Wer kennt die Zahlen?

Westschweizer Pastor bringt Licht ins Dickicht

Lange wurden sehr unterschiedliche Zahlen zu den freikirchlichen oder «evangelikalen» Christen in der Schweiz herumgeboten. Nun hat der Westschweizer Pastor Olivier Favre Klarheit geschaffen.
Olivier Favre

Olivier Favre weist ein eher ungewöhnliches Profil für einen Pastor auf, der eine freikirchliche Gemeinde in Neuenburg leitet. Der Pfarrer des Centre de Vie de Neuchâtel hat Soziologie studiert und aufgrund der Tools, die er bei diesem Studium kennenlernte, eine Doktorarbeit über «Die Freikirchen der Schweiz» geschrieben. Ein weiteres Buch aus seiner Feder über das Wesen der Freikirchen wird im Frühling 2014 erscheinen.

Wissenschaftliche Qualität

Die Zahlen über Freikirchler und evangelikale Christen in Landeskirchen, welche Olivier Favre zusammengetragen hat, können somit wissenschaftliche Qualität beanspruchen. Er hat die Anzahl freikirchlicher Verbände erfasst, die 80% der Gemeinden umfassen. Er benutzte die Daten des Instituts Focusuisse und glich die zugänglichen Zahlen damit ab. Schliesslich trug er eine Liste mit rund 1500 Gemeinden zusammen, zu der auch die Immigrantengemeinden gehören. Weiter wertete er die NCS (national church survey)-Studie des Observatoire des réligions en Suisses in Lausanne aus, die bereits alle religiösen Gemeinschaften erfasst. Er fand dabei auch Wege, Zahlen von Verbänden zu erfassen, die keine Mitgliederzahlen führen.

Das Resultat war eine Gesamtzahl von 150'000 freikirchlichen Christen. Heute dürften es laut Favre wahrscheinlich um die 160'000 sein. Doch diese Zahl enthält noch nicht die «Evangelikalen» in den Landeskirchen. Sie waren viel schwieriger zu erfassen. Das Observatoire des réligions schätzt sie auf mindestens 1% der Bevölkerung. Damit kommt Favre insgesamt auf rund 240'000 «Evangéliques», was die Gesamtheit von Christen betrifft, die sich auf die Glaubensgrundlage der Evangelischen Allianz berufen.

Zweitstärkste Gruppe beim Kirchenbesuch

Favre gegenüber idea: «Man kann auch von den Gottesdienstbesucherzahlen ausgehen, die vom Observatoire des Religions zuletzt 2010 berechnet wurden. Demgemäss stellt die katholische Kirche die grösste Zahl der wöchentlichen Gottesdienstbesucher, gefolgt von den Freikirchen.»

Laut Favre weisen übrigens die Zahlen der Volkszählungen der letzten drei Jahrzehnte, von 1970 bis 2000, ein klares Wachstum bei den Freikirchen und evangelischen Gemeinschaften aus. Die Zahlen von 2010 müssten erst noch analysiert werden, da es keine eigentliche Volkszählung mehr gibt und das Bundesamt für Statistik lediglich mit Stichproben in verschiedenen Regionen arbeitet. Im Jahr 2000 haben sich rund 100’000 Personen selbst als Mitglieder einer Freikirche deklariert. Allerdings ist bekannt, dass etwa ein Drittel der Freikirchler auch Mitglied einer reformierten Kirchgemeinde ist und sich daher bei Volkszählungen nicht als freikirchlich deklariert.

Bedeutender, als die Zahlen vermuten lassen

Zur (kirchen-)politischen Bedeutung dieser Zahlen räumt Favre ein, dass die errechneten 2-3% der Bevölkerung wenig scheinen. Allerdings: «Wenn man die regelmässigen Gottesdienstbesucher (1x pro Monat) heranzieht, sieht die Sache anders aus. Das sind rund 20% der Bevölkerung ... Dann stellen die Freikirchler immerhin die zweitstärkste Gruppe mit rund einem Drittel der regelmässigen Besucher», resümiert der Pastor und Soziologe Favre.

Datum: 14.08.2013
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / idea Spektrum Schweiz

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