Religionsunterricht an Bündner Schulen auf dem Prüfstand

Am 17. Mai wird im Kanton Graubünden über die Zukunft des Religionsunterrichts an den öffentlichen Schulen abgestimmt. Dabei stehen zwei Vorschläge zur Wahl: Die Ethik-Initiative der Jungsozialisten (Juso) und der Gegenvorschlag des Parlaments.
Ethik oder Religion

Die Juso wollen den konfessionellen Religionsunterricht abschaffen und durch einen obligatorischen Ethikunterricht für alle ersetzen. Die Regierung, die Landeskirchen und das Bischöfliche Ordinariat empfehlen, die Ethik-Initiative abzulehnen und den Gegenvorschlag in Form des "1+1"-Modells anzunehmen. Dieses beinhaltet neben einer Wochenlektion Religionsunterricht, die weiterhin durch die Kirchen erteilt wird, eine Wochenlektion "Religionskunde und Ethik" durch kantonal ausgebildete Lehrpersonen.

Konzept für religiöse Bildung

Die Volksabstimmung hat eine zweifache Vorgeschichte. Einerseits ist die Frage nach geeigneten Konzepten religiöser Bildung in der Schule nicht nur im Kanton Graubünden ein Thema. Vielmehr zeichnet sich auf gesamtschweizerischer Ebene die Einrichtung eines Lernbereichs "Ethik - Religionen - Kultur" in der Verantwortung des Staates ab. Der in der Schweiz für 21 Kantone im Entstehen begriffene "Lehrplan 21" reagiert auf diese Entwicklung. Der Kanton Graubünden geht mit der Abstimmung bereits jetzt einen Schritt in diese Richtung.

Beunruhigende Trends

Daneben ist die Volksabstimmung aber auch das Ergebnis eines längeren Prozesses im Kanton Graubünden. Um den Ist-Zustand religiöser Bildung an den Bündner Schulen zu ermitteln, führten die beiden Landeskirchen und das Amt für Volksschule und Sport im Schuljahr 2004/05 eine Erhebung durch, die beunruhigende Trends enthielt: 9 Prozent der Primarschulkinder, 12 Prozent der Real- sowie 7 Prozent der Sekundarschülerinnen und Sekundarschüler nehmen nicht am Religionsunterricht teil. Knapp 1,5 Prozent der Kinder wurden durch die Erziehungsberechtigten abgemeldet, die anderen gehören keiner Landeskirche an. An einzelnen Orten ist der Anteil an Kindern ohne Religionsunterricht höher, in Chur beträgt er gegen 20 Prozent.

Als deutlicher Mangel fiel weiterhin auf, dass an fast 40 Prozent der Oberschulen abweichend von der Stundentafel nur noch eine Lektion Religion erteilt wird. So kommt die Erhebung zwar zu dem Schluss, dass der Religionsunterricht im Grossen und Ganzen noch als gut bezeichnet werden kann. Zugleich forderte sie aber grundlegende Reformen, um den Religionsunterricht an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen.

Handlungsbedarf weitgehend unbestritten

Im Vorfeld der Abstimmung wird nun im Kanton intensiv über die Ethik-Initiative und den Gegenvorschlag mit dem Modell "1+1" diskutiert. Dabei haben sich verschiedene Positionen herausgebildet.

Weitgehend unbestritten ist der Handlungsbedarf. So betont Fabio Cantoni, Präsident des Verbands Lehrpersonen Graubünden, dass die Beibehaltung des Status Quo beim schulischen Religionsunterricht die schlechteste Alternative wäre. SP-Grossrat und Lehrer Andreas Thöny spricht sich für die Ethik-Initiative aus, weil damit alle Schüler erreicht werden und lehnt das "1+1"-Modell als "halbherzig" ab. Christoph Casetti, Bischofsvikar für Glaubensverkündigung und Katechese im Bistum Chur, findet es wichtig, dass die Kirchen weiterhin mit einer Stunde in der Schule präsent sind und befürwortet deshalb das Modell "1+1". Auch der reformierte Theologe Peter Bernhard verteidigt das Modell "1+1", weil damit die historisch gewachsene Partnerschaft und Kooperation zwischen Staat und Kirche fortgesetzt und weiterentwickelt werde.

Rückwärtsgewandte Ablehnung ist keine Lösung

Graubünden ist nicht Berlin, und die Diskussion ist weit von einem "Kulturkampf" entfernt. Dennoch tun sich viele schwer, von dem Gedanken Abschied zu nehmen, die Weitergabe des Glaubens könne einfach an die Schule delegiert werden und sei dadurch gesichert.

Obwohl es der Empfehlung der Landeskirchen zuwiderläuft, bildet sich deshalb an der Basis eine zunehmende Zahl von Wählern, die bei der Volksabstimmung zweimal mit Nein stimmen will, um den Status Quo zu halten. Vielleicht hat das "1+1"-Modell noch strukturelle Mängel, die nachgebessert werden müssen.

Eine rückwärtsgewandte Ablehnung beider Vorschläge wird aber langfristig nicht die Lösung sein. Kirchen und Kanton müssen sich jetzt vielmehr konstruktiv an der Entwicklung eines pluralitäts- und zukunftsfähigen Religionsunterrichts beteiligen.

Autor: Christian Cebulj (44) ist seit 2008 Professor für Religionspädagogik und Katechetik an der Theologischen Hochschule Chur. Cebulj wuchs im Allgäu (Deutschland) auf und studierte Theologie in Augsburg, Paris und München.

Datum: 12.05.2009
Quelle: Kipa

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