#hopespeech

Für eine neue Gesprächskultur im Netz

Jeder, der im Internet unterwegs ist, hat das Phänomen bereits beobachtet.  Irgendjemand postet einen Beitrag, der freundlich, provozierend oder sogar nichtssagend ist. Leider enthält der Text einen Gedanken oder auch nur ein Wort, das zum Widerspruch anregt, und schon ergiesst sich eine Welle der Entrüstung, Beschimpfung und Beleidigung über den Autor oder die Autorin. Wie lässt sich mit diesem Phänomen umgehen? Können Christen hier im Netz Akzente setzen? Wie wird aus #hatespeech eine positive, konstruktive #hopespeech?
Smartphone

Wirklichem Hass lässt sich nicht mit ein paar freundlichen Worten beikommen. So kommt der Blogger und Mitbegründer der Netzkonferenz re:publica Johnny Häusler zu dem ernüchternden Fazit: «In all den Kämpfen, die auf diese Weise und in diesem Ton längst nicht nur online geführt werden, kann niemand gewinnen, sondern wir werden alle nur verlieren. Unsere Würde, unseren Grossmut, unsere Empathie und unsere Hoffnung auf gesellschaftlichen Fortschritt. Unsere Menschlichkeit. All die Möglichkeiten, die wir mit dem Internet hätten haben können, werden verloren sein. Ich bin leider etwas ratlos, wie man dieser Entwicklung begegnen sollte…»

Doch tatsächlich ist schon vieles gewonnen, wenn Christen einmal anfangen, vor ihrer eigenen Haustür zu kehren. Wenn diejenigen, die im Internet immer wieder Werte hochhalten, anfangen, diese Werte selbst zu leben.

Die allgemeine Verrohung in der Kommunikation

«Seit Menschen fast nur noch virtuell miteinander kommunizieren und das auch noch anonym, verroht unsere Gesellschaft immer mehr…» So oder ähnlich empfinden das viele Mitmenschen. Und zahlreiche Schlagzeilen scheinen sie zu bestätigen. Doch stimmt diese Behauptung? Ganz so einfach sind Ursache (Internet) und Folge (Online-Beleidigungen) nicht zu bestimmen. Die Sprachwissenschaftlerin Konstanze Marx sieht den Zusammenhang deutlich differenzierter. Aber auch sie kommt in einem Artikel für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu dem Schluss, dass «es deshalb lohnenswert ist, das Augenmerk auf die Verwendung von Sprache auf Sozialen-Netzwerk-Seiten zu richten».

Christen sind nicht nur Opfer, sondern auch Täter

Schnell sehen sich Christen in solch einem Kontext in erster Linie als Opfer. Sie wollen wertkonservativ sein und erleben, dass sie dadurch schnell in «die rechte Ecke» abgeschoben werden. Tatsächlich stehen Christen diesbezüglich bei manchen Schreibern und Kommentatoren quasi unter Generalverdacht. Doch wer einmal in die Kommentare des Medienmagazins Pro oder des evangelischen Wochenmagazins Idea Spektrum schaut, der stellt fest: Wir Christen brauchen gar keinen von aussen, der uns herabwürdigt, das können wir auch ganz alleine. Denn sobald die richtigen Schlagworte fallen – Bibeltreue, Homosexualität, Kirchentag etc. – sprudeln Reaktionen hervor, die sich beim besten Willen nicht mehr mit dem biblischen Liebesgebot vereinbaren lassen.

Welche Muster stecken dahinter?

Warum können Christen über manche Fragen herrlich unaufgeregt reden, streiten und diskutieren, und «explodieren» bei anderen Fragen schier vor emotionaler Betroffenheit und verbaler Gewalt? Timo Versemann von der Evangelischen Akademie zu Berlin hat ein Projekt gestartet, das diese Faktoren unter die Lupe nimmt – und Christen gleichzeitig herausfordert, von sogenannter «hatespeech» zu einer «hopespeech» zu finden, also hoffnungsvolle und positive Schwerpunkte zu setzen, statt Hass zu säen. Das Projekt lautet: «Der Teufel auch im Netz» oder kurz Netzteufel. Und es analysiert und beschreibt unter anderem «toxische Narrative» – das sind Szenarien oder Begriffe, die im christlichen Rahmen dermassen angstbesetzt sind («Wir werden bedroht – Die Endzeit naht»), dass sie oft «die Grundlage [bilden] für Feindseligkeiten, Ausgrenzungen, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Hassrede». Exemplarisch werden auf der Internetpräsenz des Projekts die folgenden Bedrohungsszenarien genannt und ansatzweise hinterfragt: «Der Islam bedroht uns, Homosexualität bedroht Gottes Ordnung, Flüchtlinge unterwandern das Sozialsystem, Der Genderwahnsinn ist reine Ideologie, Wir leben in einer Meinungsdiktatur».

Im Rahmen des Nachdenkens (Wie reden wir als Christen miteinander über strittige Themen?) ist es unbedingt nötig, solche Streitfragen konkret beim Namen zu nennen. Und gleichzeitig beinhaltet dies die Gefahr, dass einzelne Schlüsselworte heraus- und angegriffen werden («Moment einmal: Heisst das etwa, dass alle Religionen gleich sind? Man darf ja wohl gar nichts mehr gegen den Islam sagen, sonst…»). Stopp! Es geht nicht darum, Meinungen zu vereinheitlichen oder nicht mehr zuzulassen. Es geht vielmehr darum, zu einer konstruktiven Streitkultur zu finden.

Was kann ich als einzelner tun?

Niemand kann allein die Kultur im Netz ändern. Noch nicht einmal im überschaubaren christlichen Bereich des Internets ist das möglich. Dazu kommt, dass es DIE pauschal richtige Reaktion nicht gibt. Ein erster Einstieg ist es, unsachliche, verletzende, zerstörerische Kommentare als solche zu identifizieren. Nicht jedes Schimpfwort ist ein Hasskommentar, aber auch scheinbar moderat geschriebene Texte, können diffamieren und verletzen. Einige typische Reaktionen darauf können sein:

- Ignorieren. Dahinter steckt die oft genannte Meinung: «Don't feed the troll.» Diskussionen laufen ins Leere, wenn sie nicht weiter befeuert werden. Der Nachteil ist: Das Netz vergisst nichts. Und eventuelle Hasskommentare bleiben unkommentiert bei einem Sachverhalt bzw. einer Person stehen.

- Diskutieren. Dazu gehört das Nachfragen, das Einbringen von Gegenmeinungen, das Einbetten in einen breiteren Kontext, das Hinterfragen von Vorurteilen und vieles mehr. Im Idealfall entsteht so eine sachliche Diskussion, in der deutlich wird, dass es zu diesem Thema mehrere Meinungen gibt, und klar ist, wie diese begründet werden. Selbst im christlichen Kontext ist dieses Ziel nur selten zu erreichen, denn vielen Kommentatoren geht es nicht um ein Gespräch, es geht ihnen darum, recht zu behalten – um jeden Preis.

- Sich positionieren. Das ist vielfach eine geschickte «christliche» Lösung. Sie entspricht einem persönlichen Zeugnis. Wenn einzelne oder im besten Fall viele sich artikulieren und sagen: «Moment einmal. Ich denke auch so», holen sie Betroffene aus der Schusslinie – um den Preis, dass sie sich selbst hineinbegeben. Sehr erfolgreich war dieses Vorgehen bei der Netzkampagne #MeToo.

- Ironisieren. Tatsächlich kann es manchmal hilfreich sein, einen ernsten Streit humorvoll aufzubrechen. Es bleibt jedoch eine Gratwanderung, um nicht selbst verletzend und persönlich zurückzuschlagen. Spannenderweise enthält die Bibel recht viele ironische Kommentare als Antwort auf Kritik. Beispielhaft sei hier auf Hiob verwiesen, der einem seiner Freunde triefend vor Spott antwortet: «Wahrlich, ihr seid die rechten Leute, und mit euch wird die Weisheit aussterben!» (Hiob, Kapitel 12, Vers 2).

- Reagieren. Ja, das ist keine echte Methode, es ist vielmehr eine Grundhaltung. Denn das Löschen oder Ignorieren von irgendwelchen Kommentaren ist die einfachste und schnellste Lösung – leider ist es meist überhaupt keine Lösung. Alle anderen Reaktionen haben den Nachteil, dass sie teuer sind: Sie kosten Zeit, Kraft und manches Mal das eigene Ansehen. Doch wer reagiert, zeigt Stärke, nicht nur gegenüber angst- und hassbesetzten Schreibern, sondern auch gegenüber den vielen anderen Mitlesern im Netz. Wer reagiert, schafft Raum für Debatten. Wer reagiert, ergreift die Chance, noch Unentschlossene zu überzeugen. Wer reagiert, ermutigt andere zu Zivilcourage, dazu, sich ebenfalls gegen Diskriminierung im Netz zu stellen.

Fazit

Es gibt keine Erfolgsgarantie für gelingende Kommunikation im Internet. Nicht einmal unter Christen ist es leicht (oder überhaupt nur möglich!), Meinungsverschiedenheiten konstruktiv auszutragen. Aber wenn immer mehr Menschen für das Thema sensibel werden, sich schulen (siehe NetzTeufel) und sich einfach nicht zum Schweigen bringen lassen, dann werden sich Denken und Verhalten in Gemeinde und Gesellschaft ändern. Das ist sicher ein langer Kampf. Doch gerade aus christlicher Perspektive lohnt sich dieser Einsatz für liebevolle Kommunikation besonders. Jesus unterstreicht dies einmal in seinem «neuen Gebot»: «Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt» (Johannes, Kapitel 13, Vers 35).

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Datum: 28.06.2019
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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