Der Vorwurf fehlender Baugenehmigungen dient muslimischen Terroristen häufig als Vorwand, Kirchen – oft samt den darin versammelten Gläubigen – niederzubrennen oder durch Sprengkörper zu verwüsten. Eine der letzten grösseren Attacken erfolgte im Dezember 2017 im mittelägyptischen Dorf Kafr al-Wasslin nahe der Stadt Etfeh. Nach dem Freitagsgebet in der Moschee zog ein muslimischer Mob mit dem Kriegsruf «Allahu Akbar» zur koptischen Theodors-Kirche (Amir Tadros). Dort fand gerade Gottesdienst statt. Die muslimischen Eindringlinge schlugen Kirchgänger krankenhausreif, zerrissen Bibeln und zerstörten das Mobiliar samt Kanzel und Altar.

Ein Gerücht löste muslimische Gewalt und Zerstörung aus

Grund für ihre fanatische Wut war das Gerücht, die Christen hätten für ihre Kirche eine Glocke angeschafft. Dafür und vor allem für jedes Glockengeläut ist in Ägypten eine Sondergenehmigung des Staatspräsidenten erforderlich. Die Polizei nahm 28 Unruhestifter, aber auch den Kirchgemeindepräsidenten Eid Attiya fest. Dieser habe mit seiner Ankündigung, eine Kirchenglocke zu kaufen, den «gerechten Muslimzorn» verursacht. Der zuständige Gerichtshof in Al-Saff verurteilte im Oktober 19 Angreifer zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung, zur gleichen Strafe aber auch Eid Attiya als «Verursacher» des Zwischenfalls.

Ein ungerechtes Urteil mit positiven Folgen

Dieser groteske Fall löste in- und ausserhalb Ägyptens Proteste aus. Als Reaktion darauf hat die Regierung in Kairo Ende Oktober 120 schon bestehenden Kirchenbauten legalisiert. Wie das christliche ägyptische Wochenblatt Watani (Mein Heimatland) berichtet, befinden sich darunter neben 106 koptisch-orthodoxen erstmals auch 13 evangelische Kirchen sowie ein adventistisches «Bethaus».

Für Ägyptens Pfingstgemeinden, Methodisten und Baptisten ist das besonders wichtig: Sie haben in letzter Zeit stark zugenommen und zählen jetzt insgesamt gegen 200'000 Gläubige. Sie weisen damit die höchste Zuwachsrate nach den Muslimen auf, die sich dank hoher Geburtenzahlen am stärksten vermehren. Andererseits verfügen die in Ägypten relativ jungen evangelischen Gemeinden über keinen Mindestbestand an alten Kirchengebäuden wie Anglikaner, Katholiken, die orthodoxen und die seit dem 19. Jahrhundert bestehenden presbyterianischen Kopten.

Seit der Machtübernahme von al-Sissi 340 Kirchenbauten genehmigt

Insgesamt hat der sich seit 2013 an der Macht befindliche ägyptische Staatschef Abdel Fattah al-Sissi schon 340 Kirchenbauten lizensieren lassen. Grundlage dafür ist ein von ihm 2016 erlassenes Gesetz über den Bau und die Renovierung von Kirchenbauten. Dieses ist nach 160 Jahren endlich an die Stelle von Beschränkungen aus der Zeit getreten, als Ägypten noch ein Teil des Osmanischen Reiches war. Das «Hati Humayun» von 1856 brachte damals den christlichen Untertanen Erleichterungen, erwies sich aber im Lauf der Zeit als veraltet. Die Ersetzung des «Humayun» durch ein neues Kirchenbaugesetz war dann auch eine der Hauptforderungen des Zürcher Koptenkongresses von 2004.

Kult-, aber nicht Religionsfreiheit

Die neue ägyptische Verfassung garantiert in ihrem Artikel 64 Christen und Juden – die wie der Islam als «abrahamitische Religionen» gelten – volle Kult-, wenn auch nicht Religionsfreiheit. So bleibt Muslimen die Bekehrung zum Christentum und Christen die missionarische Verkündigung Jesu ausdrücklich untersagt.

Zum Thema:
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Datum: 01.11.2018
Autor: Heinz Gstrein / Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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